Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frühzeit unseres Universums, um rätselhafte Phänomene wie die Dunkle Materie zu erklären.

Hamburg. Um das Restglimmen des Urknalls zu messen, der wohl vor 13,8 Milliarden Jahren stattfand, mussten die Instrumente an Bord des Satelliten Planck auf minus 270 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Denn eben dieser Temperatur entsprechen jene Lichtüberbleibsel, die aus einer Zeit stammen, als das Universum erst 380.000 Jahre alt war und es noch keine Sterne und Planeten gab, sondern nur heißes Gas. Damals herrschte eine extreme Hitze, doch mit der zunehmenden Ausdehnung des Kosmos hat sich die Strahlung immer weiter abgekühlt.

Weil die Planck-Instrumente also genauso kalt waren wie das empfangene Restglimmen, konnte der Satellit minimale Temperaturunterschiede in der Strahlung registrieren. Dabei handelt es sich um geringfügige Schwankungen in der Dichte des frühen Universums. Dort, wo mehr heißes Gas existierte, wurde durch die Schwerkraft weitere Materie angezogen. Diese Orte fungierten wohl als Keime für alle künftigen Strukturen im Weltall, also etwa für die Galaxien und die in ihnen versammelten Sterne und Planeten.

Anhand der Planck-Daten erstellte ein internationales Forscherteam die bislang präziseste Abbildung des Kosmos kurz nach seiner Geburt. Als die Wissenschaftler dieses „Babyfoto“ vor knapp einem Jahr präsentierten, war das ein Triumph der Physik. Denn dieser erste Teil der Daten, die der Satellit seit seinem Start ins All 2009 gesammelt hatte, ergibt nicht nur ein detaillierteres Bild als frühere Satellitenmissionen, sondern stützt genauer als je zuvor die meisten Berechnungen über die Beschaffenheit des frühen Universums. Allerdings zeigt die Temperaturkarte auch einige Auffälligkeiten, die Kosmologen immer noch vor Rätsel stellen.

Über die Bedeutung der Mission und offene Fragen spricht am 29. Januar in Hamburg einer der Spitzenforscher der Kollaboration, Prof. Simon White vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Der Vortrag (s.Terminhinweis), zu dem die Hamburger Akademie der Wissenschaften einlädt, bildet den Abschluss einer Tagung der Akademie-Arbeitsgruppe „Neue Herausforderungen der Kosmologie“. Deren Mitglieder können sich – ebenso wie Simon White und Tausende weitere Forscher weltweit – über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen.

Zwar gelang der Physik mit dem Nachweis des Higgs-Teilchens der größte Erfolg der vergangenen Jahrzehnte. Damit gilt die Theorie als bestätigt, wonach uns ein unsichtbares Feld umgibt, dass Teilchen ihre Masse verleiht. Das erklärt, warum sich Materie zusammenballt, warum es also uns Menschen gibt, Planeten wie die Erde, Sterne wie die Sonne. „Damit Teilchen eine Masse bekommen, muss es allerdings erst mal Teilchen geben, also Materie. Wie aber Materie überhaupt entstanden ist und wie die Häufigkeit der beobachteten Materie zustande kommt, ist unklar“, sagt Wilfried Buchmüller, Professor für Theoretische Physik am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) und Mitglied der Akademie-Arbeitsgruppe.

Die Grundlagen für die Häufigkeit der heute beobachteten Materie wurden vermutlich noch vor dem Zeitpunkt gelegt, den die Planck-Daten widerspiegeln, also in den ersten 380.000 Jahren. Während dieser Phase dürften auch jene Phänomene entstanden sein, die Forscher heute vor weitere Rätsel stellen. Mit dem Standardmodell der Teilchenphysik, das durch den Nachweis des Higgs-Teilchens komplettiert wurde, lassen sich nämlich nur fünf Prozent der messbaren Masse beziehungsweise Energie im Universum erklären, etwa Planeten und Sterne.

Der gewaltige Rest ist für uns unsichtbar und gefüllt mit der Dunklen Materie, die Galaxien wie Kitt zusammenhält und sich nur durch ihre Anziehungskraft (Gravitation) auf Himmelskörper zu erkennen gibt. Und mit der stärkeren Dunklen Energie, die dafür sorgt, dass sich das Universum trotzdem weiter ausdehnt, und zwar immer schneller. Woraus diese beiden Phänomene bestehen – unklar.

Nach Antworten suchen Forscher auf drei Wegen. Erstens: Sie untersuchen den Kosmos mit immer empfindlicheren Teleskopen, die auch extrem schwache Signale aus der Frühzeit des Universums erfassen. Zweitens: Sie simulieren im Teilchenbeschleuniger LHC am CERN in Genf Energien, die so wohl kurz nach dem Urknall herrschten, als alle Partikel entstanden, die heute bekannt sind (und womöglich auch Teilchen, die noch unbekannt sind). Und drittens: Sie berechnen, was nach dem Urknall geschehen sein könnte. Das Zusammenspiel aus kosmischer Beobachtung, Experiment und Theorie könnte die letzten großen Rätsel lösen.

Die Planck-Kollaboration wird voraussichtlich im Juni den zweiten Teil der von dem Satelliten gesammelten Daten vorstellen, in denen neue Erkenntnisse stecken könnten. Das Instrument selbst musste zuletzt allerdings abgeschaltet werden, weil ihm das Kühlmittel ausging. Ob es einen Nachfolger geben wird, ist offen.

Die größten Hoffnungen ruhen derzeit auf dem LHC, mit dessen Hilfe das Higgs-Teilchen nachgewiesen wurde. Der ringförmige Beschleuniger, in dem Atomkerne (Protonen) beinahe mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, wodurch neue Teilchen entstehen, lief bisher nur mit halber Energie und lieferte nur einen kleinen Teil der angepeilten Kollisionen. Derzeit wird die Maschine technisch aufgerüstet. 2015 sollen neue Experimente beginnen. An ihnen werden auch mehr als 100 Forscher vom DESY und der Universität Hamburg beteiligt sein.

„Es herrscht eine Spannung in der Community, die fast fühlbar ist“, sagt Jan Louis, Professor für Theoretische Physik an der Universität und Sprecher der Akademie-Arbeitsgruppe. Louis arbeitet an Theorien zur sogenannten Supersymmetrie (SUSY). Ihr zufolge hat jedes der bisher entdeckten Elementarteilchen noch ein Partnerteilchen. Die Supersymmetrie könnte die Zusammensetzung der Dunklen Materie erklären, denn diese besteht womöglich aus SUSY-Teilchen. Bisher haben die Experimente im LHC allerdings keine Hinweise auf solche Partikel ergeben, und es ist offen, ob die künftig in dem Beschleuniger produzierten Energien überhaupt ausreichen werden, SUSY-Teilchen zu erzeugen.

Größere Aufmerksamkeit haben zuletzt wieder die sogenannten String-Theorien erhalten. Diese erstmals in den 1960er-Jahren entwickelten Modelle basieren auf der Vermutung, dass alle Materie nicht aus Teilchen im Sinne von Punkten besteht (also Objekten ohne Dimension), wie es das Standardmodell beschreibt, sondern aus winzigen eindimensionalen Fäden (strings). Die Vielfalt der Schwingungen dieser Fäden erzeugt die Vielfalt der Teilchen. String-Theorien sagen meist eine Vielzahl von zusätzlichen Teilchen voraus und sind insofern mit der Theorie der Supersymmetrie verknüpft.

Auch gibt es den Modellen zufolge nicht nur drei, sondern neun verschiedene Raumdimensionen. Warum wir davon nichts bemerken? Weil die sechs zusätzlichen Dimensionen der Theorie zufolge zu mikroskopisch kleinen Gebilden aufgewickelt sind. Strings sind allerdings so winzig, dass sie dort hineinpassen. Mit der bisherigen Technik ließen sich die postulierten Extradimensionen nicht nachweisen.

In Hamburg arbeiten etwa 100 Wissenschaftler in einem Sonderforschungsbereich daran, die String-Theorie mit der Teilchenphysik und den Forschungen über das frühe Universum zu verbinden. Zu diesem Team gehört neben den Professoren Buchmüller und Louis auch der theoretische Physiker Alexander Westphal vom DESY. „Ein großer Vorteil von String-Theorien ist, dass man mit ihnen widerspruchsfrei beschreiben kann, wie es kurz nach dem Urknall zu einer Phase extrem schneller Ausdehnung kam, die die unterschiedliche Dichte von Materie erzeugen kann“, erläutert Westphal. „Ein weiterer Beitrag der Theoretiker besteht unter anderem darin, zu berechnen, wie Experimente am LHC in Genf aufgebaut sein müssten, damit sich dabei Signale zeigen, mit denen sich die Theorien von Strings und Supersymmetrie bestätigen ließen.“

Wenn allerdings auch der erstarkte LHC ab 2015 keine SUSY-Teilchen findet, werden String-Theorien weiterhin nur ein Gedankenspiel bleiben. Wenn auch ein schönes.

Vortrag: „Lichtspur des Urknalls“ von Simon White, 29.1., 19 Uhr, Veranstaltungshaus der Patriotischen Gesellschaft, Reimarus-Saal, Trostbrücke 6. Anmeldung: www.awhamburg.de/veranstaltungen oder Telefon 42948669-0