Pauschalen und Budgets bilden die Grundlagen für die komplizierten Systeme, nach denen medizinische Leistungen abgerechnet werden.

Hamburg. Was unterscheidet eine Blinddarm-Operation in Hamburg von der gleichen Operation in Kiel, München oder in Berlin? Es ist vor allem der Preis. Eine Hamburger Klinik bekommt von den Krankenkassen dafür 2338 Euro, das Krankenhaus in Berlin erhält für die gleiche Leistung aber nur 2281 Euro, in Kiel 2263 Euro. In München dagegen werden 2344 Euro erstattet, in Mainz ist die Behandlung mit 2452 Euro am teuersten in Deutschland. Und das, obwohl die Patienten im Durchschnitt überall 3,9 Tage das Klinikbett belegen. Der Grund für die Differenzen: In jedem Bundesland gilt für medizinische Leistungen eine andere Fallpauschale, die jedes Jahr von gesetzlichen und privaten Kassen sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft neu ausgehandelt wird. Hamburg, lange Zeit Hochpreisregion für Behandlungen in Kliniken, liegt in diesem Jahr auf Platz fünf. Hier sind Operationen und Therapien zwar teurer als in den Nachbarländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, aber günstiger als in Rheinland-Pfalz, Bremen und Bayern.

+++ Preise für stationäre Leistungen in Hamburg - Hier finden Sie die große Tabelle +++

So kostet eine natürliche Geburt in einer Hamburger Klinik zurzeit 1535 Euro, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind es nur 1486 Euro, in Berlin 1498 Euro. Reinland-pfälzische Krankenhäuser bekommen 1610 Euro dafür, Bremer Kliniken 1542 Euro und Krankenhäuser in Bayern 1539 Euro. Für das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenkes bezahlen gesetzliche Krankenkassen in Hamburg 6701 Euro, in Niedersachsen 6486 Euro, in Berlin 6539 Euro und in Rheinland-Pfalz 7028 Euro.

Die meisten Patienten und Versicherten haben keine Vorstellung davon, was ein Eingriff oder eine stationäre Therapie kostet. Doch viele beklagen, dass ihre Beiträge an die Krankenversicherung und diverse Zusatzabgaben zu hoch seien. Der Hamburger Radiologe und Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank-Ulrich Montgomery, hält dagegen: "Unser Gesundheitssystem in Deutschland ist so ziemlich das Beste auf der Welt, das ich kenne. Das befreit uns nicht davon zu überlegen, was man noch besser machen könnte, aber ich glaube, dass wir in Deutschland ein weitgehend gerechtes System haben." Es sei aber nicht damit zu rechnen, dass Medizin billiger werde: "Denn die Medizin wird immer besser, und das führt zu einer Lebensverlängerung und einer Verbesserung der Lebensqualität der Menschen, was immer auch höhere Kosten nach sich zieht." Wer den Menschen einreden wolle, Medizin könnte billiger werden, wolle ihnen eine schlechtere Medizin verkaufen. "Eine Gesellschaft muss bestimmen, wie viel Medizin sie haben will und dann muss sie sagen, was sie bereit ist dafür zu bezahlen."

Das indes ist nicht so einfach in einem weitgehend planwirtschaftlichen System, dessen Komplexität selbst manche Experten kaum noch durchschauen. Die Berechnung von Klinikleistungen ist ein Beispiel dafür. Jedes Jahr aufs Neue vereinbaren die Spitzenverbände der Kassen und der Krankenhäuser sogenannte Fallpauschalen für körperliche Erkrankungen (für Psychiatrie und Psychosomatik gilt noch der herkömmliche Tagespflegesatz). Die Grundlagen dafür liefert das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, das mithilfe bundesweiter Stichproben in Kliniken die wichtigsten Faktoren ermittelt: etwa die durchschnittliche Liegezeit der Patienten, den medizinischen und technischen Aufwand sowie den Einsatz von Personal, Material und Hilfsmitteln. Daraus ergibt sich eine bundesweit einheitliche Bewertung, die mit dem sogenannten Landesbasisfallwert multipliziert wird. Dieser ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, weil auch regionale Unterschiede, beispielsweise bei Lebenshaltungskosten, Gehältern der Klinikmitarbeiter und Besonderheiten einzelner Krankenhäuser mit einfließen. Daraus erklären sich die Preisunterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.

+++ Mehr Patienten kürzer im Krankenhaus +++
+++ Festpreisbindungen auch für ausländische Apotheken +++

Damit aber die Gesamtaufwendungen nicht ausufern (die Ausgaben der Kassen für Krankenhausbehandlungen in Deutschland lagen 2010 bei rund 74 Milliarden Euro), sind sie für jedes Land und jede Klinik gedeckelt (Budget). Das bedeutet: Wenn ein Krankenhaus etwa mehr Geburten verzeichnet oder mehr neue Hüften einsetzt als vorgegeben, bekommt es für jede Entbindung oder jede Hüfte weniger Geld von den gesetzlichen Krankenkassen.

Das ist auch der Grund, warum sich Hamburg in der Preisrangliste der Bundesländer nach unten bewegt. Hier wurden für die einzelne Behandlung nicht etwa die Kosten reduziert, sondern nur die Erstattungen durch die Kassen - weil die Zahl der Behandlungen stieg. "Wir haben hier in den Krankenhäusern eine starke Zunahme von Patienten. Deswegen ist Hamburg keine Hochpreisregion mehr", sagt Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft. Das liege auch daran, dass die Zahl älterer Menschen zunehme und der medizinische Fortschritt immer mehr Eingriffe ermögliche, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar waren.

Nach einem anderen System, aber nicht minder kompliziert werden ambulante medizinische Leistungen der Kassenärzte berechnet. Belastungs-EKG: 19,80 Euro, 565 Punkte. Langzeit-Blutdruckmessung: 7,71 Euro, 220 Punkte. Ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung: 3,86 Euro, 110 Punkte. Wer sich die Mühe macht und das etwa ein Kilo schwere Buch für Kassenärzte zur Hand nimmt, findet eine erste Antwort auf die Frage: Was kostet die Leistung, die mein Arzt gerade erbracht hat? So unhandlich das Buch, so sperrig der Name: Einheitlicher Bewertungsmaßstab, kurz EBM. "Doch wer glaubt, dass der Kassenarzt genau diese Summe eins zu eins für jeden Patienten erhält, irrt", sagt Walter Plassmann, Jurist und stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH). Denn ein großer der Teil der Leistungen pro Patient wird in Quartals-Pauschalen abgegolten. Doch wie entstehen diese Pauschalen?

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Zunächst einmal: Auch für kassenärztliche Leistungen gibt es Budgets. Diese handeln in Hamburg die fünf Krankenkassenverbände mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KVH) jedes Jahr neu aus. 2011 war das eine Gesamtsumme von 700 Millionen Euro. "Diese müssen wir auf die 4500 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten verteilen, die je nach Fachrichtung ein bestimmtes Budget zugewiesen bekommen", sagt Plassmann. Einen Teil des Geldes hält die KV zunächst als Puffer zurück.

"Nach jeder Behandlung tippt der Arzt in den Computer ein, welche Leistungen er erbracht hat. Am Ende des Quartals erhält die KV die Daten, und aus Punkten und Summen wird dann der Gesamtwert errechnet", erklärt Plassmann. Meist rechneten Hamburger Ärzte 30 bis 40 Prozent mehr ab, als das veranschlagte Budget hergebe. Für diesen Mehraufwand erhalten sie aber nur eine quotierte Summe aus dem Puffer, derzeit würden acht Prozent ausgezahlt. Doch es gibt auch Untersuchungen oder Therapien außerhalb dieses Budgets. Dazu zählen etwa die Krebsvorsorge beim Frauenarzt, Schutzimpfungen und Hausbesuche. "Diese können wie bei privatärztlichen Leistungen in Rechnung gestellt werden, und der Arzt erhält exakt diese Summe dafür."

In Deutschland gibt es 17 Kassenärztliche Vereinigungen (Nordrhein-Westfalen hat zwei wegen der Größe des Bundeslandes). Sie verhandeln mit den Landesverbänden der Krankenkassen und haben regionale Spielräume. So erhielt die KV Hamburg im ersten Halbjahr 2011 eine budgetierte Gesamtvergütung von 181,70 Euro pro Versicherten, die KV Schleswig-Holstein nur 163,35 Euro. "Das hängt unter anderem mit dem unterschiedlichen Leistungsangebot in den Regionen zusammen", sagt Plassmann. In Hamburg würden viele Leistungen von ambulanten Ärzten übernommen, für die Patienten in anderen Bundesländern in eine Klinik gehen müssten. Zudem habe Hamburg einen höheren Anteil an Fachärzten (65 Prozent) unter den niedergelassenen Medizinern als andere Bundesländer. Auch einzelne Krankenkassen wie TK, AOK oder DAK zahlen unterschiedliche Beträge pro Versicherten an die KV. Und diese Beträge variieren noch je nach Bundesland. "Das liegt daran, welche Leistungen durchschnittlich abgefragt werden von den Versicherten, die Kassen haben unterschiedliche Patientengruppen, je nach Profil. Und in Hamburg etwa gehen mehr Menschen zum Psychotherapeuten als in Hessen."

Zur Frage, ob Medizin in Deutschland angemessen bezahlt wird, sagt Günter Wältermann, Vorstandschef der AOK Rheinland/Hamburg: "2010 hatte Deutschland Gesundheitsausgaben von 287,3 Milliarden Euro. Das entspricht 3510 Euro je Einwohner. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt lag bei 11,6 Prozent und damit um 2,1 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Es ist aber nicht die Frage, ob das Geld im Gesundheitswesen ausreicht, sondern ob es an den richtigen Stellen und für eine zeitgemäße, gute Qualität ausgegeben wird. Bei den niedergelassenen Ärzten der unterschiedlichen Fachrichtungen gibt es aber in der Tat Unterschiede beim Einkommen - meist wird auch hier die technische Medizin, zum Beispiel Radiologie, hoch bewertet und bezahlt. Doch sollte die Zuwendung zum Patienten besser vergütet werden. Die Frage der Honorarverteilung ist aber Sache der Kassenärztlichen Vereinigungen."

Die Abrechnung von privatärztlichen Leistungen richtet sich nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Jede Leistung hat eine Ziffer, ein EKG kostet zum Beispiel mit einfachem Satz 14,75 Euro. Eine Behandlung setzt sich aus mehreren Ziffern zusammen. Zudem gibt es Steigerungssätze, je nach Aufwand für eine Therapie. Diese Summe kann der Arzt dem Patienten in Rechnung stellen, die dieser sich von seiner Kasse erstatten lässt. Laut Montgomery wurde die GOÄ im Kern in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt, Anfang der 80er-Jahre vorgestellt und bislang nur einmal, 1988, "renoviert". Derzeit unternehmen private Kassen und Ärztekammer erneut einen Versuch, die GOÄ zu überarbeiten.

Zahnarzt-Behandlungen sind oft eine Mischung aus Kassenleistungen und Leistungen, die der Patient selbst zahlen muss, je nachdem, wie hoch seine Ansprüche sind. So kostet die Amalgam-Füllung für ein Loch auf der Kaufläche eines Seitenzahnes in Hamburg als Kassenleistung ab 36 Euro. Für andere Formen der Füllung, wie etwa Gold- oder Keramik-Inlays, muss der Patient Mehrkosten gegenüber der Amalgamfüllung selber tragen. Bei Kronen kostet die "Regelleistung", eine metallfarbene Gusskrone aus Nichtedelmetall, rund 280 Euro. Die Krankenkasse übernimmt davon einen Festzuschuss von circa 123 Euro (knapp 160 Euro bei gut geführtem Bonusheft). Die Differenz zwischen Festzuschuss und Gesamtkosten muss der Patient zahlen. Entscheidet er sich für eine höherwertige Form der Krone, zum Beispiel aus einer Goldlegierung, steigen die Gesamtkosten auf durchschnittlich 500 bis 800 Euro und damit auch der Patientenanteil.