Zwei Projekte wollen Firmen dafür gewinnen, Pflanzen und Tieren mehr Raum zu geben. In Hamburg engagieren sich Handelskammer und Nabu

Hamburg/Berlin. Wenn Unternehmen ausladende Hallen bauen und für Firmengelände großräumig Flächen versiegeln, bleibt die Natur meist außen vor. Das muss nicht sein: Einige Firmen engagieren sich mit kleineren oder größeren Maßnahmen für Tiere und Pflanzen; sie begrünen Dächer, hängen Nisthilfen auf oder pflanzen einheimische Sträucher als Bienenweiden. Um den Trend zu verstärken, startet das Bundesumweltministerium (BMU) gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) jetzt ein neues Projekt. Unternehmen aller Branchen sollen einen sogenannten „Biodiversity Check“ durchführen, der die konkrete Bedeutung der biologischen Vielfalt für das Unternehmen herausarbeitet. Ausgewählte Unternehmen werden dann bei einer naturnahen Gestaltung von Flächen unterstützt. In Hamburg ist ein ganz ähnliches Projekt in Vorbereitung.

Bis jetzt gab es bereits einen Biodiversitätscheck der Europäischen Business & Biodiversity Kampagne, die von einem Konsortium aus europäischen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen unter Führung des Global Nature Fund initiiert wurde. Jetzt satteln BMU und BfN auf das Thema auf. „Viele Unternehmen besitzen ungenutzte Flächen auf ihrem Gelände, die sich mit wenig Aufwand in Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen verwandeln lassen“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Ursula Heinen-Esser. Das sei gut für die biologische Vielfalt, könne aber auch den Arbeitsplatz verschönern und die Unterhaltskosten des Betriebsgeländes senken. „In einem dicht besiedelten Land wie unserem sind Rückzugsmöglichkeiten für Tiere und Pflanzen Mangelware“, betonte BfN-Präsidentin Beate Jessel. „Aus Firmenflächen ließen sich Trittsteine für den Biotopverbund entwickeln.“

Manchmal suchen sich Tiere solche Trittsteine, ohne dass sie bewusst dafür angelegt worden sind. Wie etwa in dem Fall des Hamburger Logistikunternehmens Fiege. Als die Firma 2006 in das Industriegebiet Moorfleet umsiedelte und dort eine 70.000 Quadratmeter große Halle neu errichtete, wurde das Dach aus baurechtlichen Gründen begrünt. Heute hat sich darauf Hamburgs mit Abstand größte Möwenkolonie angesiedelt: Neben 1100 Paaren Sturmmöwen brüten hier unter anderem auch Schwarzkopf-, Silber- und Heringsmöwen, Austernfischer, Flussregenpfeifer, Stockenten und sogar Kiebitze.

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Hamburg möchte in diese Richtung noch einen Schritt weitergehen: „Wir wollen gemeinsam mit der Handelskammer Firmen motivieren, Flächen naturnah zu gestalten oder für eine Zeit brachliegen zu lassen“, sagt Bernd Quellmalz, stellvertretender Geschäftsführer vom Nabu Hamburg. Das Projekt mit dem Arbeitstitel „Unternehmensnatur“ sei derzeit in Vorbereitung. Vorstellbar sei eine Beratung der Firmen, etwa bei Gebäudeneubauten oder Gelände-Umgestaltungen.

Die Idee für das gemeinsame Projekt der Handelskammer Hamburg und des Nabu geht auf das Umwelthauptstadt-Jahr 2011 zurück. „Damals gab es einen intensiven Dialog mit den Umweltverbänden, und wir haben uns gefragt: ‚Wo haben wir eigentlich Gemeinsamkeiten?‘“, sagt Ulrich Brehmer, Leiter des Geschäftsbereichs Innovation & Umwelt bei der Handelskammer Hamburg. Aus dem Dialog zischen Wirtschaft und Umweltverbänden sei nun die erste konkrete Umsetzung in Vorbereitung. „Der Start ist für Anfang 2014 geplant“, sagt Brehmer. „Wir denken darüber nach, wie sich Unternehmen bewerben können. Vielleicht wird es einen richtigen Wettbewerb geben, eventuell sogar auch eine Auszeichnung.“

Kleinere Auszeichnungen hat es für Hamburger Unternehmen bereits in den vergangenen Jahren gegeben, wenn sie etwa der heimischen Tierwelt Platz einräumten. So hat der Nabu Hamburg an Kirchengemeinden, Baugenossenschaften, Schulen und private Wohnhäuser die Plakette „Fledermausfreundliches Haus“ verliehen.

Auch die Firmen Hermes und Globetrotter Ausrüstungen bekamen für das Anbringen von Fledermauskästen diese Auszeichnung. „Bei der Errichtung neuer Logistikstandorte kooperieren wir bundesweit mit den Ortsgruppen des Nabu“, sagt Claudia Schanz, stellvertretende Hermes Pressesprecherin und Verantwortliche für das Thema Corporate Responsibility (CR). „Auch in unserer Zentrale in Hamburg-Langenhorn haben wir verschiedene Maßnahmen umgesetzt. So haben wir zum Beispiel Teiche angelegt, knapp 50 Vogelnistkästen für verschiedene Arten und weitere für Fledermäuse aufgebaut und Insektenhotels aufgestellt.“

Ähnliches hat auch die Firma Globetrotter umgesetzt. „Beim Umbau der Stammfiliale am Wiesendamm wurden 55 Fledermausbrutkästen in die Fassade integriert“, sagt Fabian Nendza, Leiter des Aufgabenbereichs Unternehmerische Verantwortung. „Seither bieten diese für Barmbeker Fledermäuse, die am nahe gelegenen Osterbekkanal jagen, gut genutzte Tagesschlafplätze. Außerdem sind hier und auf dem Gelände der Zentrale in Rahlstedt bisher jeweils 40 Vogelbrutplätze entstanden.“ Biodiversität, sagt Nendza, sei von der Wichtigkeit mittlerweile ebenso hoch einzustufen wie der Klimawandel – „und da spielen Unternehmen natürlich eine ganz wichtige Rolle.“ Wenn mehr Engagement von Seiten der Wirtschaft gewünscht sei, müsse jedoch auch eine rechtliche Klarheit bezüglich dieses Themas herrschen.

Rechtliche Klarheit, dass könne zum Beispiel eine Aussage dazu sein, was passiert, wenn ein Unternehmen etwa ein Stück seines Geländes für eine Zeit der Natur überlässt – und sich dann eine bedrohte Art dort ansiedelt. Darf dann dort später noch gebaut werden? Auch hierzu führen die Handelskammer, der Nabu Hamburg und die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) in den nächsten Wochen Gespräche. „Die Sorge um rechtliche Probleme lässt sich aus unserer Sicht aber zerstreuen“, sagt BSU-Sprecher Volker Dumann. Generell begrüße die Behörde das geplante Hamburger Vorhaben sehr und beteilige sich gerne an der Umsetzung, so Dumann.

Für das bereits gestartete, bundesweite Projekt stellt das BMU aus dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt (siehe unten) 431.000 Euro zur Verfügung. Durchgeführt wird das Projekt von der Heinz Sielmann Stiftung zusammen mit der Bodensee-Stiftung und dem Global Nature Fund, die insgesamt rund 150.000 Euro beitragen. Ein Ergebnis des Projekts wird ein Leitfaden sein, der auf den praktischen Erfahrungen mit der naturnahen Gestaltung von Firmengeländen und den „Biodiversity Checks“ basiert. Des Weiteren wird ein Konzept entwickelt, das zeigt, wie Unternehmen mit naturnahen Firmengeländen langfristig beraten und zertifiziert werden können. Die Ergebnisse sollen Mitte 2016 vorgestellt werden.