Ende des Monats wird der zweite Teil des Sachstandsberichts des Weltklimarats veröffentlicht. Die Hamburger Forscherin Dr. Daniela Jacob arbeitet seit 2010 an dem Europakapitel

Hamburg. Am 31. März präsentiert der Weltklimarat IPCC den zweiten Teil seines neuen Sachstandsberichts zum Klimawandel. Er benennt die Bereiche, in denen Land und Leute besonders gefährdet sind, beschreibt Klimafolgen und mögliche Maßnahmen, damit sich die Gesellschaften an sich ändernde Verhältnisse anpassen können. Ein Novum des Berichts sind Kapitel, die ganzheitlich neun Regionen betrachten – von den Klimatrends bis zu sozioökonomischen Folgen. Eine der Autoren des Europateils ist Dr. Daniela Jacob, die in Hamburg am Climate Service Center (CSC) und am Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie arbeitet.

„Im Gegensatz zum ersten Teil des Berichts, der die naturwissenschaftlichen Grundlagen zum globalen Klimawandel lieferte, geht es bei den Schwerpunkten des zweiten Teils – Folgen der Veränderungen und Anpassung – um regionale Entwicklungen“, sagt Jacob. Sie hat am MPI das Computermodell Remo entwickelt, das seit einigen Jahren regionale Szenarien auch für Norddeutschland errechnet. Die Meteorologin bildet unter den Leitautoren die inhaltliche Brücke zwischen den Klimaexperten, die größtenteils dem ersten Berichtsteil zur physikalischen Basis des Wandels zuarbeiten, und anderen Disziplinen, die zu Folgen der Erwärmung forschen. Hier reicht das Spektrum von Geografen über Gesundheits- und Ökosystemforscher bis zu Experten für Wasserwirtschaft, Infrastruktur, Landwirtschaft.

Im Alten Land und der Lüneburger Heide wird der Wasserbedarf steigen

Erstmals werte der Bericht die neuesten Erkenntnisse zu den Klimafolgen nicht nur für einzelne Sektoren aus, sondern integriere sie für Regionen, sagt Jacob und nennt dies „crosssektorale Auswirkungen“. Ein Beispiel für solche Zusammenhänge liefert das Alte Land: Die allmähliche Erwärmung lässt die Obstbäume früher erblühen. Dadurch werden sie anfälliger für späte Nachtfröste. Um die Blüten zu schützen, werden sie bei Frost beregnet. Diese Maßnahme wird voraussichtlich in Zukunft wichtiger, also wird mehr Wasser für die Beregnung benötigt. Ähnliches gilt für die zunehmende Sommertrockenheit etwa auf Ackerflächen in der Region Lüneburger Heide. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob und wie sich der höhere Wasserbedarf der Landwirtschaft auf die Versorgung anderer Verbraucher, etwa Industrie und Haushalte, auswirken wird.

Solche Zusammenhänge hat das Verbundprojekt Klimzug-Nord für die Metropolregion Hamburg bearbeitet, das gerade abgeschlossen wurde (das Abendblatt berichtete). „Die Klimzug-Projekte im Raum Hamburg und in sechs anderen deutschen Regionen haben als Vorreiter solche integrierten Ansätze verfolgt“, urteilt Jacob, die dort mitgearbeitet hat. So haben sich Kollegen in Nordrhein-Westfalen etwa mit dem Zusammenhang von steigenden Gewässertemperaturen und Trinkwasserqualität befasst: „In NRW wird Trinkwasser zum Teil aus Oberflächengewässern gewonnen. Erwärmt sich das Wasser, so können sich Bakterien besser vermehren.“

Über die konkreten Inhalte des neuen IPCC-Berichts darf Daniela Jacob noch nicht sprechen. Generell seien keine überraschenden Neuigkeiten zu erwarten. „Die Grundaussagen des 2007 veröffentlichten Vorgängerreports gelten weiter. Das Neue ist, dass wir die Aussagen detailreicher mit einer deutlich höheren Sicherheit treffen können. Das klingt für eine Journalistin unspektakulär – für eine Wissenschaftlerin ist das aber ein großer Fortschritt.“

Als Klimafolgen in Norddeutschland werden diskutiert: Es könnte mehr Starkregen, aber auch mehr Hitzestress im Sommer geben, das Sturmflutrisiko steigt. Gleichzeitig werden die Winter regenreicher. Jacob: „Die Frostperioden verschieben sich von Dezember weiter Richtung Januar/Februar. Dazu werden wir mehr Null-Grad-Zyklen haben, bei denen die Tage frostfrei sind, nachts aber Frost herrscht. Verbunden mit Niederschlägen ist das ein erhöhter Stress für Materialien, etwa Asphaltdecken: Tagsüber dringt Wasser ein, nachts gefriert es und dehnt sich aus – das Ergebnis sind Schlaglöcher.“

Der Europateil des neuen Berichts ist 93 Seiten stark. Sie sind in jahrelanger Arbeit entstanden. Im Juni 2010 wurde Daniela Jacob in die Riege der acht Hauptautoren des Kapitels aufgenommen. Seitdem haben sie und ihre Mitarbeiterin Juliane Petersen weit mehr als 100 Fachartikel gelesen, Textentwürfe geschrieben und zur Diskussion gestellt, Hunderte Kommentare gesichtet, Konferenzen besucht, auf denen sich die Leitautoren der einzelnen Kapitel oder auch des gesamten Berichts ausgetauscht haben. „Manchmal hatten wir Tag und Nacht zu tun, aber es gab auch ruhigere Zeiten“, sagen Jacob und Petersen.

Sie allein habe wohl zwischen 3000 und 4000 DIN-A-4-Seiten Fachartikel gelesen, sagt Jacob. Nicht anders erging es den sieben anderen Hauptautoren – von den 93 Seiten nimmt das Literaturverzeichnis allein 38 Seiten ein. Auf weiteren 14 Seiten stehen Tabellen und Abbildungen. Grob geschätzt stünden hinter jeder reinen Textseite des Kapitels die Inhalte von rund 1000 Seiten Fachartikel, so Jacob.

Insgesamt arbeiteten 830 Autoren an dem Bericht zu Klimafolgen und Anpassungsstrategien, 40 von ihnen kommen aus Deutschland. Stärker als beim ersten Teil zu den physikalischen Grundlagen des Klimawandels sind neben Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch Beiträge von Experten aus Ämtern, Fachagenturen und der Privatwirtschaft vertreten. Die Leitautoren hatten die Aufgabe, sich einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse zu verschaffen und diese, begleitet von vielfältigen Abstimmungsprozessen, verkürzt und dennoch unverfälscht in den Bericht aufzunehmen.

Für das Europakapitel mussten die Autoren 2100 Kommentare bearbeiten

„Wir hatten sehr viel graue Literatur dabei“, sagt Jacob. Der Begriff steht für Fachaufsätze, die nicht in Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht wurden und damit nicht durch deren Qualitätskontrolle gegangen sind. Solche Beiträge müssen doppelt umsichtig geprüft werden. Sie stammen beispielsweise von Umweltagenturen und -ämtern, von privaten Instituten oder von Unternehmen mit eigenen Forschungsabteilungen, wie die Rückversicherung MunichRe.

Auf mehreren Konferenzen stimmten die Autoren ihre Inhalte ab, ordneten sie unterschiedlichen Textpassagen zu, tauschten einzelne Aspekte mit anderen Kapiteln aus. In drei großen Begutachtungsrunden hatten allein die Hauptautoren des Europakapitels rund 2100 Kommentare zu bearbeiten – zu jedem Einzelnen mussten sie schriftlich Stellung nehmen. Jacob: „Wir beantworteten aufgeworfene Fragen, nahmen neue Hinweise dankend auf und überarbeiteten unseren Text. Oder wir erklärten, warum ein Kommentar nicht berücksichtigt wurde.“

Alles in allem sei sie froh, dass diese Arbeit jetzt getan sei, sagt Jacob. Nun beginne die Phase, in der die Erkenntnisse in die Praxis einfließen müssen, aber das sei nicht mehr die Aufgabe der Wissenschaft. Mit Blick auf die Präsentation am 31. März sagt die engagierte Forscherin: „Ich freue mich, die Inhalte jetzt weiter verteilen und damit Anstöße für Projekte geben zu können, die das gesammelte Wissen dann allmählich umsetzen.“