Mit den möglichen Folgen von extremen Naturereignissen beschäftigen sich einige Länder noch zu wenig, sagt ein Hamburger Experte.

Hamburg. Wie lassen sich Naturgefahren besser einschätzen und Schäden reduzieren? Darüber sprach das Abendblatt mit Dr. Klaus Peter Koltermann. Der Experte für physikalische Ozeanografie leitete nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 bei der Unesco den Stab für den Aufbau der Frühwarnsysteme im Indischen und Atlantischen Ozean und in der Karibik. Seit 2010 baut er in Moskau einen Lehrstuhl für die Bewertung von Naturrisiken auf. Er lebt in Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Durch den Taifun „Haiyan“ auf den Philippinen sind wohl mehr als 10.000 Menschen umgekommen, Hunderttausende wurden obdachlos. Ist die Menschheit solchen Naturgewalten hilflos ausgeliefert?

Klaus Peter Koltermann: Wirbelstürme, Erdbeben und Tsunamis lassen sich nicht verhindern. Extreme Wetterereignisse sind zwar selten, aber sie kommen immer wieder vor. Der Grad unserer Hilflosigkeit lässt sich jedoch mindern. Wir könnten uns besser schützen.

Etwa durch eine genauere Vorhersage?

Koltermann: Man kann zwar berechnen und simulieren, wie sich unter bestimmten extremen Wetterbedingungen ein Taifun entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies dann genauso eintritt, ist allerdings gering. „Haiyan“ war nicht genügend vorhersagbar. Dass der Sturm eine solche Größe haben und mit Böen von bis zu 380 km/h wüten würde, war äußerst unwahrscheinlich – und es ließ sich erst kurz vorher absehen. Bei dem Frühwarnsystem, das nach dem Tsunami in Thailand und Indonesien 2004 im Indischen Ozean installiert wurde, bleiben nach einer Warnung 20 bis 40 Minuten zur Evakuierung eines Küstenabschnitts. In beiden Fällen muss diese Vorwarnzeit genutzt werden, um zu reagieren.

Welche Schutzmaßnahmen helfen darüber hinaus?

Koltermann: Ganz wichtig ist die Vorbereitung. Bei dem gewaltigen Seebeben vor der Küste Japans im Jahr 2011 kam es im Atomkraftwerk von Fukushima zur Katastrophe, weil man beim Bau offenbar nicht in Betracht gezogen hatte, dass ein zehn Meter hoher Tsunami auf die Küste treffen könnte. In Tokio hingegen kamen durch das Beben weder Menschen noch Gebäude zu Schaden, weil dort seit 40 Jahren versucht wird, erdbebensicher zu bauen. Und die Evakuierungen von Gebäuden liefen routiniert ab, die Leute gingen geordnet zu Sammelplätzen, hatten Helme auf. Dieses Verhalten wird seit vielen Jahrzehnten trainiert.

Auf den Philippinen ist das nicht so?

Koltermann: Es gibt dort ein sehr gutes seismisches Beobachtungssystem, denn bisher waren vor allem Erdbeben und Vulkanausbrüche ein Problem. Diese kommen ohne lange Vorankündigung. Die Menschen sind zwar an Taifune gewöhnt, aber noch nicht an derart starke Stürme. Doch auch in diesem Punkt hat sich einiges getan. 2012 forderte der Taifun „Bopha“ im Süden der Philippinen mehr als 500 Todesopfer. Seitdem ist das Warnsystem verbessert worden; Warnungen ergehen jetzt gezielt für bestimmte Gebiete. Auch der Ablauf der Hilfsaktionen hat sich verbessert. Nach „Haiyan“ haben die Behörden offenbar versucht, so schnell wie möglich die Straßen freizuräumen, um die Betroffenen schnell mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgen zu können. Der Wiederaufbau wird erst später beginnen. Ein Chaos, wie es 2004 in Thailand und Indonesien entstand, weil die Rettung und die Versorgung von Betroffenen und verschiedene Aufräumarbeiten an einigen Orten gleichzeitig stattfanden und sich Helfer behinderten, wird so abgewendet.

Trotzdem sind durch „Haiyan“ viel mehr Menschen gestorben als durch „Bopha“ im vergangenen Jahr.

Koltermann: Das hat neben der größeren Stärke des aktuellen Supertaifuns wohl damit zu tun, dass immer noch viele Menschen von den Warnungen nicht erreicht wurden oder nicht reagierten. Etwa, weil sie den Behörden nicht vertrauen oder sich des Risikos nicht genügend bewusst sind. Ein solches Bewusstsein im ganzen Land aufzubauen und dann Trainings für den Ernstfall zu etablieren, kann aber mehrere Jahrzehnte dauern, wie das Beispiel Japan zeigt. Dazu müssen Normen und Gesetze geändert werden. Das gilt auch für den Bau von neuen Gebäuden, die besser gegen extreme Naturereignisse gewappnet sind. Leider sind Länder meist erst nach solchen Katastrophen bereit, etwas zu ändern.

Ist das nicht auch eine Frage des Geldes?

Koltermann: Es ist sehr teuer, Gebäude so zu bauen, dass sie Erdbeben und Taifunen standhalten und die gesamte Infrastruktur auf extreme Naturereignisse vorzubereiten. Nur: Welchen Preis kann es haben, dies nicht zu tun? Gebäude werden zerstört, die wirtschaftliche Leistung eines Landes wird zeitweise erheblich eingeschränkt, Arbeitskräfte fehlen – all das kann man in Geld aufrechnen. Der volkswirtschaftliche Schaden ist womöglich enorm. Eine solche Bewertung von Naturrisiken, also die Abschätzung der Folgen, hat sich allerdings noch längst nicht in allen Ländern etabliert, die gefährdet sind.

Wird der Klimawandel zu mehr Supertaifunen führen?

Koltermann: Schwer zu sagen. Ein solches Ereignis hat nicht zwangsläufig etwas mit dem Klimawandel zu tun. Das Klima ist etwas sehr Langfristiges. Die Forschung deutet aber darauf hin, dass extreme Wetterereignisse zunehmen werden. Vor diesem Hintergrund muss Politikern und Behörden klar sein: Es kann nicht mehr darum gehen, zu diskutieren, ob sie etwas tun. Sie müssen handeln. Viele Regierungen sind offenbar eher bereit, die Schäden zu bezahlen, statt sich mit den Ursachen zu beschäftigen. Letzteres macht mehr Sinn.