Die Verbrennung von Millionen Impfdosen gegen Schweinegrippe wirft Fragen auf. Warum wurde der Impfstoff in solch großer Menge bestellt?

Hamburg. Waren die Bestellungen des Schweinegrippeimpfstoffs in diesen Größenordnungen nötig? Angesichts der Tatsache, dass jetzt Millionen Dosen des Mittels vernichtet werden müssen, stellt sich diese Frage. Der größtenteils milde Verlauf der Infektion in Deutschland sei nicht abzusehen gewesen, sagen dazu Experten. "Wäre das Virus aggressiver gewesen, hätte das ganz anders ausgesehen. Dann hätte man möglicherweise gesagt: Wir haben zwar gespart, aber dafür mussten viele Menschen sterben. Das wäre sicher die falsche Entscheidung gewesen. So hat man sich für eine Versicherung entschieden", sagt Dr. Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist.

Ihren Ursprung hatte die Schweinegrippe in Mexiko, wo Ende April 2009 erste Fälle gemeldet wurden: Dort infizierten sich zu der Zeit 26 Menschen, sieben starben. Schnell breitete sich die Infektion auf andere Länder aus. Auch in Deutschland erkrankten ein Paar aus Süddeutschland und eine Frau aus Hamburg - sie waren jedoch zuvor in Mexiko gewesen. Anfang Mai 2009 wurde dann die erste Ansteckung von Mensch zu Mensch gemeldet.

In Deutschland brach die Infektion so richtig erst am 10. Juni aus, als sich in Düsseldorf mehr als 40 Kinder und Lehrer mit dem Virus infizierten. Nur einen Tag später rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie-Stufe 6 aus. Sie bedeutet: Die Verbreitung des Virus hat eine flächendeckende Dimension erreicht, die in der gesamten Weltbevölkerung vorkommt und von Mensch zu Mensch übertragen wird. Es war die erste Pandemie seit mehr als 40 Jahren. Mitte Juni konnte dann ein erster Impfstoff gegen die Grippe produziert werden, die zunächst noch Mexiko-Grippe hieß. Dieser kam Ende Oktober in die Praxen.

Nach einem anfänglichen Ansturm ließ die Impfbereitschaft in Deutschland jedoch schnell nach. "Sehr viele Menschen haben sich nicht impfen lassen. Aber das konnte man nicht vorhersehen", sagt Dr. Frank-Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Allerdings reagierten auch Teile der Ärzteschaft damals skeptisch auf die Impfempfehlungen des zuständigen Gremiums, der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Berliner Robert-Koch-Institut (RKI). Hauptkritikpunkt waren sogenannte Wirkungsverstärker, die dem Impfstoff zugesetzt waren, um seine Wirksamkeit zu erhöhen. "Man war skeptisch, weil man noch nicht so viele Erfahrungen mit diesen Wirkungsverstärkern hatte", sagt Prof. Frank Riedel, Ärztlicher Direktor des Altonaer Kinderkrankenhauses. Aber nach Riedels Erfahrungen bestätigten sich die Befürchtungen nicht: "Wir haben Kinder mit chronischen Krankheiten mit diesem Impfstoff geimpft, und er wurde gut vertragen."

Zweifel an der Notwendigkeit einer flächendeckenden Impfung wurden 2010 laut, nachdem britische Journalisten berichtet hatten, die WHO sei bei ihrer Entscheidung, die Impfung zu empfehlen, von der Pharmaindustrie beeinflusst worden. Diesen Vorwurf wies WHO-Generaldirektorin Margaret Chan damals zurück. Die Entscheidung sei nach bestem Wissen erfolgt. An dieser Bewertung habe sich bis heute nichts geändert, sagte der Europa-Sprecher der WHO, Gregory Härtl, dem Abendblatt: "Es gab keine Verstrickungen mit der Industrie. Es war richtig, die Impfung zu empfehlen." Bei ihrer Entscheidung zu Impfempfehlungen wird Margaret Chan von einem Expertengremium beraten (Strategic Advisory Group of Experts on Immunization, SAGE). Die 15 Mitglieder sind der WHO zufolge "anerkannte Experten aus aller Welt", die etwa an Universitäten und im Gesundheitswesen arbeiten. SAGE-Mitglied könne nur werden, wer keinen Interessenskonflikt habe, etwa durch Arbeit für einen Pharmakonzern.

Gegen die Schweinegrippe wird auch heute noch geimpft, jedoch mit einem neuen Impfstoff. Die Zusammensetzung des aktuellen Grippeimpfstoffes richtet sich danach, welche Influenzaviren gerade in der Bevölkerung kursieren. Dazu gehört mittlerweile auch das Schweinegrippevirus. Allerdings beinhaltet der neue Impfstoff keinen Impfverstärker wie der, der während der Pandemie eingesetzt wurde und jetzt vernichtet wird. Weil jedes Jahr ein neuer Impfstoff entwickelt wird, muss eine Grippeimpfung auch jedes Jahr wiederholt werden.

Nach den Empfehlungen der Stiko sollten sich folgende Personengruppen gegen Grippe impfen lassen: alle Schwangeren ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft, bei erhöhter Gefährdung durch eine Grunderkrankung auch schon im ersten Schwangerschaftsdrittel. Kinder und Erwachsene mit chronischen Erkrankungen wie Asthma oder Diabetes, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und Menschen mit erhöhter Gefährdung, etwa medizinisches Personal. "Im Durchschnitt lassen sich etwa 25 Prozent der Bevölkerung gegen die Influenza impfen. Entscheidend ist aber, dass die Risikogruppen geimpft sind. Bei den älteren Menschen haben wir eine Impfquote von bis zu 50 Prozent. Das könnte noch besser sein", sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI in Berlin. Zwar seien die Deutschen kein Volk von Impfskeptikern, "aber wir haben schon eine gewisse Zahl von Menschen, die dem Impfen sehr skeptisch gegenüberstehen oder es rigoros ablehnen", sagt Glasmacher.

Das Dossier zur Schweinegrippe zum Nachlesen www.abendblatt.de/schweinegrippe