Ein Hamburger Rheumatologe hat mit Freunden eine Patienten-App entwickelt. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Betreuung und einen besseren Überblick über den Verlauf dieser chronischen Erkrankung.

Zwei Jahre ist es her, dass Jens Giemsa, 65, plötzlich Schmerzen in den Füßen bekam. Sie waren so stark, dass er nicht mehr laufen konnte. Nachdem er bei zahlreichen Ärzten gewesen war, bekam er schließlich die Diagnose: rheumatoide Arthritis. Diese chronische Gelenkentzündung geht in der Regel mit einem steifen Gefühl in den Händen und Füßen einher.

„Zur Behandlung werden unterschiedliche Medikamente eingesetzt, die alle die Entzündungshemmung als Ziel haben. Neben der raschen Schmerzfreiheit des Patienten soll aber auch eine Zerstörung der Gelenke verhindert werden“, sagt Dr. Peer M. Aries, Rheumatologe in Hamburg. Zusammen mit Freunden hat er die App „RheumaTrack RA“ für Patienten entwickelt, die es ermöglicht, einen unvorteilhaften Verlauf der Erkrankung frühzeitig zu erkennen und bei Bedarf rechtzeitig die Therapie anzupassen, wenn es sein muss – auch einmal außerhalb der regulären Vorstellungstermine beim Arzt.

Die App funktioniert wie ein digitales Tagebuch. Anhand von Fragebögen werden unter anderem Schmerzen und Funktionseinschränkungen erfasst, der Patient kann zum Beispiel eintragen, ob er noch hundert Meter hinter einem verpassten Bus hinterhersprinten kann oder in der Lage ist, einen schweren Wintermantel allein anzuziehen. Er kann zudem eintragen, wann und vor allem wo er heute Schmerzen hat und ob er seine Medikamente eingenommen hat. Erfasst wird auch der Medikamentenbestand, sodass der Patient daran erinnert wird, neue Medikamente zu bestellen. Außerdem kann er aktuelle sonstige Probleme dokumentieren, wie zum Beispiel erhöhte Blutdruckwerte. „Das alles kann der Patient auch seinem Arzt mit einer E-Mail zusenden und ihn so über den aktuellen Verlauf der Krankheit informieren“, sagt Aries.

Die App ersetze keinen Arztbesuch, betont der Rheumatologe. Er teilt aber nicht die Sorge anderer Ärzte, die befürchten, dass daraus neben der normalen Sprechstunde noch zusätzlich eine virtuelle Sprechstunde wird. „Wenn man eine individualisierte Medizin möchte und der Patient damit verantwortungsvoll umgehen kann, entsteht auf dieser Ebene eine neue Qualität der Patienten-Arzt-Beziehung“, sagt Aries.

Jens Giemsa jedenfalls hat die App ein Gefühl großer Sicherheit vermittelt: „Ich hab mich immer gut aufgehoben gefühlt. Einmal wöchentlich habe ich dem Doktor darüber meine Werte geschickt. Wenn er sich das anguckt und meint, dass eine Antwort nötig sei, dann meldet er sich. Wenn nicht, weiß ich, dass alles ok ist. Ich habe mit diesem Gerät immer das Gefühl, einen Arzt in der Nähe zu haben.“ Zurzeit habe er keine Beschwerden, sodass er diese Möglichkeit im Moment auch nicht in Anspruch nehme.

Die App kann die Kommunikation zwischen Arzt und Patient positiv verändern. „Ohne App würden wir die Patienten zu den Regelterminen sehen, alle sechs Wochen oder drei Monate, je nachdem, in welchem Stadium der Krankheit sie sich befinden. An diesem Termin fragen wir dann: ,Wie geht es Ihnen heute?‘. Von der Zeit seit dem letzten Besuch können die meisten Patienten dann oft auch nur noch die letzten fünf, sechs Tage rekapitulieren“, sagt Aries. Aber um zu sehen, wie der komplette Krankheitsverlauf seitdem gewesen sei, dafür sei diese App gut. „Auch wenn die Patienten mir die Daten nicht per E-Mail schicken, sondern nur das Smartphone zur Visite mitbringen, kann ich mir jeden einzelnen Tag und somit den genauen Krankheitsverlauf anschauen. Wir gehen damit weg von dieser Momentaufnahme des Besuches in der Praxis hin zu einer kontinuierlichen Betreuung“, so der Mediziner.

Für den Rheumatologen ist die App ein wichtiges Werkzeug auf dem Weg zu einer personalisierten Medizin. Dabei gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte, die sich individuell an dem Patienten orientieren. „Für jemanden, der technikaffin ist, ist die App genau das Richtige.“ Alle Patienten, die jedoch sehr besorgt oder ängstlich sind, sieht der Arzt lieber persönlich in seiner Sprechstunde.

Außerdem helfe die App dabei, moderne Prinzipien in der Rheumabehandlung in die Praxis umzusetzen. „Es gibt gute Erkenntnisse, dass ein entscheidender Faktor für den Behandlungserfolg ist, den Patienten engmaschig betreuen zu können. Das bedeutet, den Patienten nicht nur in dreimonatigen Abständen, sondern auch mal in zweiwöchigen Abständen in die Sprechstunde zu bestellen, wenn die Situation es erfordert. Denn die Krankheit verändert sich nicht in Dreimonatsabständen, sondern auch mal in Wochen- oder Zweiwochenabständen. Und wenn ich die medikamentöse Therapie immer an die jeweilige Krankheitsaktivität anpassen kann, habe ich die beste Erfolgsrate. Deswegen kann die engmaschige Kontrolle mit der App ein wesentlicher Bestandteil der rheumatologischen Betreuung sein.“

Ein anderes Prinzip ist die Orientierung an vorgegebenen Behandlungszielen: „Erreichen wollen wir bei den Patienten Schmerzfreiheit, dass keine Entzündungszeichen im Blut nachweisbar sind und keine zunehmenden Veränderungen an den Gelenken im Röntgenbild auftreten. Wenn der Patient mir mitteilt, die Schmerzen seien mehr geworden, habe ich mein Ziel nicht erreicht“, sagt Aries. Er könne dann eventuell die Therapie kurzfristig justieren, bis die Schmerzfreiheit erreicht sei. „Das ist die Verwirklichung eines Therapiekonzeptes, das sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat und in das unsere App sehr gut hineinpasst.“

2012 haben Aries und seine Freunde die erste App für die rheumatoide Arthritis entwickelt und jetzt neu überarbeitet. Hinzugekommen ist jetzt auch eine App für die rheumatischen Erkrankungen an der Wirbelsäule (RheumaTrack SPA). Die Apps sind kostenlos im iTunes-Store (Apple iOS) und im Google Play Store (Android) herunterzuladen. Erhältlich sind sie in den Sprachen Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Türkisch.