Hamburger Ernährungspsychologe untersuchte den Einfluss verschiedener Abnehm-Konzepte auf die Hirnleistung. Der Wissenschaftler sucht nach Wegen, den Menschen beim Abnehmen zu helfen.

Hamburg. Wer abnehmen möchte, kennt die Gratwanderung zwischen Lust und Frust. Die einen gehen rigide vor, verbieten sich Dickmacher wie Fette und Süßigkeiten komplett, halten dies aber meist nicht lange durch und fallen schnell zurück in alte Essmuster. Die anderen essen kalorienärmer, ohne sich starre Verbote aufzuerlegen. Der Hamburger Ernährungspsychologie Prof. Joachim Westenhöfer von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg sucht nach Wegen, den Menschen beim Abnehmen zu helfen. Er untersuchte, was die beiden Ansätze des rigiden Verzichts und des flexibleren kontrollierten Essens im Gehirn bewirken.

Schon länger ist klar, dass es diejenigen, die ihr Essverhalten flexibel zügeln, leichter haben, ihr Gewicht langfristig stabil zu halten. Doch was geht in ihren Köpfen vor? Das wollten Westenhöfer und Kollegen der Universität von Surrey (Südengland) an 106 Probanden herausfinden. Die Frauen im Alter von 21 bis 74 Jahren nahmen seit mindestens sechs Monaten an dem englischen Abnehmprogramm Slimming World (den Weight Watchers ähnlich) teil und hatten in dieser Zeit durchschnittlich rund zehn Kilogramm abgenommen. Einige praktizierten den rigiden Kurs, wechselten zwischen „alles oder nichts“, die anderen setzten auf das „mehr oder weniger“-Essen von bestimmten Lebensmitteln.

Rigide Essverbote stehlen Aufmerksamkeit

Beide Gruppen mussten sich zwei Tests unterziehen, die ihre kognitiven Leistungen erfassten. Zunächst ging es um die Aufmerksamkeit. Die Probanden bekamen am Bildschirm einen kurzen Moment verschiedenfarbige Wörter gezeigt und wurden anschließend nach den Farben der Wörter befragt. Dabei wurden erst einmal 48 neutrale Wörter gewählt und anschließend 48 Begriffe aus den Bereichen Ernährung + Körperfigur.

Von Patienten mit Essstörungen ist bekannt, dass sich ihre Antwortzeiten bei den emotional besetzten Begriffen zu Essen und Figur verlängern. Diese Tendenz maßen die Wissenschaftler auch bei den rigiden Diäthalterinnen. Westenhöfer: „In ihren Köpfen gibt es eine Fülle von Präokkupationen, das heißt, sie haben bei den Ess- und Figurbegriffen alle möglichen Assoziationen, die von unserer Testaufgabe abgelenkt haben.“ Die Funktionsweise des Gehirns lasse sich mit der eines Computers vergleichen: „Beim Denken gibt es einen zentralen Arbeitsspeicher, der Verknüpfungen zu im Langzeitgedächtnis abgelegten Informationen enthält. Die Verarbeitung der abgerufenen Informationen zu Begriffen rund um Figur und Lebensmittel belegt bei den Probanden mit rigidem Essverhalten einen größeren Teil des Arbeitsgedächtnisses als bei den flexiblen Essern.“

Daraus leiten die Forscher folgende Hypothese ab: Die Belastung, die rigide Abnehmer durch die Assoziationen erleben, könnte unbewusst dazu führen, dass sie Diäten schlechter durchhalten. Westenhöfer: „Wenn die Gedanken ständig ums Essen kreisen, bekommen die Leute erst recht Appetit auf Dinge, die sie sich vorenthalten. Diesen Zusammenhang führe ich meinen Studenten in der Vorlesung vor, in dem ich sie auffordere, 15 Sekunden lang nicht an einen Eisbären zu denken…“

Der zweite Test prüfte die Gedächtnisleistungen der Teilnehmerinnen. Sie saßen am Bildschirm und sahen dort beliebige Buchstaben aufblitzen. Wenn zweimal hintereinander derselbe Buchstabe gezeigt wurde, mussten sie ein Knöpfchen drücken. Bei einer zweiten, erheblich schwereren Variante musste reagiert werden, wenn sich der neue Buchstabe mit dem vorletzten wiederholte. Bei diesem Test schnitt die Gruppe mit dem flexibleren Essverhalten schlechter ab.

Die Forscher haben dafür zwei Erklärungsansätze: „Da die flexiblen Esser erfolgreicher abnehmen, führen sie ihrem Körper weniger Energie zu. Das könnte sich auf die Gedächtnisleistung auswirken. Es ist aber auch denkbar, dass das Arbeitsgedächtnis stärker als bei den rigiden Essern mit der Selbstbeobachtung beschäftigt ist. Die flexiblen Diäthalterinnen beobachten und steuern sehr gut ihr eigenes Essverhalten. Da bleibt möglicherweise weniger Raum für unsere Test-Buchstaben.“

Da die flexiblen Abnehmversuche generell besser funktionieren als das rigide Vorgehen, wirken sich die etwas schlechteren Gedächtnisleistungen offenbar kaum auf den Diäterfolg aus. Dennoch sieht Westenhöfer hier neue psychologische Ansätze, um Menschen, die ihre Nahrungsaufnahme zügeln wollen, zu helfen. „Das Ziel muss sein, aus der dauerhaften Kontrolle des Essverhaltens über den Kopf herauszukommen in eine Phase, in der die bewusste Ernährung zur Gewohnheit geworden ist. Dieser Übergang ist schwierig und dauert ein bis zwei Jahre. Haben die Patienten jedoch erst einmal am fettarmen Essen Geschmack gefunden, dann mögen sie oft fettreiches Essen nicht mehr und können dadurch fast automatisch ihr Gewicht halten oder sogar weiter abnehmen.“

Das entscheidende Maß beim Abnehmen sei die Energiedichte, so Westenhöfer. Sie wird oft als Kilokalorien (kcal) pro 100 Gramm angegeben. „Eine möglichst geringe Energiedichte macht es Menschen leichter, ihr Gewicht zu kontrollieren“, sagt Westenhöfer. Leider seien energiearme Produkte oft teurer als energiereiche. Zudem förderten große Portionen das Übergewicht. „XXL- und ,All you can eat‘-Angebote müssten verboten werden.“

Das Gehirn braucht vor allem Glucose, um leistungsfähig zu bleiben

Dass zu viel Fett dem Körper und damit auch dem Gehirn nicht guttut, ist Allgemeingut. Dass fettreiche Ernährung aber messbar das Gedächtnis trübt, mag Westenhöfer nicht bestätigen. Studien aus den Jahren 2009 legten diesen Schluss nahe. Doch die erste (durchgeführt von Wissenschaftlern der Universität Cambridge) testete die Wirkung von fettreicher Nahrung nur an Ratten, und diese Ergebnisse seien kaum auf Menschen übertragbar, wendet der Ernährungsfachmann ein.

Die zweite Untersuchung der Universität Münster betrachtete drei Gruppen mit insgesamt 50 gesunden Menschen im Durchschnittsalter von 60 Jahren, die unterschiedlich viele Kalorien zu sich nahmen. Nach drei Monaten zeigten die Teilnehmer der Gruppe mit der reduzierten Kalorienzufuhr die besten Gedächtnisleistungen. Hier kritisiert Westenhöfer die sehr kleinen Gruppengrößen von jeweils rund 16 Teilnehmern. „In kleinen Gruppen muss der Effekt sehr groß sein, um sicher nachgewiesen werden zu können. Ansonsten kann das Ergebnis auch zufällig entstanden sein.“

Um das Gehirn leistungsfähig zu halten, empfiehlt Joachim Westenhöfer eine gesunde, kohlenhydratreiche Kost. „Sie liefert Glucose, den Nährstoff des Gehirns, dazu mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Vitamine, Mineralstoffe.“ Von Nahrungsergänzungsmitteln, die angeblich vor Demenz schützen oder sonstige positive Wirkungen auf die Denkleistung haben sollen, hält der Ernährungsexperte dagegen wenig: „Die meisten Behauptungen sind nicht wissenschaftlich belegt, sondern reine Werbeversprechen der Hersteller.“