Ein ungewöhnlicher Auftrag an einem ungewöhnlichen Ort braucht eine ungewöhnliche Lösung. Hamburger Architekten und Ingenieure planten nach dem Ikea-Prinzip eine Antarktisstation für Indien.

Hamburg. Anfangs kam ihnen das Vorhaben reichlich exotisch vor. Schwül, heiß, feucht war es im indischen Goa, als die Hamburger Planer dort ihre Vorschläge das erste Mal vor einer strengen Auswahl-Kommission präsentieren sollten. Hier an die Kälte am Südpol zu denken, erschien ihnen fast surreal. Immer wieder wurden der Ingenieur und der Architekt aber von den Indern nach Details gefragt.

Wie ihre Konstruktion in der Antarktis unter den extremen Bedingungen bestehen kann, mussten sie in etlichen Gesprächsrunden erläutern: Minus 45 Grad, tagelange heftige Stürme, Eis, Dunkelheit, acht Monate ohne die Möglichkeit zurückzukommen – so müssen Polarforscher im Winter leben. Absolut autark in einer Forschungsstation, die wie ein Raumstation geplant sein muss. Eine völlig andere Welt als in Hamburg oder dem tropischen Goa gar, wo das indische Zentrum für Ozean- und Antarktisforschung seinen Sitz hat. Ende 2006 hatten die gemeinsamen Pläne der beiden Büros IMS-Ingenieurgesellschaft und bof-Architekten den international ausgeschriebenen Wettbewerb für erste Studien gewonnen, nach eingehender Prüfung bekamen sie dann den Auftrag. In diesem Jahr haben die Hamburger die Station an ihren indischen Auftraggeber übergeben.

Ein indische Forschungsstation in der Antarktis, das klingt immer noch exotisch – auch wenn sie nun dort am Rand des Ozeans tatsächlich wie ein gelandetes Raumschiff steht. Oft mussten die beiden Hamburger Projektleiter, der Architekt Bert Bücking (bof) und der Ingenieur Andreas Nitschke (IMS) das erklären: Deutsche, die für Inder am Südpol bauen – da wurden Kollegen hellhörig. „So exotisch ist das aber nicht“, sagt Bücking. Jede größere Nation habe dort eine Station, und schließlich sei Indien ein technisch aufstrebendes Land und habe mit dem Himalaja viel größere Kälteregionen als etwa Deutschland.

Aber er war keine leichte Aufgabe, diese Station zu bauen. Dass die IMS-Ingenieure häufig ungewöhnliche Sachen konstruieren, erkennt man in ihren Büro-Räumen beim ehemaligen Fruchthof neben den Deichtorhallen schnell. Fotos von Öl-Plattformen hängen in den Fluren, von riesigen Windkraftanlagen auf hoher See. Auch die neue deutsche Antarktisstation Neumayer III entwickelten die Hamburger. „Die sind überall dort, wo es weh tut“, sagt Architekt Bücking anerkennen über die IMS-Ingenieure.

Für das Polarprojekt hatten sich die IMS-Leute diesmal mit den Architekten aus Altona zusammengetan. Die neue Station sollte eben nicht nur technisch, sondern auch architektonisch außerordentlich werden. Im arktischen Sommer mit Temperaturen zwischen Null und Minus zehn Grad hatten die Planer aber zwischen November und Februar nur wenige Wochen zum Bau der immerhin 2600 Quadratmeter großen Anlage.

Sämtliches Material musste mit einem russischen Spezialfrachter und zusätzlichem Eisbrecher dort hin transportiert werden, jede Schraube musste geplant und eingepackt sein. „Einen Baumarkt um die Ecke gibt’s eben nicht“, sagt Bücking. Allein der Flug zur Baustelle dauert eine Woche und kostet 26.000 Euro. Ingenieur Nitschke blieb daher die ganze über Bauzeit dort, um den Bau zu überwachen; zuletzt wurde es für ihn zeitlich eng, kein Hubschrauber konnte mehr fliegen und er kam nur noch mit dem Schiff zurück.

Die Hamburger Planer hatten für den eigentlichen Bau eine Modul-Lösung aus 134 Spezialcontainern entwickelt, die gleichzeitig Verpackung und Teil des Gebäudes sind. „Ikea-Prinzip“, sagt Bücking dazu. „Mitnehmen, auspacken, zusammen bauen, fertig: wie bei einem Ikea-Regal“. Die Containerlösung vereinfachte zum einen den Transport auf dem Schiff und bot die Voraussetzung zur Vorfertigung. Die Inder beauftragten auch dazu Deutsche, die Kaefer Construction GmbH aus Bremen.

In Deutschland wurden die Container gefertigt und komplett mit aller Technik und allen Möbeln ausgerüstet. Vor Ort durfte nichts schiefgehen, sagen die beiden Planer. Deshalb bauten die Handwerker die drei Stockwerke jeweils einmal auf. Mit allen Leitungen. So als würde man bei Ikea den Schrank schon einmal testweise zusammensetzen, um zu Hause keinen Überraschungen mit fehlenden Teilen zu erleben. Anschließend bauten die Handwerker wieder alles auseinander und verstauten es in den Containern, die via Antwerpen verschifft wurden.

In der Antarktis wurden die Container dann wie Würfelelemente zusammenmontiert. Für größere Räume entfernten die Arbeiter die Wände und schraubten nach Berechnung der Ingenieure Deckenträger ein, wenn sie die Eckstützen entfernen mussten. Nitschkes Tagesablauf: Viel Arbeit, Abendessen, ein bisschen lesen, dann ins Bett. Hin und wieder unternahm er kleine Ausflüge. Einmal badete die gesamte etwa 50köpfige Bau-Mannschaft bei Null Grad in einem See, der nur wenige Tage im Jahr eisfrei ist. Deutsche, Inder, Norweger, Russen, Amerikaner – etliche Nationen arbeiteten dort zusammen. „Es war eine sehr gemeinschaftliche Stimmung – jeder wusste, dass wir etwas ganz Besonders bauen“, erzählt er und zeigt Fotos am Laptop: Von dem einsamen Camp in der Eis- und Felsenlandschaft, vom Eisbrecher im Ozean, von Pinguinen und von einem gigantischen Polarlicht. Und dann schließlich von der fast fertigen Station.

Über die Containerelemente hatten die Hamburger eine zweite Metall-Hülle konstruiert. Dadurch konnten sie erstmals bei einer Polarstation eine große Fensterfront mit Blick auf den Ozean schaffen, die ausreichend gedämmt ist und kein Kondenswasser bildet. Sonst haben solche Stationen eher Flugzeugfenster. Lounge, Kino, Medizinstation sind dort neben Laboren und Schlafräumen eingerichtet. Gleich drei Blockheizkraftwerke liefern Wärme und Strom. Nur eines zu installieren wäre gefährlich gewesen – falls es ausfällt, hätte es keine Ersatz gegeben.

45 Wissenschaftler arbeiten während des arktischen Sommers in der Station, 18 gehören zur Wintermannschaft. „Bharati“ heißt die Station, „kleines Indien“ – weil sie an der Stelle der Antarktis liegt, von der aus Indien am wenigsten weit entfernt auf der anderen Seite des Ozeans liegt. Das sind zwar immerhin 11.000 Kilometer. Hamburg liegt mit 15.000 Kilometer aber noch weiter weg.