Experten warnen vor der Rückkehr gefährlicher Infektionskrankheiten. Der Kampf gegen resistente Keime geht nur langsam voran. Simple Infektionen und kleinere Verletzungen könnten erneut töten, fürchten Forscher.

Berlin. Sie sind eine der größten Errungenschaften der Menschheit: Antibiotika. Etliche Millionen Leben haben sie in den vergangenen Jahrzehnten weltweit gerettet – viele davon mehr als einmal. Doch die einst hochwirksamen Waffen drohen stumpf zu werden: Bakterien werden zunehmend resistent gegen die Medikamente. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt eindringlich: Simple Infektionen und kleinere Verletzungen, die seit Jahrzehnten behandelbar waren, könnten erneut töten.

Resistente Bakterien seien vor allem für Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich, erklärt Prof. Michael Kresken von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Viele Operationen und Eingriffe wären ohne wirksame Antibiotika in ihrer jetzigen Form unmöglich. Immer häufiger aber versagen bei Erregern gleich mehrere der Substanzen. Die Liste der Antibiotika, die – noch – gegen solche multiresistenten Keime wirken, ist kurz.

Resistenzen sind ein ganz natürliches Phänomen. „Resistente Bakterien findet man beim Eisbär am Nordpol bis zum Pinguin am Südpol“, sagt Kresken. Viele Mikroorganismen bilden für Bakterien giftige Substanzen, um sich zu schützen. Immer wieder gelingt es einzelnen Bakterien, diese Barriere zu überwinden.

Bis in die 80er-Jahre habe es kaum Probleme mit resistenten Bakterien gegeben, sagt Kresken. Beflügelt von der Globalisierung habe es dann eine sprunghafte Zunahme gegeben. „Wenn heute in Indien ein resistentes Bakterium auftaucht, dann reist es schnell um die ganze Welt“, sagt der Mikrobiologe. Bei der Tuberkulose gehen nach WHO-Daten bereits etwa vier Prozent der Neuerkrankungen auf eine Erregergruppe zurück, die mit den gängigen Medikamenten nicht mehr behandelbar ist.

Gegen manche Erreger helfen selbst Reserveantibiotika nicht mehr

Bei immer mehr anderen Keimen gibt es ähnliche Probleme. Gefürchtet sind etwa MRSA (methicillinresistente Staphylococcus aureus). Diese Keime kommen auf der Haut und in den oberen Atemwegen von etwa einem Drittel aller Menschen vor, verursachen aber meist keine Krankheitssymptome. Bei günstigen Bedingungen oder einem schwachen Immunsystem kann das Bakterium aber gefährlich werden. MRSA–Stämme des Bakteriums lassen sich dann nur schwer in Schach halten. In Brasilien erkrankte kürzlich erstmals ein Mensch an einem MRSA-Stamm, der selbst gegen Vancomycin – bisher Mittel der letzten Wahl – resistent ist.

Als großes Problem sehen Experten auch die ESBL-bildenden Enterobakterien an. ESBL steht für Extended-Spectrum Beta-Lactamasen. Das sind von den Bakterien gebildete Enzyme, die viele ß-Lactam-Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum wie Penizilline und Cephalosporine spalten und damit wirkungslos machen können.

Der Mangel an neuen Antibiotika ist ein grundsätzliches Problem. „Die Gewinnmargen der Pharmabranche bei der Vermarktung von Antibiotika sind gefallen in den vergangenen Jahren, und mit chronischen Krankheiten ist viel mehr Geld zu verdienen“, erklärt Kresken. „Außerdem verbrauchen sich Antibiotika wegen der Resistenzen.“ Schließlich müssten sie sich auch noch bei jeder der kurzen Therapien gegen andere Präparate behaupten. Solche Medikamente zu entwickeln, sei daher für die Unternehmen der Branche wenig attraktiv.

Zwischen 1983 und 1992 wurden allein in den USA 30 neue Antibiotika zugelassen, von 2003 bis 2012 nur noch sieben, heißt es in einem Bericht des Journals „Nature“. Vor zwei Jahren verlängerten die USA den Patentschutz für solche Wirkstoffe, um die Firmen im Land zu mehr Forschung zu animieren.

Ist diese Frist abgelaufen, steigen andere Firmen in die Produktion ein. Deren Nachahmerprodukte – sogenannte Generika – werden meist viel billiger angeboten. Die Folgen zeige das Beispiel bestimmter Fluorchinolone: Ihr Preis sei nach Ablauf des Patentschutzes deutlich gefallen – und daraufhin die Zahl der Verschreibungen stark gestiegen. „Ein solches Breitbandantibiotikum ist aber viel zu wertvoll für eine breite Anwendung“, sagt Kresken.

Die Medikamente werden oft unnötig verschrieben

Immer wieder verordnen Ärzte unnötig ein Antibiotikum; mitunter ist es aber auch der Patient, der bei Husten, Schnupfen und Heiserkeit gleich ein solches Präparat fordert. Untersuchungen zeigen, dass dies bei 90 Prozent der Atemwegsinfektionen weder sinnvoll noch nötig ist. Die Zahl der Verordnungen sei in den vergangenen Jahren zwar nicht nennenswert gestiegen, es würden aber immer mehr breit wirkende Antibiotika wie Fluorchinolone eingesetzt. „In skandinavischen Ländern werden solche Reserveantibiotika viel sparsamer verwendet“, sagt Kresken. Auch beim Thema Vorsorge und Hygiene ließe sich nachbessern.

Ein weiterer Ansatzpunkt neben Pharmaforschung und Humanmedizin ist die Tierhaltung. Allein in Deutschland wurden dort 2012 rund 1600 Tonnen Antibiotika eingesetzt, heißt es im Bericht „GERMAP 2012“ der Paul-Ehrlich-Gesellschaft. Bei Tierarten, bei denen häufig Antibiotika eingesetzt werden – neben Schweinen vor allem Puten und Hähnchen – treten deutlich häufiger Resistenzen auf.

Das wirkt sich auch auf die Menschen aus, die die Tiere untersuchen: 40 Prozent aller Tierärzte, die vornehmlich Schweinebestände betreuen, tragen nach Studienergebnissen MRSA. In den Niederlanden werden Patienten darum schon bei der Aufnahme in die Klinik vorbeugend gefragt, ob sie als Tierarzt oder in einem Schlachthaus arbeiten.

Inwiefern resistente Erreger aus der Tierhaltung über die auf Feldern ausgebrachte Gülle in die menschliche Nahrungskette gelangen, sei bisher nicht umfassend geklärt, sagt Prof. Lothar Kreienbrock von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Studien im Labor wiesen darauf hin, dass es über die Pflanzen einen Resistenztransfer geben könne. „Ob das unter praktischen Bedingungen tatsächlich relevant ist, wird derzeit in unserem Forschungsverbund untersucht.“

Das Bewusstsein, dass mit Antibiotika sparsamer umgegangen werden muss, entwickle sich bei den Landwirten bereits, sagt Kreienbrock. „Aber es braucht immense Anstrengungen, eine Haltung so anzupassen, dass immer weniger Tiere behandelt werden müssen. Das dauert nun einmal Jahre.“

Hauptziel müsse es sowohl in der Humanmedizin als auch bei der Tierhaltung sein, die Häufigkeit der Antibiotika-Einsätze weltweit zu reduzieren, sagt Kreienbrock. Neue Reserveantibiotika zu entwickeln sei zwar wichtig. „Aber in dem Moment, in dem wir einen neuen Wirkstoff haben, haben wir auch neue Resistenzen.“