Die EU startet Kampagne zur nachhaltigen Nutzung der Meere. Kommissarin Damanaki kommt nach Hamburg

Hamburg. Die große Fischereireform der Europäischen Union will in diesem Jahrzehnt dafür sorgen, dass die gut 120 verschiedenen Seefischbestände der europäischen Gewässer nachhaltig bewirtschaftet werden – und damit vielen Küstenkommunen ihren Haupterwerb langfristig sichern. Damit die im Dezember 2013 gefassten politischen Beschlüsse schnell in die Praxis einfließen, erarbeitet die EU-Kommission derzeit Ausführungsbestimmungen für die nationalen Gesetzgebungen. Zudem setzt sie auf öffentlichen Druck. Am heutigen Montag fällt im Internationalen Maritimen Museum in der HafenCity der offizielle Startschuss für die Internetkampagne Inseparable (unzertrennlich), die Handel und Verbraucher für Fischprodukte aus nachhaltigem Fang begeistern will.

EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki wird persönlich anreisen und für die Kampagne werben. Hamburg sei dafür ein guter Ort, sagt ihr Sprecher Oliver Drewes, selbst Hamburger. „Als Tor zur Welt steht die Stadt für den internationalen Handel und liegt ziemlich in der Mitte zwischen Skandinavien und Südeuropa. Zudem residieren hier viele Organisationen, die sich für den nachhaltigen Fischfang engagieren, etwa Greenpeace und WWF, sowie Institute der Fischereiforschung. Deutschland ist zudem ein wichtiges Mitgliedsland, das unsere Reform unterstützt und in der Diskussion um die Reform viel öffentlichen Druck ausgeübt hat.“

47 Prozent der EU-Fischbestände sind derzeit noch übernutzt

Diesen öffentlichen Druck gelte es zu erhalten, damit die Reform nun auch wirken könne, so Drewes: „Wenn niemand nachhaltigen Fisch verlangt, wird es ihn auch nicht geben. Ist umgekehrt die Nachfrage da, so gibt es ein wirtschaftliches Interesse, die Reform durchzusetzen.“ Dabei gehe es auch um effektivere Kontrollen in den EU-Gewässern und anderswo. „Wir wollen über bilaterale Fischereiabkommen erreichen, dass zum Beispiel auch afrikanische Länder die nachhaltige Fischerei durchsetzen.“

Vorerst gilt es jedoch, vor der eigenen Haustür zu kehren. Noch immer sind nach Kommissionsangaben 47 Prozent der Fischbestände, die von EU-Staaten kommerziell genutzt werden, überfischt. Immerhin hat sich die Situation gebessert, zumindest im Nordostatlantik inklusive Nordsee und Ostsee: Waren im Jahr 2005 noch 32 von 34 Beständen überfischt, so sank die Zahl auf 16 von 41 Beständen im Jahr 2012. Sehr viel trüber sieht es im Mittelmeer und im Schwarzen Meer aus: Dort gibt es für 85Bestände ausreichend viele Daten – 75 sind überfischt.

Die vielen Bestände kommen zustande, weil die Fischarten in verschiedenen Meeresregionen unterschiedliche Populationen ausbilden. So nennt das Internetportal Fischbestände Online für den in Deutschland angebotenen Hering vier Bestände: „Frühjahrslaicher“ der zentralen Ostsee, der westlichen Ostsee und der norwegischen See sowie „Nordsee-Herbstlaicher“. Während die Anzahl der Nordsee-Heringe im grünen Bereich liegt, schätzt das von Fischereiforschern betriebene Portal die Situation der Artgenossen in der westlichen Ostsee kritischer ein.

Hier schlägt sich schon die Fischereireform nieder: 2013 wurde die Berechnungsmethode für den Bestand „grundlegend überprüft und revidiert“. Die Masse der geschlechtsreifen Heringe sei zu niedrig, die Fangquoten zu hoch, um das Ziel eines „höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (MSY, Maximum Sustainable Yield) zu erreichen“, lautet das Urteil der Forscher. Ihr Fazit: „Die Summe der Höchstfangmengen wurde 2013 erneut zu hoch festgesetzt.“

Der MSY ist die neue Leitlinie der EU-Fischereipolitik. Die Fischbestände sollen sich so weit erholen können, dass sie anschließend deutlich stärker genutzt werden können als heute, ohne dass sie dadurch Schaden nehmen. 33 Bestände haben nach Angaben der EU-Kommission bereits im Jahr 2011 diesen Zustand erreicht. Dr. Iris Menn von Greenpeace überzeugt das noch nicht.

Die Situation in den europäischen Meeren habe sich geringfügig gebessert, aber keine Fischart werde überall nachhaltig gefangen, sagt Menn. Sie hatte am vergangenen Donnerstag gerade eine neue Version des Greenpeace-Fischratgebers präsentiert. „Unsere erste Version des Ratgebers erschien 2006 und war lange nicht so umfangreich wie heute. Die diesjährige Bewertung umfasst 110 Speisefischarten, aufgeteilt in 550 Wildbestände und 112 Herkunftsländer von Aquakulturen. In all den Jahren haben wir weder ein Trend zum Besseren noch zum Schlechteren.“

Menn hält das Bestandsmanagement MSY für das richtige Konzept: „Es ist nicht neu, wird aber bisher nicht umgesetzt. Denn es bedeutet, dass zunächst weniger gefischt werden darf, damit die Bestände wachsen können. Erst danach sind höhere Fänge möglich.“ Die Fischereireform hält die Meeresbiologin für einen „kleinen Schritt, der eigentlich ein großer Sprung hätte sein müssen“. Sie hofft, dass der „Kuhhandel“ der Minister um die jährlichen Quoten aufhöre, „weil die Politiker nun den wissenschaftlichen Empfehlungen folgen müssen, um den MSY zu erreichen“. Der Knackpunkt der Reform sei ihre Umsetzung, betont Iris Menn: „Die gemeinsame Fischereipolitik war auch bisher nicht so schlecht, aber die Umsetzung war katastrophal.“

Oliver Drewes und EU-Kommissarin Damanaki freuen sich, dass die Fischereipolitik ein Bürgerthema geworden sei. Fisch und Mensch gehören zusammen, sind unzertrennlich, so die Idee der EU-Kampagne. Sie will das Engagement der Fischliebhaber nun weiter fördern. Drewes: „Die Reform war erst der Anfang.“

Ein Blick in die USA lässt ahnen, dass nicht nur Fische und Konsumenten, sondern auch die Fischer von den strengeren Bewirtschaftungsregeln profitieren werden. Nach Kommissionsangaben sind die US-Bestände nur zu 21 Prozent überfischt (EU: 47 Prozent). Der Fischereisektor verdient dort umgerechnet rund 150 Milliarden Euro pro Jahr. In der EU liegen die Fänge zwar 20 Prozent höher, doch generieren sie nicht einmal 36 Milliarden Euro. Die Erklärung aus Brüssel: Wenn die Bestände gesund sind, ist der Fischfang profitabler. Es braucht weniger Aufwand, um Fische zu fangen. Es wird weniger Brennstoff verfahren. Die Tiere sind größer, somit schneller zu sortieren und teurer zu verkaufen.