Einsatz in den Ställen fördert resistente Keime, die immer häufiger auch in Fleischwaren nachgewiesen werden - wie zuletzt bei Schweinemett

Hamburg/Berlin. Antibiotikaresistente Bakterien auf Schweinemett sind nur die Spitze des Eisbergs. Vergangene Woche geriet eine Untersuchung im Auftrag der Grünen-Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn und Friedrich Ostendorff in die Schlagzeilen, nach der acht von 50 Mettproben mit solchen Keimen belastet waren, darunter zwei Schinken-Zwiebel-Streichmettwürste aus Hamburg. Seit Jahren steht der hohe Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung in der Kritik. Denn er fördert Keime, die unempfindlich gegen die medizinischen Wirkstoffe sind. Über den Schlachthof gelangen die Erreger vom Stall zum Verbraucher. Erst allmählich lässt sich das Ausmaß des Problems abschätzen.

Eine Schlüsselzahl veröffentlichte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im September 2012: Pharmazeutische Unternehmen und Großhändler haben im Jahr 2011 in Deutschland rund 1734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Damit ist der Einsatz der Bakterienkiller in den Tierställen höher als erwartet - und wohl auch höher als in der Humanmedizin. Dort sind es nach einer älteren Schätzung rund 1600 Tonnen. Zwar sind Antibiotika sowohl als Mastbeschleuniger als auch zum vorbeugenden Einsatz verboten. Doch ist es erlaubt, Beständen mit Tausenden Tieren etwa über die Tränken Antibiotika zu verabreichen, wenn einzelne Tiere erkrankt sind (Metaphylaxe).

Als Folge des intensiven Medikamenteneinsatzes bilden sich Bakterienstämme, die gegen einen oder mehrere antibiotische Wirkstoffe unempfindlich sind. Sie haben in Ställen, in denen diese Wirkstoffe eingesetzt werden, einen Vorteil gegenüber den nicht resistenten Keimen und verbreiten sich dadurch umso stärker. Sie sind zwei Gruppen zuzuordnen: MRSA- und ESBL-Keimen. MRSA steht für Methicillin-resistente Bakterien der Art Staphylococcus aureus (S. aureus). Die Keime können beim Menschen Wundinfektionen und Entzündungen der Atemwege hervorrufen und sind vor allem als "Krankenhauskeime" bekannt. Diese unterscheiden sich jedoch genetisch von den MRSA aus der Tierhaltung.

S. aureus ist ein sehr verbreiteter Keim, der zur Hautflora gehört. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung tragen ihn. Es sei davon auszugehen, dass bei ein bis zwei Prozent der Bevölkerung die resistente Variante MRSA die Haut besiedelt, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Das mache die Menschen zwar nicht krank, doch trügen sie ein höheres Risiko, zum Beispiel nach Operationen eine MRSA-Infektion zu erleiden. Dies ist eine Herausforderung für die Mediziner, denn die Standard-Antibiotika gegen solche Infektionen können den Erreger nicht mehr abtöten. Dies könne laut BfR zu verlängerten Krankenhausaufenthalten und erhöhten Todesraten führen.

Die ersten MRSA bei Nutztieren wurden bereits in den 1970er-Jahren bei Rindern nachgewiesen. S. aureus wird in der Milchviehhaltung bekämpft, denn er verursacht Entzündungen der Milchdrüse. Die Präsenz in Lebensmitteln geriet 2008 ins Visier, damals wurde Puten- und Hühnerfleisch untersucht. Breiter angelegte Analysen in den Jahren 2009 und 2010 zeigten, dass (je nach Produktionsform) in 41 bis 70 Prozent der deutschen Schweine-ställe MRSA nachgewiesen wurden. Schweine auf Bio-Höfen sind mindestens 3,5-fach seltener betroffen.

Im konventionellen Schlachtbetrieb trugen sogar bis zu 80 Prozent der Schweine MRSA-Keime. Hohe Anteile fanden sich auch bei Mastputen (65,5 Prozent) und Mastkälbern (35,1 Prozent). Folgerichtig tauchen die Keime auch in Fleischproben auf. Das BfR nennt auf Basis von Untersuchungen aus dem Jahr 2009 folgende MRSA-Höchstwerte: Schwein 15,8 Prozent, Kalb 12,9 Prozent, Hähnchen 23,7 Prozent und Pute 43,4 Prozent. Bei der Zubereitung des belasteten, noch rohen Fleisches können die Keime auf den Menschen übertragen werden. Auch durch den Kontakt mit infizierten Tieren oder beim Atmen der Stallluft können Menschen zu MRSA-Trägern werden: Nach einer niedersächsischen Untersuchung tragen nur 1,5 Prozent der allgemeinen Bevölkerung MRSA, aber ein Viertel der Personen, die beruflich Kontakt mit Nutztieren haben.

Die zweite Gruppe der resistenten Bakterien sind die ESBL-Keime. Die Resistenz kommt vor allem bei (meist harmlosen) Darmbakterien vor. Diese produzieren dann spezielle Enzyme (extended-spectrum beta-lactamases, AmpC beta-lactamases), die sie gegen bestimmte Antibiotika immun machen. Damit sie diese Enzyme bilden können, brauchen die Keime jeweils ein spezielles Gen. Diese Resistenzgene liegen innerhalb des Genoms quasi auf dem Präsentierteller: in einem Abschnitt, der leicht übertragbar auf andere Bakterien ist. Dies können Keime derselben Art, aber auch fremder Arten sein.

Letzteres birgt spezielle Risiken: Eigentlich harmlose Darmbakterien, die die Gene zur Produktion von ESBL oder AmpC tragen, können diese beispielsweise an Salmonellen weitergeben. Die Krankheitserreger wären dadurch gegen eine ganze Reihe von Antibiotika gewappnet, etwa gegen Ampicillin und gegen Cephalosporine der dritten und vierten Generation. Letztere gehörten "zu den wichtigsten Wirkstoffen zur Behandlung solcher Infektionen beim Menschen", erläutert das BfR.

Sowohl beim EHEC-Ausbruch im Frühsommer 2011 mit 50 Toten als auch bei der Infektionswelle auf der Frühchen-Station des Klinikums Bremen-Mitte, durch die im Herbst 2011 drei Säuglinge starben, spielten ESBL-Keime eine Rolle. Auch deshalb gerieten sie verstärkt ins Visier der Lebensmittelkontrolleure und Verbraucherschützer.

Ältere Untersuchungen aus den Jahren 2009 und 2010 zeigten im Vergleich zu MRSA eine deutlich geringere Verbreitung der ESBL-Keime; der höchste Anteil in der Tierhaltung trat mit 13,5 Prozent bei Masthähnchen auf. Einer neueren Studie zufolge trugen 38 Prozent von 199 untersuchten Hähnchenfleischproben ESBL-Keime. Und vor gut einem Jahr meldete der Umweltverband BUND, dass in zehn von 20 untersuchten Hähnchenfleischproben aus deutschen Supermärkten ESBL-Bakterien gefunden wurden. Bei der gerade vorgestellten Mettanalyse handelte sich ebenfalls um ESBL-Keime. Dagegen seien in Hamburg im vergangenen Jahr neun Schweinefleischproben mit negativem Ergebnis untersucht worden, sagte Rico Schmidt, Sprecher der Gesundheitsbehörde.

Wie bedeutend die Infektionsquellen Lebensmittel, Nutz- und auch Haustier für Erkrankungen des Menschen seien, lasse sich noch nicht genau abschätzen, urteilt das BfR. Die Experten gehen aber davon aus, dass ein Gesundheitsrisiko für den Menschen besteht, und fordern, der Antibiotika-Einsatz müsse "sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin auf das notwendige Maß begrenzt werden".

Umfassende Zahlen zum durchschnittlichen Antibiotikaeinsatz je Tier soll in den nächsten Monaten die bundesweit angelegte "Vetcab"-Studie liefern, die seit 2006 von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und der Uni Leipzig durchgeführt wird. Darüber hinaus untersucht der Forschungsverbund "RESET" derzeit in 200 deutschen Ställen, in welchem Maße sich resistente Erreger gebildet haben.