Experten wollen ein Sedimentmanagement entwickeln, das die Gewässerstruktur verbessert und die Elbe wieder naturnäher macht.

Hamburg. Jedes Jahr fehlen der Elbe oberhalb des Wehrs Geesthacht etwa 450.000 Tonnen Sedimente. Weil Staustufen im tschechischen Teil und in den wichtigen Nebenflüssen Schwarze Elster, Mulde, Saale und Havel Sand, Kies und Geröll zurückhalten, bedient sich das strömende Wasser im Flussbett. Die Folge: Die Elbe vertieft sich und trennt sich dadurch von ihrer Aue. Dieser Prozess sowie technisch verstärkte Ufer, abgetrennte Auwälder und andere menschlichen Eingriffe haben die Elbe deutlich verändert. Experten der Flussgebietsgemeinschaft Elbe, der Bundesländer im Elb-Einzugsgebiet, wollen nun ein Sedimentmanagement entwickeln, das die Gewässerstruktur verbessert und die Elbe wieder naturnäher macht. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gibt vor, dieses Ziel bis 2015 zu erreichen.

Ob ein Fluss gesund ist, entscheidet nicht allein die Wasserqualität. Auch seine Struktur und Dynamik (Hydromorphologie) macht ihn zu einem mehr oder minder wertvollen Lebensraum für Flora und Fauna. In einem Workshop zum Thema Sedimentmanagementkonzept in Hamburg legten Wissenschaftler der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) eine Sedimentbilanz vor, die die Schwachstellen der Binnenelbe (deutsch-tschechische Grenze bis Wehr Geesthacht) aufzeigt. Dr. René Schwartz von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) in Hamburg leitete die Bestandsaufnahme der Tideelbe (Geesthacht bis Cuxhaven).

Die Sohlenerosion durch Sedimentmangel hat gravierende ökologische Folgen. Die wichtigste sei die „Entkopplung von Flussbett und Aue“ durch den sinkenden Flusswasserstand, sagt Dr. Ina Quick von der BfG. Dies könne langfristig zum Rückgang von auetypischen Lebensräumen führen. Zu diesen Lebensräumen gehören Altarme, die noch in Verbindung zum Fluss stehen. Hier vermehren sich zum Beispiel Hechte, andere Fische nutzen die ruhigeren „Sackgassen“ zum Überwintern oder zur Nahrungssuche. Manche Arten bevorzugen Altwässer, die nur bei Hochwasser mit der Elbe in Verbindung stehen. Hier finden sich unter anderem Fische wie Karpfen, Rotfeder und Moderlieschen. Sie leiden ebenso wie Amphibien darunter, dass viele Altwässer durch den tiefer gelegten Flusslauf im Sommer frühzeitiger austrocknen.

Auch die Wasserversorgung der Auwälder verschlechterte sich. Die Wälder im Bereich der Mittleren Elbe bei Dessau (Sachsen-Anhalt) waren über Jahrzehnte das letzte Refugium der Elbebiber, die sich inzwischen wieder bis in die Region Hamburg ausgebreitet haben. Hier leiden vor allem die alten Bäume. Und bei sommerlichem Niedrigwasser wird auch im Weltkulturerbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich (Sachsen-Anhalt) das Wasser knapp.

„Der für die Mittelelbe derzeit noch typische Auencharakter droht verloren zu gehen“, sagt René Schwartz von der BSU. Bäume der Hartholzaue, etwa Eichen und Ulmen, kämen in Wasserstress. Bäume der Weichholzaue, zum Beispiel Weiden, könnten ihren Konkurrenzvorteil, dass sie mehr als 100 Tage im Jahr überflutet sein können, ohne Schaden zu nehmen, nicht mehr ausspielen. Die Nutznießer seien zum Beispiel Pappeln, die in den trockeneren Flussauen verstärkt Fuß fassen, so Schwartz.

Neben der Sohlenvertiefung haben Eingriffe zur Landgewinnung, für den Hochwasserschutz und die Schifffahrt über Jahrhunderte das Gesicht des Flusses verändert. Die deutsche Elbe habe ein Großteil ihrer Auen eingebüßt, steht im Auenzustandsbericht des Bundesamts für Naturschutz. Mit Ausnahme des südlichsten, gebirgigen Abschnitts liegen die Verluste „zwischen 50 und mehr als 90 Prozent“.

Während die Binnenelbe dennoch als naturnahes Gewässer eingestuft wird, gilt die Tideelbe als „erheblich veränderter Wasserkörper“. Neben der Fahrrinnenvertiefung zwischen der Elbmündung und dem Hamburger Hafen rückten die Deiche immer stärker an den Hauptstrom heran. Vorländer gingen verloren, Nebenflüsse wurden abgeschnitten, Flachwasserzonen aufgefüllt (berühmtestes Beispiel: die Teilzuschüttung des Mühlenberger Lochs). Vieles davon ist angesichts der heutigen Nutzungen nicht rückgängig zu machen. Dennoch suchen Experten nach Potenzialen, mehr Naturnähe zu schaffen.

Etwa 150 der 330 Uferkilometer der Tideelbe vom Wehr Geesthacht bis zur Nordsee sind so stark verbaut, dass dort kaum noch Pflanzen wachsen können. Was Ufer und Deiche schützt, beeinträchtigt den Artenschutz, die Gewässerqualität und den Freizeitwert. Im Raum Hamburg dominieren Steinschüttungen und Spundwände das Ufer.

Das BfG-Projekt „ElbService“, an dem sich die Universitäten Göttingen und Kiel beteiligen, befragt derzeit die Menschen entlang der Tideelbe, wie sie die Ufer nutzen und was sie dort für schön und wichtig halten. Die Fragebogenaktion dient dem Ziel, die Uferbefestigungen teilweise zurückzubauen – im Einklang mit dem Hochwasserschutz, der Schifffahrt und den Ansprüchen der Anwohner.

Auch der Umgang mit den Sedimenten, die sich im Hafenbereich ablagern, wird überdacht. Der ungeliebte Sand und Schlick kommt zum einen mit der Flut die Elbe hinauf und setzt sich während des Stillwassers (Wechsel zwischen Flut und Ebbe) in den Hafenbecken und -einfahrten ab. Zum anderen stammen die Sedimente aus dem Oberlauf. Gerade sie verursachen Probleme, denn sie können Schadstoffe enthalten, die sich vor Jahren und Jahrzehnten in Nebenflüssen (u.a. Mulde, Saale) oder in den Buhnenfeldern am Rande des Hauptstroms abgelagert hatten.

Vor allem bei Hochwasser wird das Sediment aufgewirbelt, was die Schadstoffe mobilisiert. Ein großes Problem für den Hamburger Hafen: Von den rund fünf Millionen Tonnen Sedimente, die die Hamburg Port Authority (HPA) alljährlich ausbaggern lässt, ist eine halbe bis eine Million Tonnen so stark mit Schadstoffen belastet, dass das Material teuer an Land deponiert werden muss. Dies verursacht drei Viertel der Gesamtkosten der Baggerarbeiten.

Um das Problem zu bekämpfen, hat die Stadt im April 2010 ELSA ins Leben gerufen, das Projekt „Schadstoffsanierung Elbsediment“. Es fördert die Zusammenarbeit der Bundesländer im Elb-Einzugsgebiet sowie tschechischer Behörden mit dem Ziel, die Schadstoffquellen im Flusssystem zu reduzieren. Dabei stehen zunächst drei Altlasten im Vordergrund: die aufgegebenen Bergbaureviere des Erzgebirges, der Muldestausee und Bereiche der Elbaue, in denen sich bei Hochwasser schadstoffbelastete Schwebteilchen abgelagert haben.

Diese, auch Feinsediment genannten, Schwebstoffpartikel sind – im Gegensatz zu den gröberen Sedimenten Sand, Kies, Geröll – in der Elbe überreichlich vorhanden. Sie verteilen nicht nur Schadstoffe elbabwärts, sondern können im Sommer auch zu Sauerstoffdefiziten führen: Viele Schwebstoffe sind winzige Algen, die irgendwann absterben und dann zersetzt werden. Dieser Prozess verbraucht Sauerstoff. Zudem trüben die Partikel das Wasser, so dass weniger Licht an die Unterwasserflora dringt, die dadurch weniger Sauerstoff produziert.

Der Weg zur naturnäheren Elbe ist ein Balanceakt, der die Interessen der Flussanrainer, der Schifffahrt und des Hochwasserschutzes wahren muss. Die BfG-Experten schlagen mehrere Maßnahmen vor. So könnten Vorländer, die dem Wasser den Weg in die Auen abschneiden, parallel zum gesunkenen Wasserstand tiefergelegt werden. Das abgebaggerte Material könnte, wenn es nicht schadstoffbelastet ist, an Stellen mit starker Sohlenerosion gezielt dem Fluss zurückgegeben werden, um sein lädiertes Bett wieder aufzufüllen. Mit der Frage, in welchen Flussabschnitten solche Geschiebezugaben angebracht sind, befasst sich die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Schließlich soll die Elbe im Einklang mit ihren Nutzern gesunden.