Geesthachter Forscherin am Institut für Küstenforschung untersucht die Belastung der Fische und Sedimente mit Flammschutzmitteln.

Hamburg. Die Bestände der Aale sind weltweit drastisch gesunken. Könnte die Belastung der Tiere mit Flammschutzmitteln dabei eine Rolle spielen? Diese Frage erforscht Roxana Sühring, Chemikerin am Institut für Küstenforschung im Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Fest steht: Die organischen Substanzen reichern sich im Fettgewebe der Aale an. Bei Analysen von Fischen aus Elbe, Rhein und dem dänischen Fluss Vidå fanden sich im europäischen Vergleich teilweise hohe Konzentrationen von verschiedenen Flammschutzmitteln. Auch von solchen, deren Anwendung bereits verboten ist. Vermutlich schlummern die Substanzen als Altlast im Flussbett. Um dies zu belegen, bereiste Sühring vergangene Woche die Elbe und entnahm Sedimentproben.

„Im vergangenen Jahr habe ich Flammschutzmittel in Elbaalen nachgewiesen, die zwischen der tschechischen Grenze und der Mündung gefangen wurden. Die höchste Belastung trat am Zufluss der Mulde auf, zur Nordsee hin nahmen die Konzentrationen ab. Jetzt untersuche ich von Hamburg-Oortkaten bis Wittenberg unterhalb der Muldemündung die Sedimente auf diese Substanzen, um zu sehen, ob deren Belastungsprofil dem der Aale gleicht.“ Außerdem interessiert die Diplomingenieurin, ob sie in den Sedimenten dieselbe Mengenverteilung der einzelnen Stoffe findet wie im Fettgewebe der Aale. Abweichungen könnten darauf hindeuten, dass Substanzen vom Stoffwechsel des Fisches abgebaut wurden – schlimmstenfalls zu giftigeren Verbindungen.

Flammschutzmittel für Kunststoffe und Textilien stehen seit Jahrzehnten im Visier der Umweltschützer. Denn es handelt sich meist um sogenannte halogenierte Verbindungen, Substanzen, die Chlor- oder Brom-Atome enthalten. Sie sind mehr oder minder toxisch – übrigens auch, wenn sie bei einem Feuer trotz hemmender Wirkung in Rauch aufgehen. Doch nicht nur bei einem Brand können sie in die Umwelt gelangen. Sühring: „Flammschutzmittel gehen mit den Materialien der Produkte, die sie schützen sollen, keine chemische Verbindung ein. Dadurch können die Substanzen relativ gut austreten.“

Die gefährlichsten Stoffe sind bereits durch die Stockholmer POP-Konvention weltweit geächtet. Das Vertragswerk verbietet Produktion und Anwendung von speziellen langlebigen Chemikalien (Persistent Organic Pollutants, kurz POP), die sich in der Nahrung anreichern. Zunächst waren zwölf Substanzen – darunter DDT und PCB – gelistet, das „dreckige Dutzend“. 2009 kamen bestimmte bromierte Flammschutzmittel (Polybromierte Diphenylether, kurz PBDE) hinzu. Seit Mai dieses Jahres ist zudem das Flammschutzmittel HBCD (Hexabromcyclododecan) weltweit verboten, allerdings mit einer einjährigen Übergangsfrist für den Hauptanwendungsbereich Dämmstoffe. Das Umweltgift steht im Verdacht, die Fortpflanzung zu schädigen. Weltweit werden jährlich mehrere Hunderttausend Tonnen Flammschutzmittel eingesetzt. Heute werden andere, weniger giftige chlor- oder bromhaltige Substanzen verwendet, die neuartigen Flammschutzmittel. Aber auch diese wies Roxana Sühring in den Aalen nach: sowohl in Jungtieren in den Flussmündungsbereichen als auch bei flussaufwärts gewanderten, ausgewachsenen Tieren. Selbst die längst verbotenen PBDE fanden sich flussaufwärts.

Nun holte die Chemikerin auf dem Messboot „Storch“ Proben vom Flussgrund an Bord, um der Altlast auf die Spur zu kommen. Dabei konzentrierte sich das insgesamt dreiköpfige Wissenschaftlerteam auf potenzielle Belastungsschwerpunkte wie die Mündungsbereiche von Nebenflüssen oder Einläufe von Kläranlagen.

Aale leben am Gewässergrund. Inwieweit die Flammschutzmittel und andere Umweltschadstoffe dazu beigetragen haben, dass der Bestand des Europäischen Aales in den vergangenen drei Jahrzehnten um mehr als 90 Prozent zurückgegangen ist, lasse sich derzeit noch nicht sagen, betont Sühring. Dazu müssten weitere Untersuchungen durchgeführt werden. „Es gibt bislang eine einzige Untersuchung, die zeigt, dass Aal-Embryonen, die stark mit dem Schadstoff PCB belastet sind, schlechtere Überlebenschancen haben.“

Die vorhandene Wissenslücke beklagt auch Dr. Reinold Hanel vom Thünen-Institut für Fischereiökologie in Hamburg. „Bisher gibt es nur die Vermutung, dass die Schadstoffe die Fruchtbarkeit und damit den Bestand der Aale beeinflussen, aber wir haben noch keinen kausalen Zusammenhang nachweisen können.“

Fest steht: Wenn die fortpflanzungswilligen Aale ihren weiten Weg in ihr Laichgebiet, der Sargasso-See östlich von Florida, antreten, werden die Fettreserven aufgebraucht und die darin enthaltenen Schadstoffe mobilisiert. Diese gelangen in den Körper, auch in die Geschlechtsorgane, die während der Wanderschaft heranreifen. Die Geesthachter Untersuchung sei deshalb ein wichtiger Beitrag, um dem Einfluss von Schadstoffen auf die Spur zu kommen, sagt Hanel.

Der nächste Schritt wäre, Grenzwerte für Konzentrationen festzulegen, denen die Aale maximal ausgesetzt sein dürfen. Doch das gestaltet sich bei dieser Fischart schwierig. Hanel: „Da Aale sich nicht züchten lassen, können wir sie nicht experimentell im Labor verschiedenen Schadstoffkonzentrationen aussetzen und anschließend die Vermehrungsraten vergleichen. Wir hoffen, zumindest verlässlich Eier heranzüchten zu können. Mit ihnen könnten wir dann nach einem standardisierten Verfahren testen, wie empfindlich sie auf unterschiedliche Schadstoffgehalte reagieren. Hier arbeiten wir mit dem Helmholtz-Zentrum Geesthacht zusammen.“ Auch ein Umdenken der Hersteller, die die Flammschutzmittel einsetzen, könnte den Aalen helfen. Sühring: „Es gibt auch nicht halogenierte Mittel, aber die sind teurer.“ Alternativ lassen sich Materialien verwenden, die weniger brennbar sind als Kunststoffe, etwa Wolle und Baumwolle für Sofabezüge oder Mineralstoffe als Dämmmaterial.