In Stade werden Rumpf- und Leitwerkteile aus speziellem Kunststoff in die weltweit größte Röhre ihrer Art geschoben

Stade. Der Alarmton ist laut und schrill. Ein periodisches Piepen, das durch Mark und Bein geht. Und das jeden wissen lässt: Bloß weg von dieser riesengroßen, blauen Luke! Gleich wird sie sich öffnen. Dann geht sie auf, wie von Geisterhand und ganz langsam. Von drinnen dringt weißer Rauch nach draußen. Als er sich gelegt hat und auch der Alarm verstummt, ist der Blick frei - auf ein frisch gebackenes Rumpfelement für ein Flugzeug.

Es ist eine Premiere. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben gestern in Stade einen sogenannten Autoklav in Betrieb genommen. Das ist die Anlage hinter der blauen Luke.

Hier soll in den kommenden Jahren die Produktion von Flugzeugbauteilen aus kohlestofffaserverstärktem Kunststoff, CFK genannt, erforscht und optimiert werden. Die Anlage ist auf den Namen BALU getauft worden. Die Buchstabenkombination steht für "Biggest Autoclave Laboratory Unit" und nimmt es gleich vorweg: Es handelt sich bei ihr um den momentan größten Forschungsautoklav der Welt.

"BALU ist im Grunde genommen ein großer Backofen", sagt Michael Kühn. Der Ingenieur für Produktionstechnologie steht vor der geöffneten Luke, seine Mitarbeiter ziehen gerade mithilfe eines Gabelstaplers das Rumpfelement aus dem Ofenrohr. Kühn, der Projektleiter, blickt zufrieden drein - selbst wenn an diesem Tag genau genommen gar nichts gebacken worden ist. Der Alarm, der Rauch - alles nur Show für die große Zahl der geladenen Gäste. Das Interesse an der 165 Tonnen schweren Anlage ist groß, die Kühn mit konzipiert hat und in den kommenden Jahren auch betreuen wird. Sechs Meter im Querschnitt misst der Innenraum, 20 Meter ist er lang. "Da passt das komplette Seitenleitwerk eines Flugzeugs hinein", sagt er.

Muss es auch, denn kohlestofffaserverstärkter Kunststoff, da sind sich die Experten sicher, wird im Flugzeugbau der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen. "CFK ist fester als Stahl und leichter als Aluminium", sagt der DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Johann-Dietrich Wörner. Die Flugzeuge von morgen brächten deshalb weniger Gewicht auf die Waage und verbrauchten weniger Energie. Aber auch im Fahrzeugbau werde der leichte Werkstoff, gerade vor dem Hintergrund des wachsenden Anteils der Elektroautos, an Bedeutung gewinnen. Wörner: "Das Material ist flächendeckend von Interesse."

Wer die gesamte Kette der Herstellung beherrscht, habe angesichts rund 25 000 neuer Flugzeuge, die Prognosen zufolge in den kommenden Jahren weltweit benötigt werden, auf dem globalen Markt die Nase vorn. "Der Wettbewerb ist stark", sagt Wörner, "deshalb ist es so wichtig, BALU in Betrieb zu nehmen."

Die Kette der Herstellung beginnt damit, ein Gemisch aus Kohlenstofffasern und Harz in Form zu bringen. "Das ist dann aber noch kein Hochleistungsleichtbau", sagt Prof. Martin Wiedemann, Direktor des DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, "das ist nur ein ziemlich schlapper Haufen Fasern, die mit einem klebrigen Harz verbunden sind." Und da komme der Autoklav ins Spiel. Bei Temperaturen von bis zu 420 Grad Celsius und einem Druck von zehn Bar - das entspricht dem Druck, der in 100 Meter Wassertiefe herrscht - wird ein Großteil des Harzes aus dem Gemisch herausgequetscht. Doch wann ist das Material "gar", ein Bauteil fertig gebacken? Wiedemann: "Die große thermische Masse ist ein sehr träges System. Wie früh muss ich die Bremse treten, um an einem bestimmten Punkt zum Stehen zu kommen? Wann muss ich dafür welche Heizung einstellen und wann welches Gebläse?" Das seien die Fragen, die es zu beantworten gelte.

Gleichwohl gehe es in Stade nicht darum, standardisierte Rezepte zu entwickeln, betont Projektleiter Kühn. "Ganz im Gegenteil, wir wollen vom festen Rezept wegkommen." Dann bemüht er, vor seinem Ofen stehend, tiefgekühlte Pizza als Vergleich. "Auf der Packung steht, wie lange ich sie backen soll. Am Ende dieser Zeit mache ich den Ofen auf, gucke und fühle sie an, um dann vielleicht zu entscheiden, dass sie noch ein bisschen länger backen muss." Oder sie ist verbrannt. Deshalb untersuchen im BALU Sensoren zu jedem Zeitpunkt die Beschaffenheit des Materials - noch während es gebacken wird. Michael Kühn: "Auf diese Art und Weise wollen wir Ausschuss vermeiden, die nachgeschaltete Qualitätssicherung minimieren und schneller werden."

40 Millionen Euro hat das DLR in dieses Ziel, in den Forschungsautoklav, gesteckt. Weitere 31 Millionen Euro hat das Land Niedersachsen beigesteuert. Zusätzliches Geld ist zu erwarten, wenn eines Tages Firmen, zum Beispiel Airbus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die Anlage nutzen. Dort werden auch Teile für das künftige Langstreckenflugzeug A350 gefertigt, das bereits zu einem hohen Anteil aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff bestehen soll.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) spricht da von einer wichtigen Investition in die Zukunftsfähigkeit des Landes: "Die Inbetriebnahme des weltgrößten Forschungsautoklavs in Stade ist ein weiterer wichtiger Meilenstein, die Position Niedersachsens als führendes Leichtbauland auszubauen und zu stärken."