Die TU Hamburg-Harburg will die Ausbildung von Grund auf erneuern. Das Ziel: 15 bis 20 Prozent mehr Absolventen.

Hamburg. Jeder zweite Student an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) bricht ab - seit Jahren ist die Schwundquote an der Hochschule doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Zwar schneiden einige andere Technische Universitäten hierzulande kaum besser ab; in den Ingenieur- und Naturwissenschaften kamen schon immer weniger Studenten ins Ziel als etwa in den Wirtschaftswissenschaften. Dass es andernorts ähnlich schlecht läuft, macht die Misere aber nicht erträglicher.

Prof. Sönke Knutzen, seit April neuer Vizepräsident für die Lehre an der TUHH, will sich damit nicht mehr abfinden. Die Auswahl der Studenten, ihre Betreuung, das Lehrangebot, die Prüfungen - all das soll besser werden, organisiert durch ein "Zentrum für Lehre und Lernen" mit 20 neuen Mitarbeitern, das gestern eröffnet wurde. "Es gibt viele Baustellen, an denen wir arbeiten müssen", sagt Knutzen.

Nach dem im Juni angekündigten neuen Förderkonzept, mit dem die TUHH die Wirtschaft stärker ins Boot holen will, ist dies die zweite Offensive, um das Image der Hochschule zu verbessern. 5,6 Millionen Euro lässt sich die TUHH ihren "Paradigmenwechsel" (Knutzen) kosten. Das Geld kommt vom Bundesbildungsministerium, das mit einem "Qualitätspakt Lehre" 186 Hochschulen in Deutschland bis 2020 mit zwei Milliarden Euro unterstützt. Für einen Zuschuss mussten sich die Hochschulen bewerben. In Hamburg erhalten auch die Uni Hamburg, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die Hafencity-Universität und die Hochschule für Musik und Theater Geld aus diesem Topf.

Ist die TUHH nicht sehr spät dran mit ihren Bemühungen, die Schwundquote zu senken? "Zugegeben: Wir sind nicht die Ersten, die sich stärker um die Lehre kümmern", sagt Sönke Knutzen. Dafür solle sich die Situation nun umfassend verbessern. Dies sei allerdings nicht in wenigen Monaten zu schaffen.

Knutzen zufolge beginnen die Probleme bisher schon damit, dass viele Studienanfänger falsche Erwartungen hätten. Ihnen sei oft nicht klar, welche Stoffe in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen behandelt würden (am Anfang viel Mathematik) und was etwa Maschinenbauingenieure oder Verfahrenstechniker tun. Deshalb soll bis zum nächsten Sommersemester in Grundzügen ein neues Onlineportal entstehen, mit Eignungstests und Texten, die anschaulicher und genauer als bisher über das Studium und Berufsbilder informieren. "Wir wollen Bewerber damit nicht abschrecken, sondern ihnen bei der Entscheidung helfen, ob das ihre Welt ist", sagt Knutzen.

Sagt der Bewerber Ja, soll er nicht mehr enttäuscht werden. Dies war bisher vor allem dann der Fall, wenn der Stoff in Vorlesungen und Seminaren abstrakt erschien, losgelöst von der Praxis und konkreten Projekten. Das zeigte bereits 2009 eine Studie der TUHH-Forscherin Gabriele Winker, die Studienabbrüche in den Ingenieurwissenschaften hierzulande untersucht hatte - auch an der TUHH. Ergebnis: 80 Prozent der Studienabbrecher sind grundsätzlich für ein Ingenieurstudium geeignet - und sie würden dieses unter anderen Voraussetzungen beenden.

Die 20 Mitarbeiter des neuen Zentrums für Lehre und Lernen sollen nun dabei helfen, mehr als 100 der 300 Veranstaltungen in den Ingenieurwissenschaften näher an die Praxis zu rücken und den Studenten besser zu vermitteln, wie sie ihr Wissen zur Anwendung bringen. Knutzen: "Ich möchte, dass unsere Studenten künftig bei allem, was sie hier lernen, wissen, wozu es gut ist."

Dafür sind allerdings Dozenten nötig, die Studenten motivieren. Das war an der TUHH zuletzt wohl nicht immer der Fall. Legendär die Geschichte über jenen Professor, der zu Erstsemestern gesagt haben soll: "Schauen Sie sich um: Heute sitzen hier 300. In einigen Wochen sind es die Hälfte." Ob wahr oder nicht: "Einige Lehrende haben die Haltung, dass wir vor allem Grundlagenwissen vermitteln sollten", sagt Knutzen. Ihm komme es vor allem darauf an, Studenten so zu fördern, dass aus ihnen gute Ingenieure oder Wissenschaftler werden.

Ob die Studenten mitkommen, überprüfen einige Dozenten inzwischen durch Clicker-Systeme: Per Fernbedienung können die Studenten während einer Vorlesung signalisieren, wie viel sie verstanden haben. Solche Methoden möchte Knutzen ausbauen.

Ursprünglich war die TUHH für 2500 Studenten ausgelegt, mittlerweile studieren dort etwa 6000 junge Menschen. Weil es an Räumen fehlt, um bei Mathematik- und Mechanikklausuren bis zu 1000 Studenten gleichzeitig zu prüfen, musste die Hochschule die Alsterdorfer Sporthalle mieten. Das war oft nur kurzfristig möglich, sodass die Studenten erst am Ende des Semesters die Prüfungstermine erfuhren. Das sorgte für Frust. Jetzt gebe es langfristige Verträge mit der Sporthalle und dem Bürgerzentrum Feuervogel, sodass die Termine künftig zu Beginn des Semesters feststehen sollten, sagt Knutzen.

Ob die Maßnahmen etwas bringen, ist offen. Knutzen jedenfalls glaubt, "dass wir die Abbrecherquote bis 2017 um 15 bis 20 Prozent reduzieren können". 2017 endet die Amtszeit von TUHH-Präsident Garabed Antranikian.