... und wie es sonst unser Leben beherrscht. Geschichten über eine kleine Maschine, von der wir glauben, sie in der Hand zu haben. Dabei ist es im Grunde umgekehrt.

Das Schlimmste sind Journalistenkongresse. Wenn man auf der Bühne hockt, bei einer gut besetzten Podiumsdiskussion zu einem natürlich sehr wichtigen Thema, und dann in den Saal blickt, in der Hoffnung, irgendjemand würde zurückschauen. Macht natürlich keiner. Die Kollegen haben genug mit ihren iPads und iPhones und Blackberrys zu tun, die Geräte werfen bunte Lichtflecken auf die Gesichter, Finger tippen und wischen und rutschen. Es soll Referenten auf solchen Journalistenkongressen geben, die kurz überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, sich während des Vortrags zu entkleiden, um wenigstens für ein paar Sekunden die volle Aufmerksamkeit des Plenums für sich zu haben ... Wahrscheinlich würde aber selbst das niemand bemerken. Und wenn, dann nur um schnell ein Foto mit dem Smartphone zu machen und es noch schneller einmal rund um die Welt zu schicken.

Es gibt Hunderte von solchen Geschichten, die zeigen, wie die kleine Maschinen – denn nichts anderes sind Smartphones – unser Leben verändern, und ein paar sollen an dieser Stelle erzählt werden. Nicht, weil der Autor die Dinger verteufeln will oder selbst nicht nutzt, eher im Gegenteil. Sondern weil es auffällig ist, wie sehr die tragbaren Minicomputer – auch das sind Smartphones – anfangen, unseren Alltag zu beherrschen. Und dass in einer Weise, deren Beschreibung in den 80er-Jahren für einen skurrilen Science-Fiction-Roman ausgereicht hätte. Oder hätte man damals ernsthaft geglaubt, dass es in nicht allzu ferner Zeit ein, sagen wir mal, Telefon geben würde, dass man sich vor dem Schlafen unter das Kissen legt, damit es am nächsten Morgen anhand bestimmter Körperfunktionen jenen Moment ermittelt, an dem das Aufwachen am günstigsten ist?

Heute wird so etwas sogar von ernst zu nehmenden Ärzten empfohlen, genau wie eine App, die in Sekundenschnelle und per Fingerscanner den Stresszustand eines Menschen ermittelt. Alles was unvorstellbar scheint, ist längst möglich, nichts Menschliches ist den Smartphones fremd: Die App Period Tracker weist Frauen zum Beispiel auf ihre Menstruation und ihre fruchtbaren Tage hin. „Habe die App als Hilfestellung zum Schwangerwerden benutzt und bin nach zwei Monaten schwanger geworden“, schreibt Nickydp26 in einer Kundenrezension im Internet. „Also echt super.“ Auf dem Period Tracker erscheinen während des sogenannten Fruchtbarkeitsfensters Blumen. Vielleicht musste Nickydp26 ihrem Lebensgefährten diese nur zeigen, damit dieser sofort wusste, was nun von ihm verlangt wird. Wie gesagt: Das Smartphone kann alles. Auch zwei Menschen ins Bett bringen.

Dazu passt dieser kleine Witz: Ein Mann und eine Frau sind zum Einkaufen in der Stadt unterwegs. Plötzlich bleibt der Mann stehen und beginnt hektisch, sämtliche Hosen- und Jackentaschen abzuklopfen und zu durchsuchen. Nach einer Minute wird es der Frau zu bunt.

„Was ist denn mit dir los?“, fragt sie.

„Ich glaube, ich habe meine Geldbörse verloren“, sagt der Mann. „Mit allen Ausweisen, Kreditkarten und den 500 Euro, die ich gestern von der Bank geholt habe.“

„Ein Glück“, sagt die Frau. „Ich hatte schon Angst, dein Smartphone ist weg.“

Tatsächlich muss man auf Hamburgs Straßen nicht lange suchen, bis man jemanden findet, der sich im Gehen oder Stehen über den Körper klopft und erst dann damit aufhört, wenn er sich des kleinen Freundes in der Tasche versichert hat. Die meisten holen das Smartphone bei der Gelegenheit heraus, um schnell mal darauf zu gucken. Es könnte ja was passiert sein seit der letzten Ampel ...

Ein Kollege schlug vor, ich sollte für diesen Text einfach mal zählen, wie oft ich an einem Tag auf mein Smartphone sehe. Die Zahl ist erschreckend und noch erschreckender ist, wie selbstverständlich es für viele geworden ist, quasi jede irgendwie freie Minute mit dem Blick auf den tragbaren Bildschirm zu verbringen. Sie wissen schon: Fahrstuhl, Bus und U-Bahn, Kantine, Warteschlange vor der Kasse. Immer dann, wenn es früher (so entspannend) langweilig wurde, ist heute das Smartphone zur Hand.

„Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick einmal gesagt. Er meinte damit, dass zwei Menschen, die sich begegnen, gar nicht anders können, als miteinander zu kommunizieren, selbst wenn sie beide nichts sagen und sich nur abschätzend anschauen. Heute kann man den Kernsatz der watzlawickschen Theorie anders interpretieren: Wir sind dabei zu verlernen, nicht zu kommunizieren, weil wir über das Smartphone ständig und überall die Gelegenheit dazu haben. Wir befinden uns in einer kommunikativen, zunehmend virtuellen Endlosschleife, die auch dann nicht abbricht, wenn sich Menschen tatsächlich, vielleicht muss man zum besseren Verständnis sagen: in der analogen Welt, begegnen.

Zwei Beispiele, eines von einer Managementtagung und eines aus einem Bus der Hamburger Linie 5. Erst der Bus. Vier Teenager, alle um die 13 bis 14 Jahre alt, drei Jungen, ein Mädchen.

Junge eins: „Mist, ich habe nur noch ein Prozent Akku. Ich glaube, ich muss ausmachen.“

Junge zwei (zum Mädchen): „Kennst du die?“ Zeigt ihr ein Foto auf seinem Smartphone. „Die ist hot.“

Mädchen (zum Jungen zwei): „Das ist doch Sally, mit der bin ich auf Facebook befreundet. Ich poste die mal an.“

Junge drei (zum Mädchen): „Cool, ich hab Sally gefunden. Von 372 Freunden haben 350 ihr Foto gelikt.“

Junge zwei:„Sage ich doch, dass die hot ist.“

Junge eins: „Hätte ich nur vorhin mein Handy noch geladen, ich glaub, gleich ist es aus.“

Junge zwei (setzt zu einem Satz an, als sein Handy klingelt): „Oh, mein Vadder.“ Geht ran. „Was geht? Ja, bin gleich zu Hause.“

Mädchen: „Sally hat mir auf WhatsApp geantwortet.“

Junge drei: „Cool.“

Junge zwei: „Was schreibt sie?“

Mädchen: „Hi!“

Junge drei: „Meinst du, die kennt alle ihre Facebook-Freunde persönlich?“

Junge eins: „Also, ich kenne meine alle.“

Junge zwei: „Du hast ja auch nicht so viele.“

Junge drei: „Du hast ja nicht mal Akku.“

Zu den Managern. Führungskräftetagung in einem Hotel, morgens beim Frühstück. Manager vier hat verschlafen, an seinem Tisch sitzen schon drei Kollegen.

Manager vier: „Moin.“

Keiner der anderen antwortet. Dafür piept bei Manager vier wenig später das Smartphone in der Hosentasche.

„Moin.“ Eine Mail von Manager drei. Noch ein Piepser.

„Verschlafen?“ Eine Mail von Manager zwei. Pieps.

„Und was du bisher verpasst hast, liest du auf unserem internen Managementblog, auf dem du dich noch nicht mal angemeldet hast.“ Manager eins. „Man, bist du noch analog :-).“

Das könnte man sich ausdenken, muss man aber nicht. Ebenso wenig wie die Fahrt zu einem Firmenbesuch bei derselben Führungskräftetagung, zu der Manager vier eines der Taxis heranwinken wollte, die zu Dutzenden auf der Straße vorbeifuhren. Manager eins bis drei schüttelten zeitgleich mit dem Kopf: Sie hatten natürlich, unabhängig voneinander, schon Wagen per App bestellt. Dass diese erst zehn Minuten später kamen – geschenkt.

„Apokalypse now“: Die Formulierung ist ebenfalls nicht ausgedacht, sie ist geklaut, aus einem schönen Beitrag des Magazins „Cicero“, in dem die Autorin analysiert, wie die viel beschriebene Maschine den Mensch, auch sie selbst, in der Hand hat, obwohl wir denken, es sei umgekehrt. Am einprägsamsten ist vielleicht die Stelle, an der sie erzählt, wie sich ein paar Mütter treffen und der Nachmittag so lange entspannt und lustig ist, bis eine auf die Idee kommt, den anderen ein Foto ihres Kindes auf dem iPhone zu zeigen.

Kaum hat sie das Ding gezückt, holen die anderen ihre auch heraus. Wir wissen, was jetzt passiert: Aus einem Foto werden Hunderte, es werden E-Mails erst gecheckt und dann beantwortet, neue Kinderspiele für Autofahrten werden gezeigt, und irgendwann haben die Smartphones wieder die Kontrolle über die Menschen übernommen. Mindestens so lange, bis die Söhne und Töchter anfangen zu quengeln, weil sie auch die „Haaaandyyys“ haben wollen.

Wer eine Vorstellung davon bekommen will, wie die Smartphones unser Leben noch verändern, um nicht zu sagen: beherrschen können, muss sich sowieso nur ansehen, wie schon Zweijährige darauf reagieren. Nicht umsonst ist die einfachste Methode, ein schreiendes oder weinendes Kind zur Ruhe zu kriegen, zum Beispiel auf längeren Autofahrten, ihm einfach das Smartphone in die Hand zu drücken. Deren Bedienung ist nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht, sondern die Geräte machen auch mit den Kindern das, was sie mit ihren Eltern machen: Sie ziehen sie in ihren Bann, binden ihre Aufmerksamkeit, holen sie von einem Augenblick auf den anderen aus der realen in eine andere Welt.

Die Schnelligkeit, mit der ein Smartphone ein Kind still macht, ist so verblüffend wie erschreckend: Wieso kann die Maschine etwas, was den Eltern allein oft nur mit großer Mühe gelingen würde? Und was lernen wir daraus? Zum Beispiel, dass für unsere Kinder Smartphones und Computer umso früher und stärker interessant und wichtig werden, je mehr wir sie benutzen.

Ein Kollege hat in diesem Zusammenhang einmal vom „Verrat am eigenen Kind“ geschrieben. Er meinte damit nicht, dass er seinem Sohn andauernd das iPad in die Hand drückt, um seine Ruhe zu haben. Nein, der Autor tadelte sich selbst dafür, dass er zu Hause an einem Abend mehr als zwanzigmal auf sein Smartphone gesehen, Mails abgerufen und beantwortet, und auf diesem Weg seinem Kind und sich kostbare gemeinsame Zeit geklaut hatte. Fazit: „Eigentlich hätte ich in der Firma bleiben können.“

Auch dieses Beispiel zeigt, wie stark der Einfluss der Maschine auf unser Leben ist. Sie schafft es, uns sogar von dem wegzulocken, was uns am liebsten ist, und man fragt sich: Wie macht sie das? Warum fällt es immer mehr Menschen so schwer, das Ding einfach auszumachen? Warum sind jene Deutsche, denen früher der Feierabend und die Trennung von Arbeit und Freizeit so wichtig war, heute anscheinend freudig bereit, das eine mit dem anderen zu durchmischen, so lange, bis man selbst nicht weiß, was nun was ist? Was macht das Smartphone mit, was macht es aus uns? Erste Antworten gibt es in unserer neuen Serie zur digitalen Gesellschaft, die heute auf Seite 40 beginnt, den Rest jeden Tag, überall in Hamburg.

Erinnern Sie sich noch, wie vor wenigen Jahren Menschen in der Bahn oder, noch viel schlimmer, im Restaurant angesehen wurden, wenn ihr Handy klingelte? Und heute: Telefonate in öffentlichen Verkehrsmitteln sind etwa so exotisch wie Schwäne auf der Alster, und tatsächlich ist es vor wenigen Wochen einer Südeuropäerin auf der Bahnfahrt Hamburg–Berlin gelungen, ununterbrochen zu telefonieren (Wie, wird mir ein Rätsel bleiben, weil mein Handy bestimmt fünfmal überhaupt keinen Empfang hatte). Und in Restaurants? Da liegen Smartphones wie selbstverständlich neben Messer und Gabel, und wenn sie klingeln, dann geht man halt ran, und notfalls raus, es könnte ja etwas Wichtiges sein.

Was wohl der Hauptgrund ist, warum kaum jemand die Dinger wirklich einmal ausmacht. Unser Smartphone gibt uns das Gefühl, unser Leben endlich unter Kontrolle zu haben. Zumindest, wenn es aufgeladen ist. Letzter Dialog zum Thema: Ein Paar fährt mit dem Auto in den Urlaub.

Sie: „Hast du das Aufladekabel für mein iPhone eingepackt?“

Er: „Ich glaube schon.“

Sie: „Was heißt, du glaubst. Bist du dir sicher?“

Er: „Ziemlich.“

Sie: „Halt an und guck nach.“

Er hält an, steigt aus dem Auto, durchsucht alle Koffer und Taschen, kommt nach fünf Minuten zurück.

Er: „Sag ich doch, dass ich es eingepackt habe.“

Sie: „Dein Glück. “