Die schädlichen Mikroorganismen lassen zum Beispiel abnorm viele Blätter wachsen

Norwich. Wie schafft man einen Zombie? Literatur und Filme bieten da verschiedene Anregungen, doch die Zellbiologie konnte zu dieser Frage bisher nicht sehr viel beitragen. Das hat sich geändert. Im Fachjournal „PLOS Biology“ berichteten Wissenschaftler des John Innes Centre im britischen Norwich und der Universität im niederländischen Wageningen über skrupellose Manipulatoren, die selbstständige Lebewesen in fremdgesteuerte Werkzeuge verwandeln. Die Hauptdarsteller der skurrilen Geschichte sind parasitische Phytoplasma-Bakterien und ihre pflanzlichen Wirte.

Biologen kennen inzwischen eine ganze Reihe von Parasiten und Krankheitserreger, die das Verhalten und die Entwicklung ihrer Opfer manipulieren. Vor allem Arten, die für ihre Entwicklung mehrere unterschiedliche Wirte brauchen, haben in dieser Hinsicht erstaunliche Tricks auf Lager. Der Einzeller Toxoplasma gondii zum Beispiel nimmt Ratten ihre natürliche Angst vor Katzen. So werden die befallenen Nager zu einer leichten Beute für die samtpfotigen Jäger. Und mit der Rattenmahlzeit gelangt auch der Parasit in den Katzenkörper, wo er sich vermehrt. Ein Pilz namens Puccinia monoica dagegen stellt sein Manipulationstalent im Pflanzenreich unter Beweis. Er bringt Gewächse aus der Brokkoli-Verwandtschaft dazu, normale Blätter in blütenähnliche, gelbe Gebilde zu verwandeln. Mit diesen Scheinblüten lockt der Pilz Insekten an, die seine Sporen weiterverbreiten.

In solchen Fällen steuern die Parasiten ihre Opfer wie ein Puppenspieler seine Marionetten. „Welche Fäden sie dabei genau ziehen, ist allerdings noch weitgehend unklar“, sagt Saskia Hogenhout vom John Innes Centre. Bei den Phytoplasma-Bakterien ist es ihr und ihren Kollegen nun gelungen, die zellbiologischen Prozesse hinter einer solchen Manipulation zu entschlüsseln.

Diese Parasiten befallen viele verschiedene Pflanzen von Raps über Weinreben und etliche Obstbäume bis hin zu Kokospalmen. Das kann in den Kulturen solcher Nutzpflanzen zu massiven Schäden führen, oft sterben die infizierten Gewächse ab. Schon vorher aber zeigen sich an den Pflanzen drastische Veränderungen. So ist schon lange bekannt, dass sie unter dem Einfluss dieser Bakterien keine Blüten, sondern zusätzliche Blätter bilden. Die Einzeller greifen also sehr tief in die Entwicklungsprozesse ihrer Opfer ein. Wie und warum sie das machen, haben die Forscher nun geklärt.

Die Waffe der Bakterien besteht demnach aus einem Protein namens SAP 54. Mit Unterstützung eines bestimmten Transporteiweißes der Pflanze setzt dieses tückische Molekül einen ganzen Proteinapparat außer Gefecht, der wichtige Prozesse bei der Blütenentwicklung steuert. Ohne diese kann das betroffene Gewächs keine Blüten mehr bilden und sich also auch nicht mehr fortpflanzen. Wie ein lebender Toter dient es nur noch den Interessen der manipulativen Bakterien.

Doch was haben die davon? Auch das haben die Forscher mit Experimenten herausbekommen. Die blütenfreien und blattreichen Gewächse sind demnach besonders attraktiv für Zikaden. Und die braucht der Parasit, um sich weiterzuverbreiten. Sobald eine hungrige Zikade einen Schluck Saft aus einer befallenen Pflanze saugt, nimmt sie mit ihm die Phytoplasmen auf. Dem Insekt selbst macht das wenig aus, es wird auf diese Weise aber zum Transportvehikel: Die Bakterien wandern in seine Speicheldrüsen und werden beim nächsten Besuch im grünen Restaurant an ein neues Gewächs weitergegeben.

Da die manipulierten Proteine im Pflanzenreich so weit verbreitet sind, klappt dieser Trick bei den verschiedensten Arten. Und das ist auch wichtig. Schließlich weiß man nie, auf welchem Blatt sich so eine Zikade als nächstes niederlassen wird. Da ist es aus Parasitensicht gut, wenn man bei der Wahl seiner Opfer flexibel ist. „Es ist faszinierend zu sehen, dass dieses Bakterium sowohl das Wachstum der Pflanzen als auch das Verhalten der Insekten in seinem Sinne beeinflussen kann“, sagt Saskia Hogenhouts Kollegin Allyson MacLean. Das macht die Phytoplasma-Bakterien zu Meistermanipulatoren der Parasitenwelt.