Der Geophysiker Alexander Gerst promovierte 2010 an der Universität im Grindelviertel. Er wird der elfte Deutsche im Weltraum sein. Vor dem Start gibt sich Alexander Gerst betont gelassen.

Baikonur. Was wird das für ein Gefühl sein, auf 300 Tonnen Treibstoff zu sitzen und von 26 Millionen PS ins All befördert zu werden? „Natürlich werde ich aufgeregt sein“, gab Alexander Gerst kürzlich im Kölner Astronautenzentrum zu, „aber während des Starts ist man einfach zu beschäftigt, um an so etwas zu denken“. Angstgefühle plagen den deutschen Raumfahrer jedenfalls nicht wenige Tage vor seinem Start zur Internationalen Raumstation ISS. „Wenn ich Angst hätte, hätte ich mich nicht beworben“, sagt der studierte Vulkanologe, der fünf Jahre an der Universität Hamburg forschte und am hiesigen Institut für Geophysik auch promovierte.

Gerst wird nach Thomas Reiter und Hans Schlegel der dritte deutsche Astronaut auf der ISS. Läuft alles wie geplant, dann wird der 38-jährige Astronaut der europäischen Weltraumagentur mit je einem Kollegen aus den USA und Russland am Mittwoch kommender Woche um 21.56 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit Kurs auf die Raumstation – an Bord eines Sojus-Raumschiffs, das vom russischen Weltraumbahnhof in Baikonur (Kasachstan) abheben wird.

Mit dem Russen Maxim Suraev und dem Nasa-Astronauten Gregory Wiseman startet Gerst zu einem sechs Monate langen Forschungsaufenthalt in der menschlichen Außenstation im All. Etwa 100 Experimente wird er in der Schwerelosigkeit der ISS absolvieren; die Disziplinen reichen von der Materialphysik über die Raumfahrtmedizin bis hin zur Biologie. 25 Experimente werden unter deutscher Leitung oder mit deutscher Industriebeteiligung durchgeführt. Der Rückflug ist für den zehnten November geplant.

Vor dem Start gibt sich Alexander Gerst betont gelassen: „Ich habe verwundert bemerkt, dass ich jeden Tag entspannter werde.“ Dabei wird sein Aufenthalt auf der ISS der vorläufige Höhepunkt einer Raumfahrer-Karriere sein, die im Mai 2009 begann: Damals wählte die Esa den im baden-württembergischen Künzelsau geborenen promovierten Vulkanologen mit fünf weiteren Kandidaten für ihr Astronautenkorps aus – aus 8413 Bewerbern. Für den passionierten Naturwissenschaftler erfüllte sich ein Kindheitstraum: „Ich war selbst am meisten erstaunt, dass es geklappt hat.“

Seine ausgeprägte Neugierde habe ihn von Kindheit an geleitet, erzählte Gerst jüngst bei einem Besuch in Berlin. Als Junge verfolgte er begeistert die Trickfilm-Serie „Captain Future“. Schon früher hatte der Esa-Astronaut berichtet, wie sein Großvater, ein Amateurfunker, einst eine Antenne in den Weltraum richtete und ihn ins Mikrofon sprechen ließ. Die Radiowellen seien zum Mond gereist und kurz darauf als Echo zurückgekommen. „Für mich als Sechsjähriger war ein Teil von mir auf dem Mond.“

Doch der wissenschaftliche Weg führte Alexander Gerst zunächst tief in die Erde – und dabei auch nach Hamburg. Nach Abitur (1995) und Zivildienst ging Alexander Gerst erst einmal für ein Jahr auf Weltreise. Anschließend machte er sein Diplom in Geophysik (mit Auszeichnung) an der Universität Karlsruhe und erwarb zeitgleich einen Master-Titel (mit Auszeichnung) an der Universität Wellington in Neuseeland. Schon damals und in den Folgejahren nahm Gerst an ungewöhnlichen Forschungsexpeditionen teil, die ihn bis in die Antarktis führten. Eindrucksvolle Fotogalerien, die Gerst auf seiner Website www.planet3.de präsentiert, zeugen davon.

Sein Interesse galt dem Vulkanismus. Dieser führte den Geophysiker an die Universität Hamburg. Hier entwickelte Gerst in den Jahren 2004 bis 2009 mit Kollegen neue wissenschaftliche Instrumente für die vulkanologische Forschung. Und hier schrieb er seine Doktorarbeit „The First Second of a Strombolian Volcanic Eruption“ über „die erste Sekunde einer Eruption des Stromboli“. Der italienische Feuerspucker ist der einzige kontinuierlich aktive Vulkan Europas und liegt auf den Liparischen Inseln nördlich von Sizilien.

Im Mai 2010 war die Promotion in Hamburg abgeschlossen. Ein Jahr zuvor hatte ihn die Esa für das Astronautenkorps ausgewählt, am 1. September 2009 hatte die Raumfahrerausbildung begonnen. Im August 2011 nahm sein Traum allmählich reale Gestalt an: Alexander Gerst wurde als Besatzungsmitglied für die ISS-Crew 40/41 benannt, die nun ins All starten wird.

Seit Herbst 2013 trainierte der Astronaut verstärkt die verschiedenen Experimente, die er in der Schwerelosigkeit als verlängerter Arm der Wissenschaftler am Boden durchführen wird. Inzwischen hat das Pendeln zwischen Houston, Moskau, Tokio und Köln aufgehört, für Gerst beginnt eine Quarantänezeit am Weltraumbahnhof Baikonur. Wie sein Start ablaufen wird, hat er bereits im November 2013 fast hautnah erlebt. Damals stand er als Ersatzmann neben der Rakete, die mit Kollegen zur Raumstation abhob. „Da ist man bis zum Schluss dabei, man hilft der Crew, den Raumanzug anzulegen, man steht direkt bei der Rakete, wenn sie einsteigen“, erinnert sich Gerst. „Das ist der Moment, in dem man denkt: In einem halben Jahr sitzt Du auf diesem Ding.“

Bald wird Gerst aus dem Weltall auf unseren verletzlichen Heimatplaneten blicken können. Nach ihm benannte er seine Mission „Blue Dot“ – ein Foto der Raumsonde Voyager zeigte die Erde in den Worten des US-Astronomen Carl Sagan gerade einmal als „pale blue dot“, als blassen blauen Punkt.