Forscher wollen Übertragungswege besser nachvollziehen können. Dafür wird das Erbgut der Tuberkulose Bakterien entziffert.

Borstel/Hamburg. Mit dem Entziffern des gesamten Erbguts einzelner Tuberkulose (TB)-Bakterien lassen sich deren Übertragungswege besonders gut nachvollziehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie unter Leitung des Forschungszentrums Borstel (FZ Borstel), in der Wissenschaftler die Erreger von 86 Patienten in Hamburg und Schleswig-Holstein genauer unter die Lupe nahmen. "Die genombasierte Untersuchung hat außerdem eine große Bedeutung, wenn es um das Aufspüren von Tuberkulose-Bakterien und deren Verbreitung geht, die gegen mehrere Antibiotika resistent geworden sind", sagte Stefan Niemann vom FZ Borstel. Die Arbeit hat sein Team im Online-Fachjournal "PLOS Medicine" veröffentlicht. In Borstel ist das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien angesiedelt, zu denen Tuberkulose-Erreger gezählt werden.

Tuberkulose-Bakterien befallen in erster Linie die Lunge. Patienten leiden an starkem Husten, Gewichtsverlust, Fieber und Nachtschweiß. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation erkrankten im Jahr 2011 weltweit 8,7 Millionen Menschen an der Infektionskrankheit, und 1,4 Millionen Menschen starben daran. Häufig treten Infektionen in Zusammenhang mit Aids auf. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin wurden für das Jahr 2012 bislang 4268 Fälle in Deutschland gezählt (2011: 4299 Fälle).

Tuberkulose (Schwindsucht) wird mit einer Kombination verschiedener Antibiotika über mehrere Monate hinweg behandelt. Gesundheitsexperten sind alarmiert über das verstärkte Auftreten von Bakterien, die gegen mehrere Standardmedikamente resistent sind. Solche multi- oder extrem resistenten Erreger kommen vor allem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion vor. In Deutschland wurde die allgemeine Rate an multiresistenten Tuberkulose-Erregern im Jahr 2010 mit 1,7 Prozent angegeben. Bei Patienten in Deutschland, die in den ehemaligen Sowjetstaaten geboren wurden, lag sie hingegen bei 12,9 Prozent.

"Wenn ein Tuberkulose-Patient den Gesundheitsbehörden gemeldet wird, dann suchen diese im Umfeld des Patienten nach weiteren Fällen und möglichen Infektketten", sagte Niemann. Die Tuberkulose-Bakterien wurden bisher mit zwei älteren genetischen Methoden untersucht, die nur einen geringen Anteil des Erbguts erfassen. Eine davon wird auch als "genetischer Fingerabdruck" bezeichnet.

"In 86 von 2301 untersuchten Fällen fanden sich Tuberkulose-Bakterien mit einem fast identischen genetischen Fingerabdruck", sagte Niemann. "Diese Häufung kann man als Ausbruch bezeichnen. Am Anfang im Jahr 1997 waren hauptsächlich Menschen betroffen, die regelmäßig eine bestimmte Gaststätte besuchten und in einem Heim für Obdachlose lebten." Keiner dieser Patienten (70 Männer und 16 Frauen) habe eine multiresistente Tuberkulose gehabt.

Das Team um Niemann entzifferte bei diesen 86 Patienten nun fast das gesamte Erbgut der Krankheitserreger - etwa 95 Prozent der rund 4,5 Millionen Basenpaare. Dabei achteten die Forscher vor allem auf Veränderungen im Genom, wie sie im Verlauf der Zeit typischerweise bei Krankheitserregern auftreten. Nach ihren Angaben können sich die Bakterien im Menschen innerhalb von 22 Stunden verdoppeln, und im Erbgut treten durchschnittlich 0,4 Mutationen pro Jahr auf. Außerdem verglichen die Wissenschaftler ihre Genanalysen mit den möglichen Übertragungswegen, die die Behörden durch Befragungen ermittelt hatten.

"Es stellte sich heraus, dass die untersuchten Tuberkulose-Bakterien aus dem Jahr 1997 zwar einen identischen genetischen Fingerabdruck hatten, sich in der Genomanalyse aber doch deutlich unterschieden", sagte Niemann. Von 1998 an konnte sich demnach ein Tuberkulose-Stamm verstärkt verbreiten, den die Forscher als Hamburg-Klon bezeichnen. Dieser entstand vermutlich zwischen 1993 und 1997, bis 2010 wurden ihm laut Studie 56 Patienten zugerechnet. Nach Angaben des Teams um Stefan Niemann wurden nach 2010 weitere Fälle mit dem Hamburg-Klon gefunden. Die genaue Anzahl ist jedoch noch unklar, weil die Analysen noch laufen.

Da die Kosten für die sogenannten Next- Generation- Sequencing- Verfahren in Zukunft weiter sinken würden, könnte "dieser Ansatz bald die Standardmethode für die Analyse von Tuberkulose-Infektketten, die Ausbruchsanalyse und für die Diagnostik werden", hieß es in einer Mitteilung des FZ Borstel.