In Alsterdorf können nun mehr Patienten untersucht werden, denen Medikamente allein bisher nicht geholfen haben. Einrichtung ist die größte und modernste ihrer Art in Deutschland.

Hamburg. Es kann jederzeit passieren, etwa bei der Arbeit. Dann wird Christine Pahl plötzlich schwindelig, Übelkeit steigt in ihr auf und sie muss sich setzen, um sich zu beruhigen, „herunterzukommen“, wie sie sagt. Stress kann den Anfall verstärken. Im Extremfall wird sie dann bewusstlos, kippt um und windet sich in Krämpfen.

Christine Pahl leidet an Epilepsie. Vor sieben Jahren erhielt die 23-Jährige diese Diagnose; seitdem hat die junge Frau Medikamente genommen, mit denen sie ihre Beschwerden meist eindämmen konnte. Doch zuletzt, erzählt Pahl, seien immer häufiger kleinere Anfälle aufgetreten, und ihr Arzt habe die Arzneidosis nicht weiter erhöhen wollen. Weil die Ursache ihrer Erkrankung unklar war, überwies er sie an das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf.

In dem Epilepsie-Zentrum dort gab es bisher elf Plätze für Patienten wie Pahl, denen Medikamente scheinbar nicht weiterhelfen. Heute eröffnet das Krankenhaus einen Neubau mit einer eigens für das Epilepsie-Monitoring konzipierten Station, auf der sich per Elektroenzephalografie (EEG) die Hirnströme von bis zu 19 Patienten aufzeichnen lassen. Auch Christine Pahl ist entsprechend verdrahtet, 23 Elektroden kleben auf ihrem Kopf. Nachts nehmen Infrarotkameras die Bewegungen der Patienten auf. Damit sei die Einrichtung die größte und modernste ihrer Art in Deutschland; ähnliche Zentren in Bonn, Bielefeld und Freiburg böten nur etwa halb so viele Monitoring-Plätze, sagt der Chefarzt des Fachbereichs Neurologie/Epileptologie in Alsterdorf, Dr. Stefan Stodieck.

Das 32 Millionen Euro teure Gebäude ist maßgeblich, nämlich mit 31,65 Millionen ,von der Gesundheitsbehörde finanziert worden. Untergebracht sind dort künftig auch die Fachbereiche Ge-riatrie, Innere Medizin, Orthopädie/Chirurgie sowie die Intensivstation.

Die Epilepsie zählt zu den häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen. Stefan Stodieck zufolge sind etwa ein Prozent der Bevölkerung betroffen. Bei ihnen ist zeitweise die Funktion des Gehirns gestört. Dort kommt es zu einer gleichzeitigen Entladung von Nervenzellen, die plötzlich synchron feuern. Die Folge sind Krampfanfälle oder auch nur kurzfristige Bewusstseinsstörungen. Epilepsie kann genetisch bedingt sein, aber auch eine Vielzahl anderer Ursachen haben, etwa Veränderungen des Gewebes in Hirnregionen wie dem Hippocampus, der wichtig für das Gedächtnis ist.

Mit Medikamenten lassen sich Anfälle verhindern. Bei Patienten, die zwei Jahre nach der Diagnose und trotz einer Behandlung mit zwei verschiedenen Medikamenten weiterhin unter Anfälle litten, sollte aber eine Operation „zumindest in Betracht gezogen werden“, meint Stefan Stodieck. Diese könne zehn bis 20 Prozent der Betroffenen helfen. „Die Erfolge sind umso größer, je früher man operiert und je jünger die Patienten sind.“ Oft werde eine OP aber viel zu spät erwogen. Andere Ärzte teilen diese Einschätzung nur bedingt. „Zwei Jahre reichen in der Regel nicht aus, um zwei Medikamente durchzuprüfen“, sagt Prof. Christian Elger, Direktor der Klinik für Epileptologie in Bonn. Meist sei es erst nach fünf Jahren sinnvoll, die OP-Frage zu erörtern. Zwar sei die OP bei Epileptikern insgesamt zwar wohl „unterbenutzt“, gleichwohl aber nur bei zehn Prozent der sogenannten pharmakoresistenten Patienten sinnvoll. Und nur bei der Hälfte dieser Patienten sei leicht feststellbar, dass Gewebeveränderungen in bestimmten Hirnregionen die Anfälle auslösen. Bei der anderen Hälfte sei dies schwer oder sehr schwer nachweisbar.

Ob eine Operation Sinn macht, untersuchen die Ärzte in Alsterdorf in mehreren Schritten: Mit Hilfe des EEG und durch Beobachtungen des Krampfverhaltens versuchen sie, die Störung einer bestimmten Hirnregion zuzuordnen. Gegebenenfalls lassen sie den Patienten dann in einem speziellen Kernspintomographen am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) untersuchen. Dieses Gerät zeige Veränderungen des Hirngewebes genauer als herkömmliche Anlagen, sagt Stodieck. Ergeben sich Hinweise auf Gewebeveränderungen im Hippocampus oder auf sogenannte fokale kortikale Dysplasien (FCD), Regionen, in denen Hirnzellen fehlerhaft verbunden sind, und passt dies zu Befunden aus dem EEG, dann empfehlen die Ärzte eventuell eine Operation. Diese wird dann von Neurochirurgen am UKE durchgeführt, mit denen die Klinik in Alsterdorf seit 2004 zusammenarbeitet. Seitdem seien etwa 500 Patienten operiert worden.

Bei 70 Prozent der Operierten seien ein Jahr nach dem Eingriff keine Anfälle mehr aufgetreten. Allerdings gebe es auch Risiken: Bei etwa zwei Prozent kam es zu Komplikationen wie Blutungen und Infektionen; weniger als fünf Prozent waren danach sprachlich oder motorisch beeinträchtigt; ein Drittel der am Hippocampus Operierten hatte leichte Gedächtnisschwächen.

Bei etlichen Patienten, die nach Alsterdorf überwiesen würden, seien aber ohnehin andere Behandlungen angezeigt, sagt Stodieck. So könnten epilepsieähnliche Anfälle auch seelisch bedingt sein oder durch Kreislaufprobleme entstehen. Hin und wieder helfe es auch, ein weiteres Medikament auszuprobieren.

Bei Christine Pahl sind die Ärzte allerdings zu dem Schluss gekommen, dass eine Operation helfen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie danach gar nicht mehr unter Anfällen leiden wird, liege bei 60 bis 80 Prozent, hätten ihr die Ärzte gesagt. Medikamente werde sie aber weiterhin nehmen müssen. Ende Juni soll es so weit sein. Anflüge von Sorge, dass alles gut gehen wird, verdränge sie noch. Es überwiege die Hoffnung, bald ganz ohne Anfälle leben zu können, sagt Pahl. „Ich ziehe das jetzt durch.“