Die Hamburger Initiative NaT setzt sich für mehr Praxisnähe im Unterricht ein. In diesen Tagen feiert sie fünfjähriges Bestehen.

Hamburg. "Ihr könnt das ja mal ausprobieren", sagt Friederike, hüpft auf das Lehrerpult und hält der Klasse ihre gestreckten Beine entgegen. "Ober- und Unterschenkel lassen sich nicht gegeneinander verdrehen. Das nennt man Schlussrotation." Während ihre Mitschüler sich an die Knie fassen, nimmt die 15-Jährige ein Holzmodell, das den Aufbau des größten und kompliziertesten Körpergelenks zeigt, und platziert es vor einer Kamera. In Großaufnahme ist nun auf einem Bildschirm zu sehen, wie sich bei der Streckung des Knies die Seitenbänder straffen und die Kreuzbänder auseinanderwickeln, wodurch das Knie leicht nach außen gedreht wird und einrastet. Geschähe dies nicht, könnten wir nicht stabil stehen. "Kommen wir nun zu Verletzungen des Kniegelenks", sagt Friederike und weist auf eine Leinwand, neben der die Mitglieder ihres Teams am Computer die nächste Präsentation vorbereiten.

Es hat ansatzweise Hochschulniveau, was die Schüler der zehnten Klasse des Lise-Meitner-Gymnasiums in Osdorf an diesem Tag präsentieren, und das kommt nicht von ungefähr: Die Schule profitiert von der Hamburger Initiative Naturwissenschaft & Technik (NaT), die den Unterricht in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) praxisbezogener machen will, indem Forscher von Hamburger Hochschulen und Fachleute städtischer Unternehmen miteinbezogen werden. Vor fünf Jahren gegründet, feiert die in einer gemeinnützigen GmbH organisierte Initiative morgen ihr erstes großes Jubiläum. Zu dem Festakt mit 270 geladenen Gästen im KörberForum werden neben Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeld (SPD) viele Unterstützer erwartet.

"Mit Bildung ist kein schnelles Geschäft zu machen. Umso erstaunlicher, was die NaT in nur fünf Jahren vorzuweisen hat", sagt Lothar Dittmer, Kuratoriumsvorsitzender der Initiative und Vorstandsmitglied der Körber-Stiftung. "Das konnte nur gelingen, weil die Initiative so viele Partner gewonnen hat." 32 Schulen sind mittlerweile dabei und 35 Unternehmen, darunter Airbus, Blohm + Voss, die Jungheinrich AG, Vattenfall und E.on. Als Träger fungieren neben der Körber-Stiftung und der Hamburger Technologie-Stiftung die Universität Hamburg, die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH), die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, die HafenCity-Universität und die Helmut-Schmidt-Universität.

Durch die Zusammenarbeit mit Forschern und Unternehmensvertretern sollen zunächst die Lehrer und dann - durch die höhere Kompetenz der Pädagogen - auch die Schüler "verstehen, wie eine Technik entwickelt und in welchem Zusammenhang sie eingesetzt wird", sagt NaT-Geschäftsführerin Sabine Fernau. "Deshalb versuchen wir, menschliche und gesellschaftliche Bezüge herzustellen: Wie arbeiten Forscher in einem Labor zusammen? Wie entwickeln sie beispielsweise ein Windrad, das später einmal 'offshore' - also auf dem Meer - Energie erzeugt? Und was könnte das für unsere Stromversorgung bringen?"

Wenn früher etwa im Physikunterricht Energieerhaltungssätze behandeln wurden, sei das für die Schüler oft abstrakt geblieben, sagt Fernau. In NaT-Projekten werde dieser Stoff nun etwa am Beispiel der Energiewende durchgenommen. "Indem wir den Bogen von der Theorie zur Praxis schlagen, wird den Schülern klar, was Naturwissenschaften und Technik mit ihrem Leben zu tun haben." Letzteres sei vor allem für Mädchen wichtig, die schwerer für solche Stoffe zu begeistern seien als Jungen, sagt Fernau. "Mädchen fragen oft: Was bringt das? Wie kann man das Leben damit leichter und besser machen? Wenn sie diesen Einfluss in den Projekten selbst erfahren, finden sie die Technik eher faszinierend."

Weil Praxis und Anschaulichkeit so wichtig sind, gehen die Schüler oft auf Exkursionen: Sie besuchen Labore, besichtigen Maschinen und Fertigungsstraßen. Schüler des Gymnasiums Lohbrügge beispielsweise ließen sich bei der Pfannenberg GmbH in Allermöhe erläutern, wie Klimaanlagen und Heizungen funktionieren und produziert werden. Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums erhielten am Institut für Nachrichtentechnik der TUHH Einblicke in die Entfernungs-, Geschwindigkeits- und Winkelmessung. Um Letztere durchführen zu können, löteten sie eine Schaltung. Dazu mussten sie zwei Empfangsantennen auf eine Platine befestigen und ein Dutzend Kabel verbinden. Oft kommen die Forscher auch in die Schulen. So machte der Ingenieur Nicolai Rehbein vom Institut für Mathematik der TUHH in Nachmittagskursen Schüler des Gymnasium Grootmoor mit Matlab vertraut, einer Software, die Hochschulen und Firmen für Simulation und Datenanalysen nutzen.

Bei der zehnten Klasse des Lise-Meitner-Gymnasiums kam beides - Exkursion und Forscherbesuch - zusammen. Zuerst nahmen die Schüler um Friederike mit ihrem Biologielehrer Thomas Krentz den Aufbau des Knie- und des Hüftgelenks durch. Anschließend überlegten sie sich am Institut für Biomechanik der TUHH unter Anleitung des Ingenieurs Dr. Nicholas Bishop und des Mediziners Dr. Florian Fensky Experimente. Aufgeteilt in fünf Gruppen hatten die Schüler danach zwei Tage Zeit, aus Holz (für die Knochen), Wachs (für die Gelenke), Gummibändern (für Sehnen und Bänder) und weiteren Teilen Modelle zu basteln und mit diesen Tests durchzuführen. Den Abschluss bildet die Präsentation, vor den Mitschülern und den Experten Bishop und Fensky, die sich in der letzten Reihe Notizen machen.

Nicht alles läuft rund: Hier hakt es mal, dort fällt etwas zu Boden, eine Powerpoint-Präsentation geht etwas durcheinander, aber insgesamt, sagt Ingenieur Bishop, sei er "positiv überrascht". Und auch die Schüler sind - trotz Pannen - zufrieden. "Es herrschte ein bisschen Uni-Feeling", sagt Friederike, die darüber nachdenkt, Medizin zu studieren. Überfordert hätten sie sich nie gefühlt, sagt Theresa, 15: "Es war anspruchsvoll, aber nicht zu kompliziert. Im Grunde genau richtig."