Am Bodensee haben sich Landwirte zusammengetan, um Wildpflanzen eigens für Biogasanlagen anzubauen - ein ökologisches Hoffnungszeichen.

Konstanz/Tengen. Bis zu vier Meter hoch leuchten die gelben Köpfe der Sonnenblumen auf dem Kräuteracker bei Tengen am Bodensee. „Erste Aussaat war vor mehr als einem Jahr“, sagt Landwirt Oskar Stihl. Hier wachsen 25 verschiedene mehrjährige Wildpflanzen. Jetzt im Herbst ist Erntezeit – die Wiese wird gemäht, der Ertrag geht in eine Biogasanlage, die daraus Energie erzeugt. Blumenwiesen statt Mais – die Pächterin des Feldes wollte den Versuch wagen. Christine Stotz ging es um „die Gesundheit des Boden und der Bienen“, wie sie sagt. Stihl als Betreiber war sofort dabei.

Der 59-jährige Oskar Stihl ist einer von 26 Landwirten, die unter dem Dach des Bodensee-Projekts „Plenum“ (Projekt des Landes zur Erhaltung und Entwicklung von Natur und Umwelt) eine Wildpflanzenmischung anbauen und testen, wie sie sich für Biogasanlagen eignet. Die Erzeugung von Strom aus Biogas ist wichtiger Bestandteil der Energiewende der Bundesregierung. Bundesweit untersuchen Landwirte, Institute, Hochschulen und Firmen Wildpflanzen als Alternative zum Mais – nicht erst, seitdem die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2012 einen „Maisdeckel“ vorschreibt, eine Beschränkung des Getreide- und Maiseinsatzes für Biogasanlagen auf höchstens 60 Prozent.

Zwei Stunden dauert es an diesem sonnigen Herbsttag, dann ist das Wildblumenmeer aus Sonnenblumen und lila Malven abgeerntet. Landwirt und Biogasanlagenbetreiber Oskar Stihl hatte sich mehr erwartet. „Ich bin auf 33 Tonnen Frischmasse pro Hektar gekommen“, bilanziert er nach seiner ersten Wildpflanzen-Ernte. Bei Mais sei der Ertrag doppelt so hoch. „Der Selbstfahrhäcksler hatte erhebliche Mühe, die Blumen sauber abzuernten“, sagt Stihl.

Am Feldrand beobachtet Landwirt Markus Frick aus Kißleg bei Wangen im Allgäu die Ernte. Der 38-jährige Biogas- und Milchbauer ist extra angereist, will sich über die neue Alternative informieren. „Wirtschaftlich wird es mit Sicherheit nicht sein“, sagt er. „Aber warum nicht noch ein paar schöne Flecken innerhalb der Mais- und Getreideflächen haben, Abwechslung reinbringen“, überlegt er. Ein Zeichen setzen. Die Wildpflanzenfelder seien auch wichtiger Lebensraum für Tiere. „Wenn man sieht, wie viel Leben in den Feldern ist – schön.“

Viel zu schnell werde man als Biogasanlagenbetreiber als „böser Biogasmensch“ abgestempelt, sagt Frick. Dabei würden in seinem Betrieb nur zehn Prozent der Biomasse aus Mais gewonnen. Der Rest sei Grassilage und Gülle seines Milchviehs.

„Wir wollen den Landwirten mit den Wildpflanzen eine Ergänzung zu Mais anbieten“, sagt Regionalmanager Jochen Goedecke vom Projekt „Plenum westlicher Bodensee“. Die fünfjährige Wildpflanzenmischung wurde von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau zusammen mit der Firma Saaten Zeller entwickelt und in den vergangenen drei Jahren auf Versuchsflächen getestet.

Durch die mehrjährige Mischung sind die Kosten für Arbeit, Maschineneinsatz, Saatgut wesentlich geringer als bei Mais. Die ersten Untersuchungen zeigen positive Ergebnisse: „Erzielt wurden rund 60 bis 70 Prozent der Trockenmasse- und Methanerträge vom Mais“, sagt Goedecke. Außerdem: Die Bodenerosion nimmt ab, Pflanzenschutzmittel sind nicht mehr nötig. „Auf den Wildpflanzenwiesen gibt es drei bis acht Mal so viele Insekten wie auf Maisflächen.“

Wildpflanzen bieten außerdem gute Brutmöglichkeiten für Vögel und Deckung für Wild, ergänzt Stephan Rauh vom Fachverband Biogas. Aus seiner Sicht sind Wildpflanzen für die Vergärung in Biogasanlagen ökologisch sinnvoll, aber noch nicht konkurrenzfähig. „Sie werden den Mais so schnell nicht ersetzen können, aber eine Alternative darstellen, die Fruchtfolge zu ergänzen“, sagt der Referatsleiter Landwirtschaft.

„Unter wirtschaftlichen Aspekten können derzeit nur Dauerkulturen von ausgewählten Einzelarten dem Mais Paroli bieten“, urteilt Pedro Gerstberger, Akademischer Direktor im Fachbereich Pflanzenökologie der Uni Bayreuth. Eine ertragsreiche Wildpflanzenart sei die Becherpflanze, eine nordamerikanische Wildstaude, auch Silphie genannt. Sie erreiche Erträge von 16 bis 18 Tonnen Trockenmasse pro Hektar. Bei Mais geht man von rund 15 Tonnen aus. Geeignet seien auch Riesenstauden wie Purpordost, einheimischer Wasserdost und Riesen-Scheinaster.

Gerstberger lobt die positiven Wirkungen des Wildpflanzenanbaus auf die Umwelt. Maisanbau begünstige hingegen die Bodenabschwemmung und Nährstoffauswaschung ins Grund- und Bachwasser, der Humus schwinde und Pestizide müssten alljährlich eingesetzt werden, die Artenvielfalt auf den Äckern werde verringert. Auch wachse durch den Maisanbau die Zahl der Wildschweine. „Mit Wildstauden treten diese Probleme nicht auf.“

Landwirt Oskar Stihl ist sich sicher: „Wildblumen- und Kräuteräcker können den Maisanbau nicht verdrängen, aber sie können ihn begleiten.“ Das Ernteergebnis der ersten Wildpflanzenernte habe er sich zwar etwas höher vorgestellt. „Aber ich bin gespannt, was die nächsten Jahre bringen werden“.