Nach 957 Tagen „Tiefschlaf“ soll der unbemannte Kometenjäger der europäischen Weltraumagentur Esa in den Tiefen des Alls wieder zum Leben erwachen. Seit Juni 2011 reist er im Energiespar-Modus.

Darmstadt/Köln. Am Montag um Punkt 11.00 Uhr klingelt in der Raumsonde „Rosetta“ der Wecker: Nach 957 Tagen „Tiefschlaf“ soll der unbemannte Kometenjäger der europäischen Weltraumagentur Esa in den Tiefen des Alls wieder zum Leben erwachen. 810 Millionen Kilometer von der Erde entfernt werden die Instrumente der Sonde schrittweise aktiviert, ehe „Rosetta“ sich auf den letzten Abschnitt ihrer langen Reise macht: Nach mehr als zehn Jahren im All soll die Forschungssonde im Sommer den Kometen mit dem Namen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko erreichen.

Das „Aufwachen“ von „Rosetta“ ist ein Meilenstein für die gesamte Mission, die als eine der spektakulärsten Unternehmungen der europäischen Raumfahrt gilt. Die Sonde soll in eine Umlaufbahn um den Kometen einschwenken und später das Landegerät „Philae“ auf dem Vier-Kilometer-Brocken aus Eis, gefrorenem Gas und Staub absetzen.

Beide Manöver hat es in der Geschichte der Forschungsflüge zu Kometen noch nicht gegeben. Damit sei die „Rosetta“-Mission „eine der bisher komplexesten und anspruchsvollsten überhaupt“, beschrieb die Esa im Vorfeld ihren für Herbst geplanten „Ritt auf dem Kometen“.

Der Komet Tschurjumov-Gerasimenko umkreist alle 6,45 Jahre einmal die Sonne und gilt wie seine unzähligen Artgenossen als Überbleibsel aus der Entstehungszeit des Sonnensystems von 4,6 Milliarden Jahren. Forscher glauben, dass ein Teil des Wassers auf der Erde von Kometen-Einschlägen stammt – und wahrscheinlich auch viele organische Moleküle, die eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Leben gespielt haben.

Kein Wunder, dass die Wissenschaftler einige brennende Fragen an Kometen haben. Wie sind ihre Kerne chemisch und mineralogisch zusammengesetzt? Welche thermischen, elektrischen und magnetischen Eigenschaften haben sie? Und wie genau entstehen die Gasschweife, die Kometen im Anflug auf die Sonne bilden? Fragen, die „Rosetta“ und ihr Landegerät „Philae“ in diesem und im nächsten Jahr beantworten sollen.

Seit ihrem Start am 2. März 2004 hat „Rosetta“ 6,2 Milliarden Kilometer im All zurückgelegt. Dreimal holte sie auf ihrer Reise Schwung bei Umrundungen der Erde, einmal passierte sie den Mars, und zweimal begegnete sie kleinen Gesteinsbrocken, sogenannten Asteroiden. Im Juni 2011 wurde die Sonde schließlich aus Energiespargründen in eine „Tiefschlafphase“ versetzt. Nach der automatisierten Aufwachsequenz am Montag soll sie weiter Kurs auf Tschurjumov-Gerasimenko halten und den Kometen planmäßig im August erreichen.

Dann beginnt eine Serie von Herausforderungen: Die vom Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt gesteuerte Sonde soll in die Umlaufbahn des Kometen einschwenken und zunächst einmal seine Oberfläche kartieren. Im November soll dann der Landeroboter „Philae“ in Aktion treten und auf der Kometenoberfläche aufsetzen – gesteuert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Wenn „Philae“ die Kometenoberfläche berührt, wird ein harpunenartiger Anker abgeschossen, der sich in den Boden bohrt, damit der Kometenlander nicht ins All zurückgeschleudert wird.

Der Landeroboter soll Materialproben nehmen und analysieren

„Das Heikelste ist die Landung selbst“, sagt Stephan Ulamec (47), der „Philae“-Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Wir wissen nicht, ob die Oberfläche des Kometen weich oder hart ist.“ Gelandet wird deshalb möglichst langsam. „Wir werden versuchen, einen Aufprall zu verhindern.“ Während die Muttersonde den Kometen weiter umkreist, wird „Philae“ den Kern von Tschurjumov-Gerasimenko untersuchen. Er wird erste Bohrungen vornehmen, die Proben im integrierten Ofen analysieren und die Daten an „Rosetta“ senden. Gemeinsam mit seinen irdischen Begleitern wird sich der Komet dann in den folgenden Monaten stetig der Sonne nähern, um im August 2015 seinen sonnennächsten Punkt zu erreichen. Dabei wird der Komet durch die Sonnenwärme nach und nach aktiv. Was genau dabei auf dem Schweifstern passiert, sollen die Messgeräte von „Rosetta“ und „Philae“ aufzeichnen.

Angesichts der Nähe zur Sonne wird es für den Landeroboter dann voraussichtlich zu heiß – Ulamec geht davon aus, dass das Instrument den Hitzetod stirbt. So sieht es auch Esa-Flugdirektor Paolo Ferri. Aber das macht den Wissenschaftlern keinen Strich durch die Rechnung. Ferri: „Wenn ,Philae‘ gelandet ist, hat er schon ein paar Tage danach seinen Dienst getan.“ Doch vor alledem steht der Weckruf. Das Aufwachen am Montag sei mit dem Hochfahren eines Computers zu vergleichen, erläutert Paolo Ferri. Der Vorgang werde vermutlich zwischen 18.30 und 19.30 Uhr beendet sein –„bevor ,Rosetta‘ das Signal zur Erde schickt, dass alles in Ordnung ist, müssen die Systeme erst wieder warm werden.“

Verläuft die „Rosetta“-Mission planmäßig, könnte sie ein Meilenstein in der Kometenforschung werden. Wie die Namensgeberin in der Archäologie: In der ägyptischen Stadt Rashid (Rosetta) wurde 1799 der berühmte Stein von Rosetta gefunden, dessen Inschriften zusammen mit denjenigen auf einem Obelisken aus der Stadt Philae die Entschlüsselung der altägyptischen Hieroglyphen ermöglichte.