Die Domestizierung des Wolfs könnte zur Zeit der Jäger und Sammler auf unserem Kontinent begonnen haben, zeigt eine neue Studie.

Turku. Sogar in Schoßhündchen wie Chihuahuas und Rehpinschern steckt noch etwas Wildheit, zumindest in den Genen: Auch sie stammen vom Wolf ab – wie alle Haushunde. Daran lassen moderne DNA-Analysen keinen Zweifel. Unklar ist allerdings, wie und wo aus dem Raubtier ein freundlicher Begleiter des Menschen wurde. Einer neuen Studie zufolge gibt es starke Indizien, dass die Domestizierung des Wolfs in Europa begann und dass es Jäger und Sammler waren, die ihn zähmten – und damit den Grundstein für eine ganz besondere Beziehung legten.

Mit der Untersuchung, die jetzt im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wird, will ein internationales Forscherteam um den deutschen Evolutionsgenetiker Olaf Thalmann von der Universität Turku in Finnland jene Widersprüche beseitigen, die seit etwa zehn Jahren die Diskussion über den Ursprung der Domestizierung prägen. „Wir haben die Expertise von Genetikern und Paläontologen zusammengebracht“, sagt Thalmann. Außerdem habe sein Team erstmals sehr alte Fossilien mit den derzeit genauesten Methoden der Gensequenzierung untersucht.

Die fachliche Herangehensweise, das Alter der analysierten Genproben, die Untersuchungsmethode – all das spielt eine Rolle, wenn man den Forschungsstand verstehen will. Genetiker hatten bisher überwiegend das Erbgut von heute lebenden Hunden und Wölfen erforscht. Der Befund: Der Ursprung der Haushunde liege wohl in China, wo die Domestizierung in der Zeit vor 15.000 bis 30.000 Jahren stattgefunden habe, oder im Nahen Osten (hier wurde der Ursprung nicht genauer datiert, weil die Daten nicht aussagekräftig genug waren).

Beide Thesen passten allerdings nicht zu den Befunden von Paläontologen. Diese verwiesen vor allem auf ein 15.000 Jahre altes Tierfossil, das hinsichtlich morphologischen, also die Gestalt betreffenden Merkmalen eindeutig modernen Hunden zuzuordnen ist, das allerdings weder in China noch im Nahen Osten gefunden worden war, sondern im sogenannten Doppelgrab von Oberkassel. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die hundeähnlichen Merkmale dieses Tieres über mehrere Generationen entwickelt haben“, sagt Olaf Thalmann. „Also begann die Domestizierung wohl früher – und dabei muss Europa definitiv eine Rolle gespielt haben.“

Die „Verwandlung“ begann vor 19.000 bis 32.000 Jahren

Welche Gruppe hat recht? Die nun veröffentlichte Studie stützt die Befunde der Paläontologen. Das 30-köpfige Team um Thalmann untersuchte zunächst Fossilien von 18 Wölfen und Hunden aus Europa, Nordamerika und Russland, die 1000 bis 36.000 Jahre alt sind, darunter auch eine Probe von dem Hundefossil aus Oberkassel. Dabei entzifferten die Forscher bei den meisten Proben die gesamte mitochondriale DNA (siehe Infokasten). Proben aus China flossen Thalmann zufolge nicht mit ein, weil bisher keine Fossilien von Hunden und Wölfen aus dem Land bekannt sind, die älter als 13.000 Jahre sind. Bei Fossilien aus Israel habe die DNA-Analyse nicht richtig funktioniert; die Fossilien seien allerdings ohnehin jünger als 15.000 Jahre und insofern nur bedingt aussagekräftig für den Beginn der Domestizierung.

Anschließend verglichen die Forscher die mitochondriale DNA aus den Fossilien mit der von 77 heute lebenden Hunden verschiedener Rassen und der von 49 heute lebenden Wölfen. Das Ergebnis dieser Stammbaumanalyse: Alle modernen Hunde lassen sich in vier Gruppen unterteilen. Drei Gruppen sind am engsten mit Wölfen verwandt, die früher in Europa lebten; die mitochondriale DNA der vierten Gruppe passt am ehesten zu Wölfen, die heute in Europa leben. Berechnungen hätten anschließend ergeben, dass die „Verwandlung“ vom Wolf zum Hund in der Zeit vor etwa 19.000 bis 32.000 Jahren stattgefunden habe.

Was aber, wenn in China, im Nahen Osten oder anderswo außerhalb Europas Fossilen mit hundeähnlichen Merkmalen gefunden würden, die 20.000 oder 30.000 Jahre alt sind – müssten die Forscher dann ihre These über den Haufen werfen? „Nicht unbedingt“, sagt Thalmann. „Von den 18 Fossilien, die wir untersucht haben, stammte eine 31.500 Jahre alte Probe von einem Tier, das bisher als Hund beschrieben wurde und als einer der ersten Hunde galt. Unsere Genanalysen zeigen aber, dass dieses Tier mit modernen Hunden nicht eng verwandt war. Selbst wenn also etwa in China Fossilien gefunden würden, die ähnlich alt sind, heißt das noch lange nicht, dass es sich um eine Linie handelt, die den Ursprung der Domestizierung erklärt.“

Womöglich entstand die Beziehung zwischen Hund und Mensch also in Europa – aber wie genau kam es dazu? Darüber können die Forscher um Olaf Thalmann nur spekulieren. Immerhin gebe es starke Indizien, sagt der Evolutionsgenetiker. Bisher vermuteten Wissenschaftler, dass die Domestizierung mit dem Beginn der Landwirtschaft vor etwa 12.000 Jahren zu tun hatte, als immer mehr Menschen sesshaft wurden. Die in der neuen Studie vorgeschlagene Datierung für den Beginn der Domestizierung vor 19.000 bis 32.000 Jahre spreche jedoch vielmehr dafür, dass es Jäger und Sammler waren, die junge Wölfe aufzogen und so mit der Domestizierung begannen, sagt Thalmann.

Denkbar sei ein Szenario, bei dem beide Seiten profitierten. „Wölfe hielten sich womöglich in der Nähe des Menschen auf, um Speisereste zu fressen, Überbleibsel von der Großwildjagd, während die Menschen davon profitierten, dass der Wolf in der Nähe lebte, weil er Laut gab, wenn sich weitaus größere Raubtiere näherten, die es damals noch gab, etwa Höhlenbären und Höhlenlöwen.“