Frankreich verbietet das Medikament Diane 35 des Pharmakonzerns Bayer. Todesfälle und schwere Erkrankungen werfen Fragen auf.

Paris/Bremen. Es scheint eine dieser "unendlichen Geschichten" der Medizin zu sein: die Vorwürfe gegen Verhütungsmittel. Bereits Anfang Januar wurden Anklagen aus den USA und der Schweiz gegen den Pharmakonzern Bayer und seine Antibabypillen bekannt. Jetzt soll in Frankreich das Akne-Medikament Diane 35 verboten werden, es stammt ebenfalls von dem deutschen Hersteller. Das wegen seiner hormonellen Inhaltsstoffe auch zur Verhütung eingesetzte Präparat darf nur noch drei Monate lang vertrieben werden, teilte die französische Arzneimittelaufsicht ANSM mit. Anlass waren vier Todesfälle, die nach Ansicht der ANSM mit dem Medikament in Verbindung stünden. Das hätten Aussagen von Ärzten bestätigt, die von 125 weiteren Thrombose-Fällen nach dem Einsatz von Diane 35 gesprochen hätten. Der ANSM-Chef Dominique Maraninchi hatte Ärzte bereits in den vergangenen Tagen dazu aufgefordert, das Medikament nur noch zur Behandlung von Akne zu verschreiben. Nun verschwindet es ganz vom französischen Markt.

Das Präparat setzt auf die Wirkung von Gestagenen, einer Klasse der weiblichen Geschlechtshormone. Im Fall von Diane 35 handelt es sich um das sogenannte Cyproteron, das gegen männliche Hormone vorgeht. Sie können auch im Körper der Frau für einen starken Haarwuchs oder Akne sorgen.

Bayer war in den vergangenen Tagen in die Offensive gegangen: Das Medikament, das auch in Deutschland erhältlich ist, sei nicht für die Empfängnisverhütung gedacht gewesen. Außerdem enthalte der Beipackzettel einen entsprechenden Hinweis, dass es zu einer Thrombose führen könne. Zudem sei es Aufgabe der Ärzte, ihre Patientinnen über Risiken aufzuklären.

Das seit 1987 zugelassene Aknemittel nutzen rund 315.000 Frauen in Frankreich. Seit Bekanntwerden der jüngsten Vorfälle waren bei der französischen Justiz 14 weitere Forderungen eingegangen. In Deutschland werde die Verschreibung von Diane 35 "sehr restriktiv" gehandhabt, sagte ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn. Die Verschreibung des Medikaments ausschließlich zu Verhütungszwecken sei hierzulande "nicht mehr möglich".

Bei den Nebenwirkungen geht es oft um Blutgerinnsel

Die französische Regierung äußerte zu Beginn der Woche nicht nur Bedenken wegen des jetzt verbotenen Aknemittels Diane 35, sondern auch hinsichtlich der Verwendung von Pillen aus der dritten und vierten Generation (siehe Beistück). Die Regierung forderte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) auf, die Verschreibung einzuschränken. Anlass war die Klage einer jungen Französin, die sich ebenfalls gegen Bayer richtet. Sie hatte die von dem Unternehmen produzierte Pille Meliane genommen und im Jahr 2006 einen Schlaganfall erlitten, der zu ihrer Schwerbehinderung geführt hatte.

Auffällig ist: Bei den Nebenwirkungen der Pille geht es stets um Blutgerinnsel. Seit etlichen Jahren warnen Ärzte Frauen vor dem Risiko von Venenthrombosen und vor seltener auftretenden Schlaganfällen. Das in den Pillen der dritten und vierten Generation verwendete Gestagen Drospirenon könnte für das Auftreten von Blutgerinnseln verantwortlich sein oder sie zumindest begünstigen. Die EMA stellt die Produkte auf den Prüfstand, versicherte jedoch bereits, dass das Risiko einer Thrombose-Erkrankung bei Einnahme einer Pille der dritten oder vierten Generation "sehr gering" sei. Dafür, dass sich die Sicherheit des Verhütungsmittels geändert habe, gebe es "keine neuen Beweise". Für das Absetzen eines solchen Präparats gebe es "überhaupt keinen Grund".

Schon Anfang Januar war ein ähnlicher Fall in der Schweiz bekannt geworden: Die Krankenkasse CSS fordert von Bayer 600.000 Schweizer Franken, etwa 480.000 Euro - die Summe, welche die Behandlung einer jungen Frau gekostet hatte. Sie war nach der Einnahme der Pille Yasmin an einer Lungenembolie erkrankt, dem Verschluss eines Gefäßes in der Lunge, und ist seitdem schwerstbehindert.

Vorwürfe gegen die Präparate Yasmin und Yaz hatte es in der Vergangenheit bereits viele gegeben, weswegen Bayer offenbar vorgesorgt und Rücklagen in Höhe von 700 Millionen Euro gebildet hat. Seit der Übernahme der Berliner Schering AG ist der Konzern der weltweit bedeutendste Hersteller von Verhütungspräparaten. Laut Geschäftsbericht machte er allein im Jahr 2011 einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro - nur mit den Antibabypillen Yaz, Yasmin und Yasminelle.

Genauso lange wie die Pille auf dem Markt ist, halten sich die Zweifel bezüglich ihrer Nebenwirkungen. Besonders bekannt ist - den Anklagen entsprechend - das Risiko einer Thrombose. Die Pillen der dritten und vierten Generation mit ihrer Kombination aus den künstlichen Hormonen Östrogen und Gestagen verdoppelt die Gefahr einer Gefäßerkrankung: Bei einer Einnahme der Pille über ein Jahr erleiden von 100.000 Frauen 30 bis 40 eine Thrombose, sagt Gerd Glaeske, Professor für Arzneimittelversorgungsforschung der Universität Bremen. "Das Problem ist, dass die meisten Frauen, die die Pille nehmen, völlig gesund sind. Erst durch das Einnehmen des Verhütungsmittels geraten sie überhaupt in die Gefahr, beispielsweise an einer Thrombose zu erkranken", so Glaeske. Besonders gefährdet seien darüber hinaus Frauen, die an Venenproblemen oder Übergewicht leiden oder erblich vorbelastet sind. Sie sollten sich regelmäßig untersuchen lassen oder ganz auf die Einnahme verzichten.

Aber auch äußere Einflüsse tragen zum Risiko einer Erkrankung bei: Die Einnahme der Pille gilt für Raucherinnen als höchst gefährlich. Bisher noch wenig bekannt ist die Verbindung zwischen der Pille und Gebärmutterhalskrebs. Wie Wissenschaftler der Berliner Charité herausfanden, erhöht die dauerhafte Einnahme des Verhütungsmittels die Wahrscheinlichkeit, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Bisher galt vor allem eine Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) als hauptsächlicher Auslöser für den Krebs.

Als bedenklich gilt die Verwendung des Verhütungsmittels auch in Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit. Je länger die Pille, die in Deutschland bis zum 21. Lebensjahr kostenlos ist, eingenommen wird, desto geringer sind die Chancen, nach Absetzen des Präparats ein Kind zu bekommen - das befürchten jedenfalls viele Frauen. Eine berechtigte Sorge? "Der Zusammenhang ist noch nicht wissenschaftlich erwiesen, aber es kann natürlich sein, dass die dauerhafte Abgabe von Hormonen durch die Antibabypille den Körper dazu veranlasst, die eigene Produktion zurückzustellen", so Glaeske.

Sechs Millionen deutsche Frauen nehmen die Pille

Trotzdem nehmen Schätzungen zufolge sechs Millionen Frauen in Deutschland die Pille, im Alter von 18 Jahren sind es 80 Prozent. Die Gründe für die Einnahme sind vielfältig, längst ist es nicht mehr nur der Wunsch nach "sorglosem" Sexualverkehr: Teenager beispielsweise träumen von einem großen Busen, mit dem positiven Nebeneffekt, durch die Hormone auch eine reine Haut zu bekommen.

Genau das sei das Problem, sagt Gerd Glaeske. "Die Pille wird heute als Präparat für Haut und Haare verkauft, als ein Produkt aus der Kosmetikbranche", so der Experte. Dass es sich aber um ein Arzneimittel mit Geschlechtshormonen handelt, gerate in den Hintergrund. Ebenso wie die möglichen, vielfältigen unerwünschten Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, die nachlassende Lust an Geschlechtsverkehr oder das mögliche Auftreten von Depressionen.

Weitere Verhütungsmethoden, etwa das Diaphragma - ein Gummi, das in der Vagina sitzt - gelten als weniger zuverlässig. Das Diaphragma "könnte doch verrutschen", schreibt eine Nutzerin des Internetforums "med1". Ähnliches gilt für das Kondom. Dieses schützt bei richtiger Anwendung zwar relativ zuverlässig, wird aber oftmals trotzdem nur als Ergänzung zur Pille und dann als Schutz vor der Übertragung von Aids und Geschlechtskrankheiten verwendet.