Die Zahl der Erkrankten steigt, und die Gesellschaft muss sich darauf einstellen, fordert der Gesundheitsreport 2012

Hamburg. Die Menschen in Deutschland werden immer älter - und damit steigt auch die Zahl derjenigen, die an einer altersbedingten Krankheit leiden. Besonders gefürchtet ist die Demenz. Die meisten haben Angst vor dem fortschreitenden Verfall der Persönlichkeit, dem Verlust des Gedächtnisses, davor, sich eines Tages selbst in vertrauter Umgebung nicht mehr zurechtzufinden und völlig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein.

"Bis zu 1,4 Millionen Deutsche leben heute mit einer Demenzerkrankung. Von 100 Menschen über 80 Jahren ist jeder Fünfte betroffen. 2050 werden wir es mit bis zu drei Millionen Demenzkranken zu tun haben - 90 Prozent davon pflegebedürftig", sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, das jetzt den Versorgungsreport 2012 veröffentlicht hat. Darin analysieren 42 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen die Versorgung, die Arzneimitteltherapie, Pflege, Prävention und Palliativmedizin unter dem Blickwinkel der alternden Gesellschaft.

In ihrem Report kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Deutschland keine andere Medizin für ältere Menschen braucht, aber eine deutlich bessere geriatrische Qualifizierung der Gesundheitsberufe. So sieht es auch Prof. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologie an der Asklepios-Klinik Altona: "Große Krankenhäuser müssen sich darauf einstellen, für Demenzkranke eine Infrastruktur zu bieten. Dazu gehören zum Beispiel spezielle Stationen für Demenzkranke, speziell ausgebildete Pflegekräfte und Schulungen für ehrenamtliche Mitarbeiter."

In der Therapie dieser Erkrankung des Gehirns gibt es noch keinen Durchbruch. Aber Medikamente können den Verlauf einer bestimmten Form davon, der Alzheimer-Demenz, verzögern und zu leichten Verbesserungen im Alltag führen. "Aber nicht alle Patienten erhalten die Medikamente, die sie eigentlich bräuchten", sagt Röther. Ein Grund dafür sei, dass diese Mittel teuer seien. Außerdem werde die Krankheit oft nicht richtig wahrgenommen. "Deswegen sollten Patienten mit typischen Symptomen, wie zum Beispiel Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, einmal in einer Gedächtnissprechstunde vorgestellt werden." In der Behandlung geht es aber nicht nur um Medikamente. "Einen großen Stellenwert hat auch das Training der geistigen und körperlichen Leistung", betont der Neurologe.

Demenz ist nicht gleich Demenz. "Es gibt durchaus auch Formen, die gut behandelbar sind", sagt Röther. Deswegen sei es wichtig, bei typischen Symptomen seine Scheu zu überwinden und einen Arzt aufzusuchen. Ein erster Schritt für Betroffene und Angehörige kann auch eine Beratung sein, zum Beispiel bei der Alzheimer-Gesellschaft Hamburg (Beratungstelefon: 47 25 38, Montag und Donnerstag, 10-13 Uhr).

"Demenz muss in der Wahrnehmung der Menschen eine normale Erkrankung werden. Trotz aller Aufklärung ziehen sich noch immer viele Betroffene und Angehörige aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Erste Symptome einer Erkrankung werden oft verleugnet und selbst von den Hausärzten nicht richtig eingeordnet, weil das Thema sehr negativ und vorurteilsbehaftet diskutiert wird", sagt Klauber.

Aus dem Versorgungsreport geht zudem hervor, dass 2010 rund vier Millionen Patienten über 65 Jahre mindestens ein problematisches Medikament erhalten haben, bei dem die Risiken den Nutzen übersteigen. Dabei handle es sich in etwa 50 Prozent der Fälle um Psychopharmaka, aber auch Herz-Kreislaufmittel spielten eine Rolle, sagt Klauber. Hilfe bieten könnte dabei die sogenannte Priscusliste (im Internet: www.priscus.net ). Klauber: "Die Liste beinhaltet 83 Wirkstoffe, die im Alter problematisch sind - und zeigt verträglichere Alternativen auf."

Denn mit zunehmendem Alter verändern sich die Körperfunktionen: "Leber und Nieren arbeiten nicht mehr so zuverlässig, das wirkt sich dann auch auf die Verstoffwechselung der Medikamente aus", so Klauber. Ein weiterer Risikofaktor ist die Polymedikation: 5,5 Millionen ältere Menschen nehmen gleichzeitig mehrere Medikamente ein, die sich oft nicht vertragen. "Da mehr als 80 Prozent der Medikamente vom Hausarzt verschrieben werden, sollten diese die Priscusliste mehr im Blick haben und zudem besser auf die individuellen Bedürfnisse älterer Patienten achten", fordert Klauber.