An der bisher größten Therapiestudie ist auch das Hamburger UKE beteiligt. Bei allen drei Therapieformen kam es zur kontinuierlichen Gewichtszunahme.

Hamburg. Möglichst schlank, dünne Beine, flacher Bauch – ein Schönheitsideal, das in unserer Gesellschaft tief verankert ist. Deshalb fällt eine beginnende Magersucht, eine Krankheit, die für viele Betroffene schon in der Pubertät beginnt, zunächst oft nicht auf. Das ist fatal, denn in ihren Bemühungen, immer dünner zu werden, geraten die Betroffenen in einen Teufelskreis, der tödlich enden kann.

Jetzt hat eine Studie (ANTOP, kurz für „Anorexia nervosa Treatment of Out Patients“), die in der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht wurde, gezeigt, dass speziell für die Essstörung entwickelte Psychotherapien realistische Chancen auf Heilung bieten. Unter der Leitung von Prof. Wolfgang Herzog (Universität Heidelberg) und Prof. Stephan Zipfel (Uniklinik Tübingen) wurde an zehn Universitätskliniken zwischen 2007 und 2011 eine Standard-Psychotherapie mit zwei neuen Therapieformen, einer besonderen Form der kognitiven Verhaltenstherapie und einer bestimmten psychodynamischen Therapie, verglichen. Bei allen drei Therapieformen kam es zur kontinuierlichen Gewichtszunahme, wie diese weltweit größte klinische Therapiestudie zeigt.

242 betroffene Frauen, im Durchschnitt 28 Jahre alt, wurden per Los auf die drei ambulanten Therapieverfahren verteilt. Die Behandlung aller Patientinnen fand einmal wöchentlich ambulant statt.

30 Prozent der Teilnehmerinnen leiden seit sechs Jahren an der Erkrankung

Zu Beginn der Studie hatten die Frauen alle einen BMI (Body-Mass-Index: Gewicht in Kilogramm, geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern) unter 16,7. Normal ist bei Frauen 18,5 bis 25. „Einige der Patientinnen haben schon eine Vielzahl von Therapien hinter sich. Rund 30 Prozent der Teilnehmerinnen sind schon über sechs Jahre von der Krankheit betroffen“, sagt Prof. Bernd Löwe, Direktor der Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des UKE und Chefarzt der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie in der Schön-Klinik Hamburg Eilbek, der an der Untersuchung beteiligt war und im UKE 20 Studienteilnehmerinnen betreute.

Unter einer Standard-Psychotherapie verstehen die Studienautoren keine spezifische, einheitliche Therapieform, sondern eine gängige Therapiestrategie, wie sie auch in der Praxis abläuft: Gemeinsam mit der Patientin wählt der Hausarzt einen geeigneten Psychotherapeuten. Es wird individuell entschieden, wie genau die Therapie abläuft. Im Rahmen der Studie wurde darauf geachtet, dass der Psychotherapeut eng mit dem Hausarzt zusammenarbeitet und die wöchentlichen Treffen eingehalten werden.

Die Frauen wogen im Schnitt nur 46,5 Kilo, alle nahmen in der Therapie zu

Der Schwerpunkt der speziellen kognitiven Verhaltenstherapie liegt auf der Bearbeitung von Defiziten in der sozialen Kompetenz, der mangelnden Fähigkeit Probleme zu lösen und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Die Behandlung durch die psychodynamische Psychotherapie konzentriert sich auf problematische Beziehungen der Patientinnen zu anderen Menschen und die Verarbeitung von Emotionen. „Die Beziehung zwischen Therapeut und Patientin spielt hierbei eine wichtige Rolle“, sagt Prof. Bernd Löwe.

Alle Frauen, die zu Beginn der Studie im Durchschnitt nur 46,5 Kilo wogen, nahmen während der zehnmonatigen Therapie zu – im Schnitt 1,4 BMI-Punkte, das entspricht in etwa vier Kilogramm bei einer Größe von 1,65 Metern. Auch zeigte die Mehrheit bei einer Nachuntersuchung nach weiteren zwölf Monaten weitere Fortschritte.

„Die Gewichtszunahme war bei allen drei Therapieformen gleich gut. Die kognitive Verhaltenstherapie zeigte während der Behandlung die schnellsten Erfolge, dafür ist die psychodynamische Psychotherapie möglicherweise nachhaltiger. Bei der Nachuntersuchung zeigten die Patienten dieser Therapieform das beste Gesamtheilungsergebnis“, sagt Prof. Bernd Löwe: „Hauptindikator ist natürlich das Gewicht, aber für die Gesamtheilung sind auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers und das Verhalten der Patienten entscheidend. Dazu gehört beispielsweise die Normalisierung des Essverhaltens sowie das Ausbleiben von Erbrechen und der Einnahme von Abführmitteln.“

Laut Prof. Bernd Löwe ist es noch zu früh, um Rückschlüsse auf langfristige Erfolge der Therapien zu ziehen. Er plädiert jetzt aber noch dafür, dass solch eine Studie auch noch mit Heranwachsenden durchgeführt wird: „Es wäre wünschenswert, solch eine Studie noch mal mit Jugendlichen zu machen, da die Gründe für die Krankheit oft andere sind. Bei ihnen spielt die Familiendynamik und das Streben nach Autonomie häufig eine zentrale Rolle. Die Therapie muss außerdem an die Reife und das Sprachverständnis der Kinder und Jugendlichen angepasst werden.“