Wissenschaftler in den USA und Israel wollen Käfer, Kakerlaken und Falter mit Hightech-Apparaturen ausstatten. Die Tiere könnten als Erstaufklärer im Katastrophenfall dienen – oder als Spione.

Brick. Als das Kölner Stadtarchiv vor gut vier Jahren einstürzte, begann für die Rettungskräfte ein Wettlauf gegen die Zeit. Möglichst schnell mussten sie detaillierte Informationen bekommen, ob und wo Menschen eingeschlossen sind und ob angrenzende Gebäude ebenfalls einsturzgefährdet sind. Keine leichte Aufgabe, wenn man als Retter ein chaotisches Trümmerfeld betritt und zugleich fürchten muss, vielleicht selbst noch von Trümmerteilen erschlagen zu werden.

Ob nach einem Erdbeben, einem Terroranschlag oder einem Chemieunfall: Im Katastrophenfall zählt jede Minute. Die Rettungsmannschaften müssen sich so schnell es geht einen Überblick verschaffen. Geht es nach amerikanischen und israelischen Forschern, soll die Rolle des ersten Aufklärers künftig speziell präparierten Insekten zufallen. Die Wissenschaftler arbeiten unabhängig voneinander an ihren Projekten, gemeinsam haben diese allerdings, dass sie von der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa), der Forschungsabteilung des US-Militärs, unterstützt werden. Denn wenn alles klappt, wären die Tiere natürlich nicht nur auf einen Einsatz als zivile Katastrophenhelfer beschränkt. Sie könnten ebenso gut als Spione eingesetzt werden und – quasi als lebendige Drohnen – unbemerkt hinter feindliche Linien gelangen und von dort militärisch relevante Informationen beschaffen.

Ben Epstein, Bioingenieur aus Brick im US-Bundesstaat New Jersey, rüstet mit seinem Unternehmen OpCoast Kakerlaken auf. Kaum eine Kreatur ist so robust, bekanntlich kann sie sogar einen Atomkrieg überleben. „Und diese Tiere können erstaunlich viel Gewicht schleppen“, sagt Epstein. Der Ingenieur setzt den Küchenschaben quasi einen elektronischen Rucksack auf. Dieser enthält winzige Sensorenpakete, die von Forschern der Universitäten Texas A&M und Purdue, mit denen OpCoast kooperiert, entwickelt wurden. Mithilfe der Sensoren sollen die Schaben Feinde ausspähen können, aber auch Überlebende von Katastrophen aufspüren und nach Chemikalien- oder auch Strahlungslecks suchen.

Einen Mikrochip, einen Sender und eine Batterie, dazu Mikrofone oder Sensoren, die Verschüttete unter Trümmern orten und direkt mit der Einsatzleitung verbinden sollen: Das klingt nach einer Menge Technik, wiegt aber gerade einmal zwei Gramm. Epsteins Vision: Im Katastrophen- oder Kriegsfall wird ein ganzer Schwarm von Hightech-Kakerlaken im Einsatzgebiet freigelassen. Sie bahnen sich ihren Weg durch Trümmer oder krabbeln unbemerkt hinter die feindlichen Linien – und funken permanent Umgebungsdaten an die Zentrale. Erste Feldtests waren bereits recht erfolgreich: Ein wichtiges Ergebnis war schon einmal, dass sich die vielen Sender nicht gegenseitig stören.

In rund zwei Jahren sollen die Kakerlaken – wenn alles gut geht – ihren ersten richtigen Einsatz haben. Bis dahin muss aber noch einiges passieren: Die Schaltkreise müssen für die Massenproduktion deutlich billiger werden – am Ende darf der Hightechrucksack der Schaben maximal einen US-Dollar pro Stück kosten. Denn schließlich sollen möglichst viele Schaben ausschwärmen – und die meisten von ihnen werden anschließend nicht wieder eingesammelt werden können. Außerdem sollen die Insektenrucksäcke noch leichter werden, damit auch kleinere Insekten sie tragen können.

Und dann ist da noch das Batterieproblem: „Die Batterie ist der schwierigste Teil des Projekts“, sagt Epstein. Sehr leicht muss sie sein – und zugleich sehr stark, um Sender und Sensoren über einen längeren Zeitraum betreiben zu können. Derzeit halten die Batterien gerade einmal 30 Minuten – erklärtes Ziel ist aber eine Lebensdauer von fünf Stunden. Das Batterieproblem könnte sich unter Umständen mithilfe eines Ansatzes lösen lassen, den Khalil Najafi und Erkan Arbor von der University of Michigan in Ann Arbor verfolgen. Dieser Ansatz ist dabei so Erfolg versprechend wie naheliegend: Die Forscher zapfen die Energie einfach direkt bei den Tieren ab. Ein winziger Generator wandelt dazu die kinetische Energie aus den Flügelbewegungen von Insekten in elektrischen Strom um, schreiben die beiden Forscher in der Fachzeitschrift „Journal of Micromechanics und Microengineering“. Theoretisch könnten auf diese Weise Kameras, Mikrofone, Sensoren sowie die Kommunikationsausrüstung, die die präparierten Insekten in ihrem Hightechrucksack mit sich herumtragen, betrieben werden, erklärt Najafi.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt eine Gruppe von Chemikern von der Case Western Reserve University in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio: Die Forscher haben einer Küchenschabe eine Brennstoffzelle implantiert, die aus dem Blutzucker des Insekts elektrischen Strom produziert, berichtet die Forschergruppe um Michelle Rasmussen in der Fachpublikation „Journal of the American Chemical Society“. Einen Schritt weiter auf dem Weg zum Insekt als erstem Aufklärer im Katastrophen- oder Kriegsfall gehen Ingenieure vom Israel Institute of Technology in der israelischen Hafenstadt Haifa: Sie wollen nicht nur die Schwarmintelligenz und die Robustheit von Insekten ausnutzen, sondern sie wollen sich die Tiere gleich ganz Untertan machen – und deren komplette Bewegungen steuern. Implantierte Elektroden, die den Tieren schon im Larvenstadium eingepflanzt werden, sollen die Insekten in ferngesteuerte Roboter verwandeln.

So lautet zumindest das Fernziel – bislang sind die Wissenschaftler um Daniel Weihs und Gal Ribak nämlich noch mit der Grundlagenforschung beschäftigt. Mit Kameras filmen die Forscher die Bewegungen unterschiedlicher Käferarten im Windkanal, um deren Flugtechnik zu erkunden. Darunter ist etwa der Goliathkäfer, der es auf satte 19 Zentimeter Flügelspannweite und bis zu 50 Gramm Körpergewicht bringt und damit zu den weltweit größten fliegenden Insekten zählt. Es werden aber auch nicht einmal einen Millimeter große Zwergkäfer untersucht.

Mithilfe von Elektroden, die den Tieren implantiert wurden, werden zudem die Signale gemessen, die von den unterschiedlichen Nervensträngen an die jeweiligen Muskeln gesendet werden und die Flugbewegungen auslösen. So entsteht eine Art Landkarte der Käfer – und damit die Basis für ein Befehlsprogramm, mit dessen Hilfe sich die Tiere steuern lassen. Einfache Steuerbefehle wie etwa eine Drehung nach rechts oder links seien schon jetzt möglich, sagen die Forscher.

Ähnliches gelang Joel Voldman vom Massachusetts Institute of Technology: Wie das Fachmagazin „New Scientist“ berichtet, implantierte er einem Nachtfalter eine kleine, nur gut ein halbes Gramm schwere Apparatur bestehend aus Impulserzeuger, Empfänger, Batterie und Elektrode. Letztere war mit dem Hauptnervenstrang des Schmetterlings verbunden. Mithilfe von Funkbefehlen konnte Voldman nun das Insekt dazu bringen, aufzufliegen und in die gewünschte Richtung davonzuflattern.

Bevor die Insekten eingesetzt werden können, müssten sie aber zu wirklich willenlosen Cyborgs werden. Denn die Tiere dazu zu bringen, eine bestimmte Bewegung zu machen, ist nur die eine Seite der Medaille. Die zweite Herausforderung ist es, unerwünschte Bewegungen zu verhindern und die Instinkte auszuschalten. Denn sonst driftet der ferngesteuerte Käfer beispielsweise in Richtung Licht ab – und verendet wie so viele seiner Artgenossen an einer Straßenlaterne.