Hamburger Fischereiforscher bauen eine Gendatenbank auf, um falsch deklarierte Tiere aus westafrikanischen Fanggebieten identifizieren zu können

Hamburg. Den größten deutschen Fischereihafen hat: Frankfurt. Über den Flughafen strömen exotische Frischfische ins Land. Weitere Drehscheiben des Großhandels sind Bremerhaven und Hamburg. Fast 90 Prozent der in Deutschland konsumierten oder verarbeiteten Fische werden importiert. Und nicht immer ist klar, welche Art da gerade ins Land kommt. Hamburger Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Fischereiökologie und des Max-Rubner-Instituts für Ernährungsforschung entwickeln eine Gendatenbank, die bei der Bestimmung von Fischprodukten aus westafrikanischen Seegebieten helfen soll.

Bis Ende des Jahres soll die Sammlung Erbgut-Daten von rund 400 wirtschaftlich genutzten Fischarten beinhalten. Dann soll sie via Internet allen interessierten Lebensmittelkontrolleuren und Fischereiforschern zur Verfügung stehen. „Mit der Datenbank kann die Fischart zweifelsfrei bestimmt werden und das auch bei verarbeiteten Fischprodukten. Sind nämlich Kopf und Flossen erst einmal abgeschnitten, ist eine Bestimmung nach äußeren Merkmalen kaum mehr möglich“, sagt Dr. Reinhold Hanel, Leiter des Instituts für Fischereiökologie an der Palmaille.

Bei ausgewählten Arten sollen die genetischen Fingerabdrücke der Fische auch Auskunft über deren Herkunft geben. Hanel: „Damit lässt sich die illegale Fischerei bekämpfen, die gerade vor Westafrika verbreitet ist.“ Denn viele Küstenstaaten, so Hanel, haben weder die Möglichkeit, die Entwicklung ihrer Fischbestände ausreichend zu kontrollieren, noch ausländische Fangflotten zu überwachen. Überwachungslücken werden selbst EU-Schiffen vorgeworfen, die auf Basis von bilateralen Abkommen mit einigen afrikanischen Staaten vor deren Küsten fischen – oft seien keine Kontrolleure an Bord vorgesehen, kritisiert der Fischereiökologe.

Den Anstoß für die Datenbank gab der Verbraucherschutz. Zwar haben allein die zehn wichtigsten Speisefischarten (Seelachs, Hering, Lachse, Thunfische/Boniten, Pangasius/Welse) einen Marktanteil von fast 75 Prozent. Doch mit dem zunehmendem Angebot von exotischen Wildfängen vor der afrikanischen Küste sowie aus dem Nordpazifik und Indischen Ozean kommen Arten ins Land, die bislang im Handel keine Rolle gespielt haben. Häufig bestünden „Schwierigkeiten bei der eindeutigen Identifizierung und Benennung der gehandelten Fische. Fehldeklarationen sind daher Tür und Tor geöffnet“, stellte das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt bereits in seinem Jahresbericht 2007/2008 fest.

Ein markanter Fall ist der Import von angeblichen Seeteufelschwänzen aus Afrika, die sich als Filets einer Kugelfisch-Art erwiesen. Die Ware kam über einen holländischen Importeur aus Gambia. Das Hygiene-Institut hatte den Fischereiforschern 2011 die unklare Fischprobe zum genetischen Abgleich mit bereits vorhandenen afrikanischen Referenzproben geschickt. Das Ergebnis Kugelfisch war nicht nur eine Verbrauchertäuschung, sondern hatte gesundheitliche Relevanz. Hanel: „Der japanische Kugelfisch Fugu ist für seine Giftigkeit bekannt, genauer: Seine Leber, Gallenblase und Fortpflanzungsorgane enthalten ein starkes Nervengift, das beim Menschen zu Atemlähmung führt. Über die Giftwirkung der afrikanischen Arten gibt es bisher keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen.“

Häufig sollen entfernte Verwandte teure heimische Edelfische ersetzen

Auf jeden Fall dürfen giftige Kugelfische in der EU nicht vermarktet werden – die Ware wurde aus dem Verkehr gezogen. Als der betroffene Hamburger Großhändler bei seinem holländischen Kollegen zwei ganze Fische als Referenz anforderte, schickte dieser wieder keine Seeteufel. Dieses Mal trafen Vertreter aus der Familie der Frosch- oder Krötenfische im Kühlhaus Fischmarkt ein.

2011 war ein Schwerpunktjahr für diese Art der Kontrollen. Von 73 in Hamburg genommenen Fisch- und Muschelproben waren 15 mit falschen Tierarten bezeichnet. Oft geht es bei Fehldeklarationen um Betrug – und um Geschmacksfragen. „Der nordatlantische Seeteufel hat eine sehr hohe Fleischqualität“, sagt Hanel, bei tropischen Arten sei dies nicht immer der Fall. Ähnliches gilt für Seezungen: Die europäische Seezunge Solea solea gilt als besonders edel und erzielt entsprechend hohe Preise. Fische für den deutschen Markt stammen meist aus Norwegen und Frankreich, aber auch in britischen und irischen Fanggebieten geht der elegante Plattfisch in die Netze. Doch die Seezungen-Großfamilie umfasst weltweit 89 Arten. Nicht jede kann geschmacklich mit den europäischen Verwandten mithalten. Und so tauchen bei Stichproben in Gastronomie und Handel schon mal preiswertere Vertreter aus der weltweit verstreuten Verwandtschaft als Solea solea auf.

Auch bei anderen Plattfischen sollen entfernte Verwandte die teureren heimischen Edelfische ersetzen, abzulesen an deutschen Bezeichnungen wie Tropischer Steinbutt, Pazifische Scholle, Pazifische Kliesche. Aus Westafrika stamme in den Fischauslagen „vieles, was bunt ist“, sagt der Fischereiökologe, etwa Juwelen-Zackenbarsche oder Red Snapper. Letzterer sei inzwischen oft zum Sammelbegriff geworden für „alles, was rot ist und Zähne hat“. Gerade aus der artenreichen Fangregion Westafrika liegen bis heute wenig Referenzdaten vor. Diese Lücke soll die Gendatenbank nun füllen.

Die Datenbank kann auch helfen, illegale Fischerei zu bekämpfen

„Wir haben aus früheren Forschungsprojekten vor Westafrika und durch Kooperationen mit einzelnen Ländern, etwa Angola und den Kapverden, bereits einen guten Fundus an Proben“, sagt Hanel. Weiteren Fisch liefern Probenahmereisen etwa nach Ghana und Gambia sowie Kooperationen mit Forschungspartnern vor Ort. Die engste Beziehung besteht mit Kollegen in Marokko, mit denen noch zwei Jahre lang Daten erhoben und gemeinsam analysiert werden.

Dabei geht es auch darum, die Fischerei vor Afrika nachhaltiger zu gestalten. Sehr oft fehlen Kenntnisse zur Abgrenzung verschiedener Bestände der einzelnen Arten, etwa beim Gelbflossenthunfisch, der in Deutschland gern zu Sushi verarbeitet wird. Hanel: „Der Gelbflossenthun ist weltweit in den Tropen und Subtropen verbreitet. Doch sind häufig weder Wanderwege noch Laichgebiete bekannt. Das Wissen um die Abgrenzung der Bestände ist aber eine Grundvoraussetzung für ein nachhaltiges Fischereimanagement dieser sehr wertvollen Arten.“

Schon die heutige Datenbasis hilft im Kampf gegen illegale Fischerei. So bestehen erste Kontakte mit Interpol, etwa im Fall von zwei Trawlern, die derzeit in Südafrika festgehalten werden. „Sie stehen unter Verdacht der illegalen Fischerei. Doch um dies zweifelsfrei festzustellen zu können, muss nachgewiesen werden, wo genau der beschlagnahmte Fisch gefangen wurde. Dafür ist eine sichere Artbestimmung der Fänge zwingend notwendig, denn vor Angola (Westafrika) schwimmen andere Arten als vor Mozambique (Ostafrika).“

In einigen Ländern Afrikas sei es schwierig, eine fundierte Expertise für die Artbestimmung der Meeresressourcen aufzubauen, so Hanel. Die oft fehlende Qualitätskontrolle sei auch ein Grund, weshalb vorhandene genetische Datenbanken nicht unbedingt genutzt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass der Fisch, dessen Probe analysiert wurde, falsch bestimmt worden war und die genetischen Daten deshalb einer falschen Art zugeordnet wurden.

Zukünftig könnten afrikanische Proben in Alkohol konserviert nach Hamburg geschickt und hier bestimmt werden, sagt Hanel. Die elegantere Lösung wird jedoch der Weg über das Internet werden, wenn die komplette Datenbank zum Projektende (Ende 2014) freigeschaltet wird. Hanel: „Jedes relativ simple DNA-Labor kann dann verdächtige Proben analysieren, das Ergebnis mit unserer Datenbank abgleichen und auf diesem Weg eine gesicherte Artbestimmung durchführen.“