Bernd-Ulrich Netz, der neue Leiter der Abteilung Naturschutz in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, spricht im Interview über Chancen und Konflikte beim Umweltschutz.

Hamburg Der Naturschutz in Hamburg bekommt eine neue Stimme. Bernd-Ulrich Netz, bisheriger Leiter der Integrierten Station Unterelbe des Landes Schleswig-Holstein in Haseldorf, übernimmt die Abteilung Naturschutz im Amt für Natur- und Ressourcenschutz der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Am Montag um neun Uhr wird er sich seinen knapp 40 Mitarbeitern offiziell vorstellen, von denen er einige schon aus seinen vorherigen Tätigkeitsfeldern kennt. Das Abendblatt sprach vorab mit dem 48-Jährigen über den Stellenwert des Naturschutzes in Hamburg, über Konflikte und Ziele.

Hamburger Abendblatt: Hamburg, die grüne Metropole. Mit diesem Slogan wird für die Hansestadt weit über ihre Stadtgrenzen hinaus immer wieder geworben. Heißt das im Umkehrschluss, dass der Naturschutz automatisch Vorrang vor allem anderen hat?

Bernd-Ulrich Netz: Nein, das glaube ich nicht. So eine Metropole wie Hamburg muss funktionieren, da gibt es 1000 verschiedene Interessen und Ansprüche. Aber ich denke, Naturschutz hat einen wichtigen Flächen- und Nutzungsanspruch in unserer Stadt. Den müssen wir natürlich auch geltend machen und der muss sich immer einmal wieder aufs Neue durchsetzen können.

Viele Bürger nehmen eine andere Entwicklung wahr: Im Siedlungsbereich verschwindet immer mehr Grün.

Netz: Die Naturschutzabteilung hat sich immer in erster Linie um die Naturschutzgebiete gekümmert und wird das auch in Zukunft tun. Diese Aushängeschilder wollen wir zum Glänzen bringen, wenn sie das noch nicht tun. An der einen oder anderen Stelle müssen wir da noch ein wenig nachlegen, denn ich würde mir die Naturschutzgebiete so wünschen, dass die Bürger sagen: „Wenn es richtig toll sein soll, dann gehe ich ins Naturschutzgebiet.“ Darüber hinaus wirkt Naturschutz immer auch außerhalb der Gebiete. Aber wir können beim Schutz der Natur nicht den Anspruch haben, für jeden Quadratmeter Hamburgs Zielvorgaben zu machen und dann auch durchzusetzen. Dass wir aber versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten auch in den Siedlungsbereichen möglichst viel Grün zu schaffen oder zu erhalten, ist selbstverständlich. Da marschieren wir mit der Grünflächenabteilung zusammen, die da den stärkeren Zugriff darauf hat.

Ein angewandtes Naturschutzprojekt in Zusammenarbeit mit Betrieben und Industrie ist in Hamburg derzeit in Vorbereitung: die Idee, nicht genutzte Flächen auf Firmengeländen für die Natur zur Verfügung zu stellen. Noch sind da aber rechtliche Fragen zu klären, weil Firmen Bedenken haben, aus dieser Form der Nutzung vielleicht nicht mehr herauszukommen.

Netz: Das kenne ich aus Schleswig-Holstein. Da haben wir mit einem Betrieb im Industriegebiet Brunsbüttel einen Vertrag geschlossen wie mit einem Landwirt. In dem Vertrag stand, dass die Fläche nach fünf Jahren rechtlich so gestellt wird wie zuvor. Das war eine einfache Lösung, und ich denke, das kann man vielleicht auf Hamburg übertragen – auch wenn es noch artenschutzrechtliche Ecken und Kanten gibt, wo man noch einmal genau hingucken muss. Aber grundsätzlich wäre es eine tolle Chance, wenn man drei, vier oder fünf Jahre irgendwo etwas für den Naturschutz tun kann, anstatt dass da nur Gras gemäht wird.

Die Verantwortung für die 32 Hamburger Naturschutzgebiete liegt bei einigen der Flächen bei den Bezirken, bei anderen bei der Umweltbehörde. Macht das in Ihren Augen Sinn?

Netz: Ja. Es hat schon immer diese Zweiteilung gegeben. Man muss ja nicht immer aus der Zentrale regeln, was in den Bezirken geregelt werden kann. Ich finde es wichtig, dass wir mit den Bezirken einen regen Fachaustausch pflegen. Dann ist das kein Konflikt-, sondern ein Kooperationsfeld.

Stört es Sie, dass in Ihrer neuen Behörde die Stadtentwicklung mit dem Umwelt- und Naturschutz zusammengefasst ist? Und dass die Stadtentwicklung dabei im Namen vorne steht?

Netz: Nein. Wir wollen in Hamburg Stadtentwicklung und Naturschutz betreiben. Wir haben generell einen Interessenkonflikt, wenn wir auf derselben Fläche bauen und Naturschutz machen wollen. Diesen Konflikt muss man dann lösen – und da ist es egal, ob damit eine oder zwei Behörden befasst sind. Wir müssen den Naturschutz mit guten Argumenten positionieren. Klar ist für mich: Eine Stadt wie Hamburg wird man in der städtebaulichen Entwicklung nicht zum Stillstand bringen. Das wollen wir auch nicht, und das würde man auch nicht können. Auf der anderen Seite kann ich mir keine Stadt vorstellen, wo auch noch der letzte Quadratmeter verbaut ist. Zehn Prozent der Hamburger Landesfläche sind Naturschutzgebiete, die sind schon einmal tabu. Und dann gibt es eine ganze Menge Flächen, die unbebaut, aber nicht geschützt sind oder aber nur als Landschaftsschutzgebiet geschützt sind. Und da müssen wir sehen, dass wir städtebauliche Entwicklung zulassen und ermöglichen. Das heißt aber natürlich nicht, diese 20 Prozent, die da noch offen sind, nur als Bauerwartungsland zu sehen. Denn nur die Naturschutzgebiete alleine können es nicht richten. Wenn wir sagen, wir wollen eine grüne Metropole sein, wir wollen der Bevölkerung eine hohe Lebensqualität bieten, wir wollen, dass in der Innenstadt auch noch einmal ein Vogel und eine Wildpflanze vorkommen, dann brauchen wir da noch ein bisschen mehr.

Sind weitere Schutzgebiete in Hamburg oder Erweiterungen bestehender Gebiete geplant?

Netz: Sicherlich, aber in den Details stecke ich noch nicht drin. Am weitesten gediehen ist sicherlich die Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes Wilhelmsburger Elbinsel, was jedoch noch vom Senat beschlossen werden muss.

Stichwort Senat: Wie sehr schauen Sie auf politische Entscheidungen in Naturschutzbelangen auch auf Bundesebene?

Netz: Ich werde den Koalitionsvertrag auf jeden Fall in den relevanten Punkten lesen. Es gab ja in der letzten Periode das Vorhaben einer Bundeskompensationsverordnung, also einer bundeseinheitlichen Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft. Das ist im Grundsatz nicht verkehrt. In Hamburg gibt es noch das Staatsrätemodell aus den 1990er-Jahren, das als Hilfestellung für die Entscheidung über den Umfang von erforderlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen dient – und was im Grundsatz auch nicht verkehrt ist. Wenn es jetzt eine Bundeskompensationsverordnung gäbe, dann müssten wir uns dem anpassen und damit umgehen. Wenn es sie nicht geben sollte, müssen wir überlegen, ob das Staatsrätemodell noch zeitgemäß ist.

Haben Sie konkrete Ziele in Ihrem neuen Amt?

Netz: Ich will erst einmal ganz viel zuhören. Ich habe zwar schon relativ viele Erfahrungen im Naturschutz und auch Vorstellungen, wie ich was gut finde. Aber jetzt muss ich erst einmal hören, was die Mitarbeiter bisher gemacht haben und wo sie vielleicht Defizite sehen. Eine Mitarbeiterin hat mich bereits scherzhaft gefragt, ob ich zu meinem Dienstbeginn den Plan für die nächsten zehn Jahre vorstellen würde. Da habe ich geantwortet: „Nein, ich bin erst bei Jahr acht.“ Aber ganz im Ernst: Wir haben begrenzte Ressourcen. Wir können nicht alles machen, was wünschenswert ist, und das heißt, wir müssen die Ressourcen so effizient wie möglich einsetzen und so viel wie möglich aus den Möglichkeiten herausholen. Das ist mein Ziel.

Sie haben eben schon gesagt, dass Sie einige Erfahrung auf dem Gebiet des Naturschutzes haben. Wie war Ihr beruflicher Werdegang?

Netz: Ich habe Biologie in Hamburg und auch ein Jahr lang in Brighton in England studiert.

Mit Schwerpunkt Naturschutz?

Netz: Das war immer mein Berufswunsch. Aber im Studium habe ich mich für vieles interessiert, etwa für die Limnologie (die Lehre von den Binnengewässern, Anm. d. Red.). Und ich habe auch relativ viel Ahnung von Biotopkartierungen, von Pflanzen und auch von Vögeln. Aber ich bin nirgendwo der deutschlandweit gesuchte Experte für irgendetwas.

Die Kombination klingt für Ihren jetzigen Posten doch sehr geeignet.

Netz: Ich denke auch, das passt zu mir. Nach dem Studium hatte ich in einem Planungsbüro in Rellingen angefangen – ich bin auch Landschaftsarchitekt –, und habe zehn Jahre lang auch schon Pläne und Gutachten für die Umweltbehörde wie Bebauungspläne oder Flächennutzungspläne bearbeitet. Dann war ich für anderthalb Jahre im Bezirksamt Altona, was sich jetzt als Glücksfall herausstellt. Damals betreute der Bezirk drei Naturschutzgebiete – das habe ich hautnah mitbekommen und weiß jetzt auch unter anderem, wie etwa die Baumschutzverordnung umgesetzt wird. Von dort bin ich nach Schleswig-Holstein gegangen, habe das Elbmarschenhaus in Haseldorf aufgebaut und dort für das Umweltamt Itzehoe zehn Jahre lang Naturschutzarbeit geleistet. Das heißt, ich habe mich um die ganze Unterelbe von Hamburg bis zum Wattenmeer-Nationalpark kümmern dürfen.

Bleiben da noch Wünsche für Ihre jetzige Arbeit und für das Jahr 2014 offen – jetzt, wo das Weihnachtsfest schon fast vor der Tür steht?

Netz: Ich möchte die Naturschutzgebiete optimieren, soweit sie es noch nicht sind. Das ist mein ganz persönlicher Wunsch.