Der Vater der deutschen Fischereiforschung, Walther Herwig, baute die Hochseefischerei vor mehr als 100 Jahren auf.

Bremerhaven/Hamburg. Wie entwickeln sich die Bestände wichtiger Nordseefische wie Scholle, Kabeljau und Hering? Und wie stark ist der Nachwuchsjahrgang 2012 der Arten? Um diese und weitere Fragen zur Meeresfauna beantworten zu können, läuft das Fischereiforschungsschiff "Walther Herwig III" heute in Bremerhaven aus. Der Hecktrawler verdankt seinen Namen dem "Vater" der deutschen Fischereiforschung Walther Herwig (1838-1912), der auch in Hamburg und Cuxhaven deutliche Spuren hinterließ.

Wer heute in Cuxhaven die Präsident-Herwig-Straße entlangspaziert, findet dort viele Fischrestaurants und -händler. Einige residieren in den Hallen am Fischereihafen. Ende des 19. Jahrhunderts lag dieser im Dornröschenschlaf. Walther Herwig, damals Präsident des Deutschen Seefischerei-Vereins, empfahl, ihn für die wachsende Fangflotte herzurichten - auch, um den Kuttern die langen Wege zu den florierenden Auktionshallen in Altona und St. Pauli zu ersparen (diese waren ebenfalls von Herwig gefördert worden). In Cuxhaven entstanden zwei Fischhallen, ein Eisenbahnanschluss, Ausrüstungsbetriebe. Der Hafen entwickelte sich prächtig - die Verbindungsstraße zum Bahnhof trug fortan Herwigs Namen.

Fachleute sind sich einig: Die deutsche Seefischerei hat Walther Herwig viel zu verdanken. Dabei hatte der studierte Jurist zunächst nichts mit der Küste im Sinn. Geboren wurde er 1838 in Arolsen (heute Bad Arolsen) in Hessen, mitten im Binnenland. Sehr früh entwickelte sich dort sein Interesse an Fischen - mit zwölf Jahren erwarb der Angelfan zusammen mit einem Freund ein Fischereirecht an der Aar.

Als Landrat in Ahaus im Münsterland verfasste er ein Gutachten über die Fischbestände eines Flussabschnitts der Lippe. Im November 1877 legte er das Werk vor, das "in Struktur und Inhalt noch heute beeindruckt", schreibt der Fischereiexperte Dr. Gerd Wegner in der gerade publizierten Herwig-Biografie "Frischer Fisch und Heidekraut". Zwar sei der Flussabschnitt noch sehr fischreich, doch beklagte Herwig die "große Zunft der Wildfischer", das Missachten von Schonzeiten und das Fischen mit Dynamit. Er empfahl Laichschutzgebiete sowie Untersuchungen, um die künftige Fischerei samt Jungfischbesatz aufzubauen.

Ein Jahr später, als Landrat von Marienwerder (Brandenburg), begann Herwig, die westpreußische Fischerei zu fördern, zunächst mit dem Schwerpunkt Weichsel. Die dort lebenden Lachse führten ihn, inzwischen Vizepräsident des Deutschen Fischerei-Vereins, zum Meer: Herwig beklagte das Wegfangen der Junglachse in der Ostsee und forderte, dass alle "Uferstaaten" ein Fangverbot erlassen sollten. Gleichzeitig sah Herwig die ärmlichen Lebensverhältnisse der Seefischer, die in kleinen Booten in der Danziger Bucht auf Lachsfang gingen. Zusammen mit dem Königsberger Anatomie-Professor Berthold Adolph Benecke suchte er nach Wegen, die mitgefangenen Sprotten, die bislang nur als Dünger dienten, gewinnbringender zu verwerten.

Geräuchert könnten die kleinen Fische gut verkauft werden. Doch gab es in der Gegend keine ausgebildeten Fischräucherer. Also schickte Herwig auf Vereinskosten einen geeigneten Kandidaten nach Kiel und ließ ihn ins Räucherei-Handwerk einweisen. Zurück in Danzig eröffnete dieser eine kleine Räucherei und Marinieranstalt. In der Folge entstanden in mehreren Ostseehäfen Räuchereien.

Anfang 1884 übernahm Herwig den Ausschuss für Seefischerei im Deutschen Fischerei-Verein. Er wollte eine florierende Hochseefischerei aufbauen, doch fehlte das Geld für neue Kutter und Fischdampfer. Die Rezession spielte ihm 1885 in die Hände: Deutsche Reeder und Seeleute suchten neue Betätigungsfelder. In ihren "Mittheilungen der Section für Küsten- und Hochseefischerei" warben Benecke und Herwig um Unterstützung der deutschen Seefischerei - mit Erfolg: Der Reichsetat 1886/87 enthielt eine neue Position: "Förderung der Hochseefischerei", ausgestattet mit 100.000 Reichsmark.

Die Seefischerei nahm Fahrt auf, überall entstanden Markthallen, auch im Binnenland. Hier wurde der Frischfisch mit der Bahn herantransportiert. Um die Seefischnachfrage anzukurbeln, setzte die Sektion Kochbücher und -kurse ein und verteilte Fischrezepte an Truppenküchen, damit die Soldaten Geschmack am Seefisch fanden.

Damit die Vermarktung mit der Entwicklung Schritt hielt, wurden zunächst in St. Pauli (1886) und Altona (1887) Auktionen eingeführt. Rund zehn Jahre später entstanden dort die Auktionshallen - Altona wurde zeitweilig zum größten deutschen Fischereihafen. Nicht nur anlandende Kutter (Segelschiffe) und Dampfer versorgten die Markthalle, sondern auch die Bahn: Der Altonaer Schellfischtunnel diente nicht etwa dazu, Fische vom Elbufer zum Bahnhof zu transportieren, sondern umgekehrt dänischen Schellfisch zum Altonaer Fischhandel.

Walther Herwig legte viel Wert auf die Ausbildung der Fischer. Das zeigte sich auch in Hamburg. Zusammen mit Otto Lehmann, Gründungsdirektor des Altonaer Museums, gestaltete er für das Museum (bis 30.4.13 wegen Umbaus geschlossen) eine Fischereiabteilung. Dort zeigen bis heute Dioramen (dreidimensionale Schaukästen) aus der Zeit Fahrzeuge und Fanggerät. Die Modelle sollten damals die Fischer davon überzeugen, in moderne Technik zu investieren, um weiter hinausfahren zu können und dabei die neuen Möglichkeiten der künstlichen Kühlung zu nutzen.

Sein letztes Lebensjahrzehnt stellte Herwig in den Dienst der aufkeimenden Internationalen Fischereiforschung. Von 1902 bis 1908 leitete er den Zentralausschuss für Internationale Meeresforschung, die Vorgänger-Institution des Internationalen Rats für Meeresforschung ICES. Die heute beginnende Forschungsfahrt der "Walter Herwig III" erhebt die Daten zu den Nordseebeständen im Rahmen der von ICES koordinierten länderübergreifenden Aktivitäten - und steht damit ganz in der Tradition ihres Namensgebers.

Zum Weiterlesen: "Frischer Fisch und Heidekraut", Anne Mahn/Gerd Wegner, Verlag Hinstorff, 128 S., 19,99 Euro