Der weltweit wichtigste Kraftwerksbrennstoff legt immer noch zu, obwohl er den höchsten CO2-Ausstoß von allen Energieträgern hat

Hamburg/Washington. Am Freitag geht der Weltklimagipfel voraussichtlich ohne große Ergebnisse in Polen zu Ende. Das Gastgeberland erntete wegen seiner oft wiederholten Bekenntnisse zum Energieträger Kohle internationale Kritik. Doch Polen ist nicht allein. Die weltweite Kohleverbrennung habe einen Anteil von 43 Prozent am globalen Treibhausgasausstoß, schreibt das World Resources Institute (WRI) in Washington. Es präsentierte in dieser Woche ein Arbeitspapier, nach dem weltweit fast 1200 neue Kohlekraftwerke geplant sind. 363 Projekte listete das WRI für China auf, 455 für Indien. China ist heute schon Kohleverbraucher Nummer eins, gefolgt von den USA, Indien und Russland. Deutschland belegt Rang fünf, Polen Rang acht.

Fast drei Viertel aller heute bekannten fossilen Energiereserven müssten im Boden bleiben, um das internationale Ziel, die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen, einhalten zu können. Auf dem Klimagipfel 2010 im mexikanischen Cancún bekannte sich die Weltgemeinschaft zu dieser Zielmarke, bei der nach heutigem Kenntnisstand die Folgen des Wandels mit großer Wahrscheinlichkeit beherrschbar bleiben.

Nach dem im November veröffentlichten fünften Bericht des Weltklimarats IPCC dürfen bis Ende des Jahrhunderts maximal 1050 Milliarden Tonnen (Gigatonnen, Gt) Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen werden. Allein die globalen Kohlereserven enthalten so viel Kohlenstoff, dass ihre Verbrennung 2191 Gt CO2 freisetzen würde, hinzu kommen potenzielle 982 Gt CO2 aus den Ölreserven und 690 Gt CO2 aus Gas.

Unter den fossilen Energieträgern enthält Kohle am meisten Kohlenstoff. Selbst die effizientesten Kohlekraftwerke emittieren mehr als doppelt so viel CO2 wie moderne Gaskraftwerke (750 Gramm CO2 pro erzeugter Kilowattstunde (kWh) Strom gegenüber 350 g CO2/kWh). Das steht in einem am Montag veröffentlichten Positionspapier von 27 renommierten Wissenschaftlern aus aller Welt, darunter drei aus Deutschland: Prof. Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Dr. Felix Christian Matthes (Öko-Institut) und Prof. Hans-Joachim Schellnhuber (Postdam-Institut für Klimafolgenforschung).

Die Wissenschaftler fordern eine Abkehr von den fossilen Energien, allen voran von Kohlekraftwerken: „Kohle ist der fossile Brennstoff, der am leichtesten durch nahezu CO2-freie Alternativen (erneuerbare Energien, die Red.) ersetzt werden kann, während die flüssigen fossilen Treibstoffe, die im Verkehrssektor eingesetzt werden, weitaus schwieriger zu ersetzen sind“, heißt es in dem Papier.

Der globale Trend geht in die entgegengesetzte Richtung. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ist Kohle im 21. Jahrhundert der am schnellsten wachsende Energieträger – mit einem Anteil von 40 Prozent der weltweiten Stromproduktion. Der Zuwachs im vergangenen Jahrzehnt sei vor allem durch das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern mit Schwerpunkt China entstanden, so die IEA. Mit der Kohlenutzung wuchs der globale CO2-Ausstoß. Im Vorfeld des Klimagipfels meldete die US-Energiebehörde für das Jahr 2011 einen weltweiten CO2-Ausstoß von 32,58 Gt – im Jahr 1990 lag er noch bei 21,52 Gt.

Selbst den Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken mit Wirkungsgraden um 45 Prozent halten die 27 Wissenschaftler nur dann für vertretbar, wenn sie entweder mit Systemen zum Abscheiden und Speichern von CO2 (sogenannte CCS-Technologie) ausgestattet sind oder aber im Gegenzug alte Kraftwerke verstärkt vom Netz genommen werden.

Beides ist konfliktträchtig. So regt sich in Deutschland überall dort Widerstand, wo potenzielle Standorte zur Einlagerung des CO2 erkundet werden. Und Vorschriften, die Kraftwerksbetreiber zwingen würden, ihre alten Anlagen vor Ende der Betriebsdauer stillzulegen, wären ein Eingriff in deren Eigentumsrechte. Zudem fundamentiere jedes neue Kohlekraftwerk die langfristige Nutzung des klimaschädlichen Energieträgers, denn für die Anlagen werden Laufzeiten von 40 bis 50 Jahren veranschlagt.

Neben China und Indien setzen vor allem die Türkei und Russland auf weitere Kohlekraftwerke, hier sind laut WRI jeweils knapp 50 Anlagen geplant. Aber auch Deutschland ist mit zehn Projekten aufgelistet, darunter zwei in Stade und eines Brunsbüttel. Zwei dieser drei Projekte wurden nach dem Zeitpunkt der Recherchen zur WRI-Studie (Juli 2012) abgesagt. Und in den USA ist neuerdings durch den stärkeren Einsatz der Fracking-Technologie eine leichte Verschiebung von Kohle zu Gas erkennbar.

Doch dies ist angesichts der weltweiten Entwicklung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Positionspapier der Wissenschaftler ist zu lesen: „Der derzeitige Trend der Kohlenutzung entspricht einem Emissionspfad oberhalb des Sechs-Grad-Szenarios der IEA. Damit wird eine Gefahr heraufbeschworen, die nur als katastrophal bezeichnet werden kann.“

Das WRI appelliert deshalb an die Delegierten dieses und der folgenden Klimagipfel, sie sollten eine Schlüsselrolle spielen bei der Verlagerung von der kohledominierten hin zu einer kohlenstoffarmen Energiewirtschaft. Dafür sei ein starkes Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls ein wesentlicher Baustein. Ein solches Abkommen soll laut Fahrplan der Vereinten Nationen 2015 in Paris beschlossen werden.