Eine Studie zeigt mehr niedergeschlagenes oder aggressives Verhalten bei Elf- bis 16-Jährigen in Hamburg als im Bundesdurchschnitt.

Hamburg. Wie oft fühltest du dich in den vergangenen sechs Monaten niedergeschlagen? Warst du gereizt oder nervös? Konntest du nicht einschlafen? 1710 Kinder und Jugendliche aus dem gesamten Hamburger Stadtgebiet haben Wissenschaftlern über einen Fragebogen Einblicke in ihr Seelenleben gegeben. 580 der befragten Fünft- bis Neuntklässler besuchten eine Haupt- oder Realschule, 222 eine Gesamtschule und 908 ein Gymnasium. Es war die zweite Befragung dieser Art in Hamburg nach 2006, und das Ergebnis war eindeutig: Demnach sind mehr Kinder und Jugendliche im Alter zwischen elf und 16 Jahren in der Hansestadt psychisch auffällig als im Bundesdurchschnitt.

"Grenzwertig und psychisch auffällig fassen wir zusammen als diejenigen, die man genauer untersuchen muss. Das sind von den Jungen 17 Prozent in Hamburg und 12,2 Prozent im Bundesdurchschnitt. Bei den Mädchen sind es in Hamburg 20,8 Prozent und 16,4 Prozent im Bundesdurchschnitt", sagt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Die UKE-Forscher zogen einen Vergleich zwischen Hamburger und bundesdeutschen Untersuchungsergebnissen und veröffentlichten diese jetzt in dem Buch "Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen: Die WHO-Jugendgesundheitsstudie für Hamburg".

Die psychischen Auffälligkeiten haben die Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im UKE, noch weiter unterteilt. Zusammengefasst werden auch dabei grenzwertige und deutliche Auffälligkeiten, und auch hier zeigte sich teilweise die gleiche Tendenz: Danach leiden in Hamburg mehr Jugendliche unter emotionalen Problemen wie zum Beispiel Niedergeschlagenheit, Angst, Traurigkeit, Schüchternheit. Bei den Jungen sind es in der Hansestadt mit 7,6 Prozent fast doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt (4,1 Prozent).

Bei Mädchen ist der Anteil grundsätzlich deutlich höher, der Unterschied zum Bund fällt hingegen etwas geringer aus (Hamburg: 17,4 Prozent, Bund: 15,9 Prozent). Verhaltensprobleme wie Aggressivität, ständiges Stören im Unterricht oder Schwierigkeiten, sich in soziale Zusammenhänge einzufügen, sind bei Jungen häufiger als bei den Mädchen. Von den Hamburger Befragten berichteten 24,2 Prozent der Jungen über solche Probleme, im Bundesdurchschnitt waren es 16 Prozent. Bei den Mädchen lagen die Zahlen bei 17,6 Prozent in Hamburg und 11,9 Prozent im Bund. Keine nennenswerten Unterschiede zeigten sich in den Kategorien Hyperaktivität, Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen oder dem Schikanieren oder Schikaniertwerden in den Schulen.

Zudem fiel in diesem Vergleich noch auf, dass die Jugendlichen in der Hansestadt etwas seltener rauchen: Bei den Hamburger Mädchen sind 95,1 Prozent Nichtraucher (Bund: 93,6 Prozent), bei den Jungen 95,4 Prozent (Bund: 94,1 Prozent). Wesentlich deutlicher fallen die Unterschiede sogar beim Alkoholkonsum aus. Hier gaben in Hamburg 94,3 Prozent der Mädchen an, keinen Alkohol zu trinken (Bund: 93,8 Prozent). Von den Hamburger Jungen trinken 93,2 Prozent keinen Alkohol, gegenüber 88,8 Prozent im Bund.

Für das Auftreten von psychischen Auffälligkeiten haben die Wissenschaftler eindeutige Risikofaktoren identifiziert. "Diese Kinder und Jugendlichen kommen vor allem aus Familien mit niedrigem Einkommen, schlechten Bildungsstand oder Migrationshintergrund", sagt Ravens-Sieberer. Dass die psychischen Auffälligkeiten bei Kindern in Hamburg häufiger seien, hänge mit den Risikokonstellationen zusammen, die es in dieser Stadt gebe, ergänzt Schulte-Markwort.

Angesichts dieser Zahlen stellt sich auch die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. "Zwar lassen sich Anfang des kommenden Jahres noch viele Kinderpsychiater und -pschyologen in Hamburg nieder, sodass die ambulante kinderpsychiatrische Versorgung in Hamburg besser wird. Aber da der Schweregrad der Störungen zunimmt, muss man mehr über Modelle der tagesklinischen Betreuung und der Behandlung der Kinder zu Hause nachdenken", sagt Schulte-Markwort.

Ulrike Ravens-Sieberer hält es für besonders wichtig, dass die Prävention psychischer Störungen und die Gesundheitsförderung schon in den Kindergärten und Schulen einsetzen. "Wenn wir schon wissen, dass es eine Gruppe von Kindern mit sämtlichen Risikofaktoren gibt, dann müssen wir früh präventiv ansetzen - und das passiert in Hamburg zu wenig. In den Kindergärten und Schulen sollte bei den Kindern ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie man mit Stress umgeht, wie man den eigenen Stress wahrnimmt und reduziert. Bisher gibt es aber kein verbindliches Programm, das Umgang mit Stress auch im Unterricht aufgreift."

Denn der Stress nehme bei Kindern und Jugendlichen zu; sie müssten mit erhöhten Anforderungen fertig werden und mit unsicheren Zukunftsperspektiven. "Dem muss man etwas entgegensetzen, sodass sie lernen, mit den eigenen Ängsten und der Unsicherheit umzugehen. Wir sehen ja jetzt schon, dass immer mehr Menschen im Arbeitsleben mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben", sagt die Forscherin.

Es werde auch diskutiert, den Fragebogen zur Untersuchung von psychischen Auffälligkeiten bereits bei den Schuleingangsuntersuchungen zu verwenden, um frühzeitig seelische Störungen zu erkennen. "Wir haben bisher immer mehr auf die körperliche Gesundheit geschaut und zu wenig auf die seelische. Aber es ist eine ganzheitliche Betrachtung nötig", meint Ulrike Ravens-Sieberer.

Wobei nicht jede Auffälligkeit unbedingt therapiebedürftig ist: "Es muss aber abgeklärt werden, was dahintersteckt", sagt Schulte-Markwort. "Man kann davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, bei denen mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit eine psychische Auffälligkeit vorliegt, eine Therapie braucht."