Der neue Chef-Gynäkologe der Asklepios-Klinik Harburg entfernt Tumoren am Gebärmutterhals so, dass die Frauen ihre Kinder noch austragen können

Hamburg. Für Sarah Dwinger, 29, aus Eilbek war der bisher schönste Tag ihres Lebens gleichzeitig der schlimmste: Ende September vergangenen Jahres erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Im selben Gespräch teilte ihr der Frauenarzt mit, dass sie Gebärmutterhalskrebs hat. „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt die Fotojournalistin. Meistens bedeutet die Diagnose einen Schwangerschaftsabbruch, eine radikale Entfernung der Gebärmutter sowie eventuell eine Radio-Chemotherapie. Doch für Sarah Dwinger gab es eine Chance. Als eine seiner ersten Hamburger Patientinnen wurde sie von Prof. Christhardt Köhler, 52, operiert. Mit Erfolg: Planmäßig im Juni wird ihr Junge Thierry in der Asklepios Frauenklinik Altona auf die Welt kommen.

Anfang des Jahres wechselte Prof. Köhler von der Berliner Charité an die Asklepios Klinik Harburg. Während Prof. Volker Ragosch, 51, die allgemeine Gynäkologie und Geburtshilfe sowohl in Altona als auch in Harburg leitet und somit als Chefarzt beider Kliniken fungiert, ist Christhardt Köhler als Chefarzt der neu gegründeten Abteilung für spezielle operative und onkologische Gynäkologie in Harburg verantwortlich. Er gilt als einer der Pioniere der minimalinvasiven Chirurgie bei Krebspatientinnen. So liegt ein Schwerpunkt seiner Arbeit in der Entfernung von bösartigen Unterleibstumoren, insbesondere des Gebärmutterhalskrebses (Zervixkarzinom).

Besteht noch Kinderwunsch, versucht der Chirurg die Fruchtbarkeit zu erhalten. Ist die Patientin bereits schwanger, ermöglicht es eine Variante der OP-Methode, das Kind trotz Krebstherapie auszutragen. „Da das Zervixkarzinom oft im jüngeren Lebensalter ausbricht und immer mehr Frauen später ihr erstes Kind bekommen, rückten diese operativen Methoden in den vergangenen Jahren verstärkt in den Mittelpunkt“, sagt Prof. Köhler. Das Verfahren erfordert ein hohes Maß an chirurgischer Präzision. Derzeit gibt es weltweit nur eine Handvoll Zentren, die diesen Eingriff beherrschen.

Die Rede ist von der radikalen vaginalen Trachelektomie (RVT), kombiniert mit der laparoskopischen Lymphknotenentfernung. Diese fruchtbarkeitserhaltende Operationsmethode wird bei Frauen mit Gebärmutterhalskrebs im Frühstadium angewandt, die noch nicht schwanger sind und bei denen ein Kinderwunsch besteht. Zum einen nutzt Professor Köhler die Techniken der kameragestützten, minimalinvasiven Chirurgie. Mithilfe der oft als „Schlüsselloch-Chirurgie“ bekannten Methode entfernt er die Beckenbodenlymphknoten, die den Abfluss des Gebärmutterhalses darstellen. Gleichzeitig wendet er die klassische operative Vorgehensweise durch die Scheide hindurch an, um etwa zwei Drittel des befallenen Gebärmutterhalses sowie Teile des angrenzenden Bindegewebes zu entnehmen. Anschließend wird eine permanente Gebärmutterhalsumschlingung gelegt, die die künftige Schwangerschaft mittragen soll. Zuletzt wird der neu entstandene Muttermund mit der Scheide verbunden. „Die verbleibenden acht bis zehn Millimeter Gebärmutterhals genügen, um eine Schwangerschaft auszutragen“, sagt Köhler.

Die Überlebensrate ist genauso hoch wie bei Gebärmutterentfernung

Neue Studien zeigen, dass die Operation keinen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat. Rund 70 Prozent der operierten Frauen wurden nach dem Eingriff schwanger, die Hälfte der Kinder kam allerdings vorzeitig auf die Welt. Daher werden Schwangerschaften nach einer RVT als Risikoschwangerschaft eingestuft. „Aber diese Methode bietet Frauen mit Kinderwunsch eine Option, tatsächlich ein Kind zu bekommen, ohne ihr eigenes Leben zu riskieren“, sagt Professor Köhler. Zudem hätten die Studien belegt, dass sowohl die Rückfall- als auch die Gesamtüberlebensrate nach dem Eingriff genauso hoch ist wie nach einer radikalen Gebärmutterentfernung.

Weitaus schwieriger ist es, wenn das Zervixkarzinom während der Schwangerschaft festgestellt wird. Für Friederike Pfeffer, 40, aus Amsterdam begann das Leben als schwangere Krebspatientin mit einem auffälligen Befund bei einer Vorsorgeuntersuchung. „Ich war in der zwölften Woche mit Zwillingen schwanger, als bei mir ein Zervixkarzinom Pap V festgestellt wurde.“ Im Klartext: Friederike Pfeffer trug sowohl zwei Kinder als auch bösartige Tumorzellen in sich. Ihre niederländische Ärztin riet zu einer sofortigen Gebärmutterentfernung inklusive der Feten. „Ich musste schlucken, fand die Einschätzung der Ärzte zu endgültig.“ Die Designerin recherchierte selbst und stieß im Internet auf die Operationsmethoden, die Professor Köhler damals noch gemeinsam mit Prof. Achim Schneider an der Berliner Charité anwandte.

Im Juli 2008 wurde sie nach mehreren Vorgesprächen erstmals in Berlin operiert mit dem Ergebnis, dass die bösartigen Zellen nicht komplett entfernt werden konnten. Eine RTV kam nicht infrage, „dafür wäre bei Zwillingen die Gefahr eines vorzeitigen Blasensprungs zu groß gewesen.“ Einzige Alternative: Eine Chemotherapie während der Schwangerschaft, um eine Tumoraussaat so weit wie möglich einzudämmen, sofern die Beckenlymphknoten keinen Befall zeigen würden. Eine weitere Operation folgte, die Lymphknoten wurden entfernt und histologisch untersucht – Ergebnis: kein Tumorbefall. Gemeinsam mit ihrem Mann, Professor Köhler sowie einem Team aus Früh- und Neugeborenenmedizinern, Krebsspezialisten und Psychiatern entschied sich Friederike Pfeffer für die Chemotherapie. Ein Hörschaden, verursacht durch das nervenschädigende Platin in den Chemotherapeutika, sei die wahrscheinlichste Nebenwirkung für die ungeborenen Kinder gewesen. „Das Risiko konnten wir eingehen“, sagt sie. „Besser mit Hörschaden leben als gar nicht.“

Insgesamt drei Mal erhielt sie an jeweils drei Tagen hintereinander niedrig dosierte Chemotherapeutika anstatt – wie sonst üblich – eine große Menge auf einmal. Als sich nach der dritten Anwendung ihre Blutwerte drastisch verschlechterten, wurde die Behandlung abgebrochen.

Jetzt konnte Friederike Pfeffer nur noch warten, „denn im Grunde ging es ja nur darum, die Operation mit Geburt und gleichzeitiger Gebärmutterentfernung so weit wie möglich hinauszuzögern.“ Zuerst sollten die Zwillinge in der 28. Woche per Kaiserschnitt geholt werden, letztlich kamen Lieke und Paul in der 32. Schwangerschaftswoche gesund auf die Welt. Während sich Friederike Pfeffer von der Operation erholte, wurden die Babys noch sechs Wochen lang auf der Frühchenstation gepäppelt. Bis heute zeigen sie keinerlei Auffälligkeiten, auch keine Hörminderung. Auch Friederike Pfeffer geht es seit der Behandlung gut.

Friederike Pfeffer hat sich während der Schwangerschaft weder richtig schwanger noch richtig krank gefühlt: „Mit meinem dicken Bauch kam ich mir auf der onkologischen Station völlig deplatziert vor, aber die helle Freude über die Schwangerschaft mochte auch nicht aufkommen. Ich war irgendwo in der Mitte.“ Das sieht Sarah Dwinger anders. „Mich hat die Schwangerschaft aufrecht gehalten“, sagt die Hamburgerin. „Ansonsten wäre ich schon an der Diagnose zerbrochen.“

Anfang Oktober vergangenen Jahres besprach Professor Köhler mit der werdenden Mutter erstmals die mögliche Behandlungsmethode. Wenige Wochen später wurde sie in der Asklepios Frauenklinik Altona operiert. Professor Köhler entnahm Gewebeproben aus dem Gebärmutterhals und entfernte mehrere Lymphknoten aus der Bauchhöhle. Falls die Lymphknoten befallen gewesen wären, hätte dies einen Schwangerschaftsabbruch und eine Chemotherapie bedeutet. Kurz nach Weihnachten kam die Entwarnung: Die Gewebeproben waren unauffällig, die Lymphknoten frei von jeglichen Tumoren. „Nach dem Telefonat habe ich eine halbe Stunde lang geweint. Da habe ich erst gemerkt, wie viel Druck auf mir lastete“, sagt Dwinger.

Seitdem genießt Sarah Dwinger jeden Tritt ihres kleinen Sohnes und freut sich über ihren wachsenden Bauch. Der großartigste Moment wird jedoch noch kommen, „wenn ich mein Kind in den Armen halte. Ich weiß, dass sich jede Frau darauf freut, aber für mich wird es der unbeschreiblichste, der wundervollste Augenblick in meinem Leben sein.“