Das Hamburgische Wattenmeer besticht durch seinen hohen Anteil ungestörter Natur und beflügelt den Tourismus

Hamburg. Deutschlands größte Naturschätze finden sich in den bundesweit 14 Nationalparks. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit, leiden aber unter Personalnot und erfüllen nicht immer die internationalen Nationalpark-Standards. Das ergab eine Bewertung der Schutzgebiete, die die Dachorganisation Europarc Deutschland zusammen mit den Nationalparkverwaltungen in den Jahren 2009 bis 2012 vornahm. Mit dabei: der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer.

Beim Blick auf die Landkarte der deutschen Nationalparks fällt vor allem die „grüne Ecke“ im Nordwesten Deutschlands auf: Die drei Wattenmeer-Nationalparks der Länder Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen machen mehr als drei Viertel der Nationalparkfläche Deutschlands aus. Allerdings bestehen sie hauptsächlich aus Wasser. Werden nur die Landflächen gerechnet, landen sie eher im Mittelfeld. Wie bei den Schutzgebieten im Landesinneren ist auch an der Küste die Akzeptanz bei Anwohnern, Nutzern und regionalen Entscheidungsträgern deutlich gestiegen. Gewalttätige Auseinandersetzungen, wie es sie zum Beispiel in den 1990er-Jahren um den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gab, „gehören heute weitgehend der Vergangenheit an“, heißt es in einem Artikel der Fachzeitschrift „Natur und Landschaft“, der die Bewertungsergebnisse jetzt vorstellte.

Auch auf dem Hamburger Wattenmeer-Eiland Neuwerk sei anfängliche Skepsis einer breiten Zustimmung gewichen, sagt Nationalparkleiter Dr. Klaus Janke. „Die Insel lebt vom Tourismus. Die Familienbetriebe schicken ihre Gäste ins Nationalpark-Haus und zu unseren Führungen. Sie vertrauen uns ihre Kinder als Junior Ranger an. Seit der Existenz des Nationalparks sind Betriebe ausgebaut und erweitert worden, gab es Investitionen in den Tourismus, etwa in zusätzliche Wattwagen und in eine verbesserte Qualität des Zimmerangebots.“ Aber im Vordergrund der in der Umweltbehörde angesiedelten dreiköpfigen Nationalparkverwaltung stehe natürlich der Schutzzweck des Parks, betont der Meeresökologe Janke.

In diesem Punkt liegt der mit 13.750 Hektar Gesamtfläche relativ kleine Nationalpark bundesweit vorn: 91,5 Prozent seiner Fläche ist als Kernzone ausgewiesen, das heißt: Hier gibt es eine ungestörte Naturentwicklung. Den kleinen Rest bilden die Insel Neuwerk, die Wattwanderwege, drei Fahrrinnen (die tiefste für das Ausflugsschiff „Flipper“) und eine Wattfläche westlich der Insel, auf der man bei Hochwasser sogar angeln darf. Mit der großflächigen Kernzone erfüllt der Nationalpark die Standards der Weltnaturschutzunion IUCN, nach denen mindestens 75 Prozent eines Nationalparks unberührte Natur sein sollten.

Andere deutsche Refugien gelten als „Entwicklungs-Nationalparks“, sie sollen nach Aussagen des Bundesamts für Naturschutz (BfN) 20, spätestens 30 Jahre nach ihrer Gründung das 75-Prozent-Ziel erreichen. Der Bayerische Wald, Deutschlands ältester Nationalpark, hat dies auch nach gut 40 Jahren noch nicht geschafft. 1970 gegründet und 1997 erweitert, gebe es derzeit nur auf etwas mehr als der Hälfte der Fläche eine natürliche Entwicklung, heißt es in dem Evaluierungs-Bericht. Vor allem die Jagd beziehungsweise die Wildregulierung sei ein Streitpunkt. Auch das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer hat hier Nachholbedarf; die Kernzone zwischen Sylt, Föhr und dem Festland bemisst 36 Prozent des Nationalparks, andernorts werden Krabben, Schollen und Muscheln gefischt, Öl gefördert, Windstrom erzeugt, Tourismus und Schifffahrt betrieben, Sand und Kies gewonnen.

Allen Parks gemein ist die chronische Geldnot ihrer Verwaltungen, zeigt die Bewertung. Darunter leide unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit. Damit hat auch Klaus Janke zu kämpfen. Zwar spendierte die Stadt unter Umweltsenator Alexander Porschke (Grüne) 2001 ein neues Nationalpark-Besucherzentrum und unter Senatorin Blankau (SPD) in diesem Sommer ein neues Dienstgebäude für die Ranger, doch die Mittel für die Unterhaltung des Schutzgebietes seien knapp, so Janke: „Wir würden beispielsweise gern ein professionelles Umwelt-Bildungsprogramm, etwa für Schüler oder Lehrer, anbieten. Aber das ist mit den vorhandenen Mitteln nicht zu machen. Zeit und Geld genügen gerade, um die laufenden Aufgaben zu erfüllen wie die Unterhaltung der Nationalpark-Gebäude und der Wege, die Information der Besucher, der Druck von Broschüren und natürlich die Durchführung des umfänglich notwendigen Umweltbeobachtungs-Programms.“

Andere Probleme hängen nicht mit dem Management der Parks, sondern mit äußeren Einflüssen zusammen und betreffen den Naturschutz allgemein. Die Weiterentwicklung des deutschen Schutzgebietsnetzes stehe vor diversen Herausforderungen, so das BfN: „Probleme bereiten zum Beispiel die hohen Stickstoff- und Pestizideinträge, die Entwässerung von Feuchtgebieten und die Einwanderung von Neobiota.“ Letzteres meint die Ansiedlung von Pflanzen- oder Tierarten aus anderen Regionen der Welt. Meist richten sie keine ökologischen Schäden an, bereichern sogar die Vielfalt, aber zum Teil verdrängen sie heimische Arten.

Dies wird im Wattenmeer der Pazifischen Auster angelastet. Klaus Janke hat zu dem Schalentier ein entspanntes Verhältnis: „Wir können nichts daran ändern, dass die Muschel jetzt da ist. Sie ist auf Neuwerk rund um die Inselbefestigung zu finden, gefährdet dort aber keine heimischen Arten. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen hat die Auster an einigen Stellen die heimische Miesmuschel verdrängt. Doch inzwischen haben sich starke Austernriffe gebildet, auf denen auch Miesmuscheln siedeln können. Und das, ohne befischt zu werden. Insofern profitieren die einheimischen Muscheln inzwischen von den Austern.“

Was die Nährstoffbelastung angehe, habe das Hamburgische Wattenmeer einen Standortvorteil, so Janke. „Elbe und Weser transportieren zwar viel Stickstoff in das Nationalparkgebiet, aber daran ist das Ökosystem durch seine Nähe zu den Flüssen angepasst. Starke Strömungen sorgen dafür, dass es auf dem sich ständig bewegenden Wattboden zu keiner Massenvermehrung von Algen kommt. Insgesamt profitiert das Gebiet sogar von den Nährstoffen, denn diese machen es hochproduktiv. Deshalb haben wir zum Beispiel besonders viele Rastvögel im Watt“, sagt Deutschlands dienstältester Nationalparkleiter. Seit Oktober 1991 ist er für die Wildnis rund um Neuwerk sowie auf den Inseln Scharhörn und Nigehörn verantwortlich.