Im Kraftwerk Stuttgart-Münster der EnBW in Baden-Württemberg verwandeln sich pro Jahr 470.000 Tonnen Abfall in Fernwärme und Strom.

Stuttgart. Niemand hat die Absicht, hier die Tür zu öffnen. Die Kabine aus feuerfestem Glas schützt Kranführer Cemal Yilmaz vor dem Höllengestank des riesigen Müllbergs unter ihm. Yilmaz manövriert den sieben Tonnen schweren Greifarm. Die Stahlarme zerrupfen den Abfall, pressen ihn zu einem ebenfalls sieben Tonnen schweren Ballen und versenken den Mischmasch aus Matratzen, Plastiktüten und Essensresten in die Trichter der Brennöfen. „Wir arbeiten mitten im Mülleimer, sobald wir die Kabine verlassen müssen“, sagt Produktionsleiter Franz Robert.

Das Kraftwerk Stuttgart-Münster der EnBW in Baden-Württemberg frisst im Jahr 470 000 Tonnen Müll, etwa ein Drittel der Müllmenge im gesamten Südwesten. Daraus wird Strom für rund 35 000 Haushalte und Fernwärme für etwa 25 000 Haushalte, 1300 Unternehmen und 300 städtische Gebäude. Auch im Zeitalter der Windräder, der Solarenergie, der Biogasanlagen ist das Konzept des Müllkraftwerks ein zentraler Baustein bei Ent- und Versorgung. Das größte Müllkraftwerk in Mannheim ist Endstation für 500 000 Tonnen Abfall im Jahr. Bundesweit gibt es rund 70 solcher Anlagen.

„Vom Brennwert ist Müll fast so gut wie Braunkohle“, sagt Robert. Der Elektro-Ingenieur ist seit zehn Jahren Chef von den fast 400 Mitarbeitern im Stuttgarter Osten. Auch wenn der Brennwert der Konsumüberreste überraschend hoch ist, ist seine „thermische Behandlung“ nicht banal. Entscheidend ist, dass in den Brennöfen eine Temperatur von 850 Grad eingehalten wird. Nur so ist garantiert, dass die Schadstoffe auf ein Minimum reduziert werden.

Immer wenn das Müllfeuer allein nicht ausreicht, steuern die Anlagenfahrer eine Portion Gas bei. Darum ist es so wichtig, dass Kranführer Yilmaz mit seinen 13 Jahren Erfahrung an der Müllgrube die Reste unter ihm immer wieder durchmischt, alten und neuen Müll vermengt, der Greifer eine einigermaßen homogene Masse ablädt. Im Winter, wenn der Energiebedarf besonders hoch ist, wird zum Müll von vorneherein viel Kohle beigemischt.

Auf dem Rostfeuer mit einer Gesamtfläche von 70 Quadratmetern wird der Müll „cocktailmäßig“ gerührt, geschüttelt, gewendet, damit er schön vollständig ausbrennt. 20 Prozent des Materials bleibt als Schlacke übrig und kann im Straßen- oder Landschaftsbau verwendet werden. Rund zehn Prozent bleibt als hochgiftiger, dioxin- und furanhaltiger Staub in den Filtern hängen und wird im Salzbergwerk bei Heilbronn eingelagert.

Müllkraftwerke waren in den 1960er-Jahren in Mode gekommen. Sie lösten die offenen Müllkippen ab, die im Umkreis der Städte nicht mehr geduldet wurden, sagt der Historiker und Abfallexperte der Bundeswehr-Hochschule in München, Roman Köster. Speziell in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet wurden die Zustände untragbar, zumal auf den Kippen oft unkontrolliert kleinere Brände qualmten. Die Verbrennung im Kraftwerk sollte Abhilfe schaffen. Die giftigen Abgase über hohe Kraftwerks-Schornsteine zu verbreiten, war spätestens mit Aufkommen der Umweltbewegung in den 1970er-Jahren, politisch out. Erst moderne Filtertechnik machte das Müllkraftwerk salonfähig.

Ohne Gefahr ist diese Technik aber auch heute nicht. Die Kabine von Yilmaz ist nicht von ungefähr aus Thermoglas. Im Müllberg können jederzeit Brände entstehen und wie in einem unterirdischen Kohleflöz fast unlöschbar vor sich hinkokeln. Erst 2010 geriet so ein Brand in der Anlage in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) zum Totalschaden. In Stuttgart zeigen die Thermokameras, die den Müllberg überwachen, aktuell 38 und 41 Grad an. Bei 60 Grad wird Voralarm ausgelöst, kritisch wird es ab 80 Grad. Der Müll kann jetzt erst einmal kommen.