Bildgebende Verfahren stehen im Mittelpunkt des Internationalen Hirnforschungskongresses in Hamburg

Hamburg. 3000 Hirnforscher aus mehr als 20 Ländern treffen sich vom 8.bis 12. Juni in Hamburg, um auf dem 20. Internationalen Kongress der Organisation für bildgebende Verfahren in der Hirnforschung neue Erkenntnisse auszutauschen. Das Abendblatt sprach vorab mit dem Mitveranstalter Prof. Christian Büchel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) unter anderem über Demenz und psychiatrische Erkrankungen und welche Fortschritte die Hinforschung auf diesen Gebieten macht.

Hamburger Abendblatt:

Wie wichtig sind bildgebende Verfahren für die Hirnforschung?

Prof. Christian Büchel:

Wir haben in den vergangenen Jahren mithilfe deutlich verbesserter bildgebender Verfahren viel darüber gelernt, wie das menschliche Gehirn arbeitet – und damit zugleich mehr über Krankheiten erfahren. Wir verstehen besser, wie unser Gedächtnis funktioniert. Das ist relevant für alle Demenzerkrankungen. Wir verstehen besser, wie Belohnungsverarbeitung erfolgt. Diese Erkenntnisse helfen bei Depressionen und Suchterkrankungen. Und wir verstehen besser, wie das Gehirn Motorik organisiert. Das ist relevant für Parkinson und Schlaganfall.

Was wird ein Schwerpunktthema auf dem Kongress sein?

Büchel:

Sehr viele Diskussionen werden sich um Hirnleistungen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis drehen, die bei vielen neuropsychiatrischen Krankheiten eine Rolle spielen. Oft wird beispielsweise Schizophrenie nur mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen in Verbindungen gebracht. Das ist ja auch richtig, aber auch kognitive Leistungsdefizite gehören zu diesem Krankheitsbild. Und sie schränken das Leben vieler Patienten besonders stark ein. Gerade die neuropsychiatrischen Erkrankungen stehen daher gegenwärtig im Fokus einer großen Bewegung. Die Hirnforscher wollen mehr als eine einfache Einordnung, eine Klassifikation von psychiatrischen Erkrankungen in Depression, Schizophrenie und Zwang beziehungsweise Angst. Sie interessiert die Überlappungen zwischen den Krankheitsbildern, und sie versuchen, für diese Erkrankungen neue Ansätze zu entwickeln. Für diese Forschung sind die bildgebenden Verfahren eine zentrale Technik.

Sicherlich ist das für Forscher spannend. Doch was bringt es den Erkrankten?

Büchel:

Gelingt es, psychiatrische, aber auch andere Erkrankungen über neurobiologische Marker, neurobiologische Signaturen zu charakterisieren, dann besteht die Hoffnung, diese Krankheiten besser behandeln zu können. Beispielsweise gleicht nicht jede Depression einer anderen wie ein Ei dem anderen, vielmehr können sie unterschiedliche Ursachen haben. Wenn ich über neurobiologische Marker verfüge, die mir die unterschiedlichen Gründe für eine Depression darlegen, kann ich eventuell auch die Therapie darauf einstellen. Ich kann die Therapie also personalisieren.

Einige Hirnforscher, die dem Menschen beim Denken zuschauen, verfolgen das entgegengesetzte Ziel. Sie suchen nach immer wiederkehrenden Mustern im menschlichen Gehirn, die mit bestimmten Gedanken oder Gefühlen verbunden sind. Können Hirnforscher bereits Gedanken lesen?

Büchel:

Das ist eine vereinfachte Darstellung und sehr plakativ. Aber man kann aus dem Muster von Aktivierung im ganzen Gehirn sehr wohl vorhersagen, was gerade in diesem Gehirn gedacht wird. Ich kann natürlich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, das Gehirn hat einen Schmerzreiz empfunden, plant gerade ein Verbrechen oder hat einen Geistesblitz, der demnächst zum Nobelpreis führt. Aber bei manchen Erfahrungen wie Schmerz liegt die Erfolgsquote bereits bei 70 Prozent.

Vor zehn Jahren schrieb das seitdem viel diskutierte Manifest renommierter Hirnforscher von bevorstehenden Durchbrüchen. Was ist wirklich passiert?

Büchel:

Ich glaube, damals sind die Ziele und die Methoden etwas zu optimistisch eingeschätzt worden. Dadurch sind die Erkenntnisse beispielsweise zu Alzheimer geringer ausgefallen als erwartet. Doch man muss sich in der Forschung Ziele stecken. Mit den neuen, jungen Techniken der bildgebenden Verfahren gewinnen wir immer schärfere Einblicke in das Gehirn. Vor zehn Jahren konnten wir Gehirnaktivität nur im Zentimeter- und Millimeterbereich verfolgen, heute beobachten wir sie in Dimensionen unterhalb eines Millimeters. Das erlaubt uns neue Erkenntnisse über die Kommunikation des Gehirns mit sich selbst. Außerdem lernen wir, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung mit denen aus Forschungen am Menschen zu kombinieren. Das ist wichtig, denn in der Grundlagenforschung lernen wir, die Arbeit der einzelnen Nervenzellen und kleinerer Zellverbünde zu verstehen; die Forschung mit bildgebenden Verfahren am Menschen kann zeigen, wie große neuronale Netze funktionieren.

Was sind die größten Herausforderungen in den kommenden zehn Jahren?

Büchel:

Zunächst einmal müssen wir die beiden eben beschriebenen Forschungswelten intensiver verknüpfen. Das gelingt, indem wir bildgebende Verfahren auch in der Grundlagenforschung einsetzen. Wir verwenden also die gleichen Messmethoden. Der andere, sehr spannende Weg ist, diese Forscherwelten über Computersimulationen zu verbinden. Dazu müssen wir Modelle entwickeln, die zunächst auf den Erkenntnissen auf Nervenzellebene basieren und dann im Menschen getestet werden können. Beispielsweise gibt es unterschiedliche Ideen, wie wir Objekte sehen. Wenn wir die Arbeitsweise kleinerer Nervenzellverbünde im Sehsystem in Modelle übertragen, könnte uns das viel mehr Klarheit über die Frage bringen, ob Menschen nur sehen, was sie erwarten zu sehen oder was wirklich vor ihnen steht. Diese Forschungsstrategie ist spannend, aber sehr schwierig. Die Modellierung muss sich an physiologischen Vorgängen orientieren, und das ist alles andere als trivial. Die Modelle werden sehr komplex sein, die Datenmengen, die berechnet werden müssen, immens. Das gelingt nur mit Hochleistungsrechnern und moderner Computerarchitektur. Die nächste Herausforderung ist, unsere Messmethoden weiterzuentwickeln. Vor allem davon hängt ab, was wir in zehn Jahren wissen werden.

Was wollen Sie denn wissen?

Büchel:

Wir streben an, die momentane Gesamtaktivität eines Gehirns so zu erfassen, dass wir überall im Gehirn sehen können, was real passiert. Noch messen wir mit der funktionellen Kernspintomografie die Aktivität der Nervenzellen nur indirekt. Diese Technik zeichnet nur auf, wo im Gehirn gerade viel Blut fließt – daraus können wir schließen, dass dort das Gehirn aktiv ist. Messen wir hingegen Hirnströme direkt, dann wissen wir in der Tiefe des Gehirns nicht genau, wo die Nervenzellen sind, deren Aktivität wir erfassen. Physikalisch ist die Weiterentwicklung machbar, technisch aber sehr anspruchsvoll.

Werden wir je verstehen, wie unser Gehirn funktioniert?

Büchel:

Ja. Nicht heute, nicht morgen – aber das Gehirn wird sich eines Tages selbst verstehen.