Konstruktionsregeln für Containerschiffe und Fähren sind veraltet und machen sie wellenempfindlich, warnt TU-Forscher Prof. Stefan Krüger.

Hamburg. Bei der Konstruktion und Klassifizierung von Schiffen müssen Gefahren durch Seegang stärker berücksichtigt werden. Das fordert Prof. Stefan Krüger, Schiffssicherheitsexperte an der Technischen Universität (TU)Hamburg-Harburg. Krüger: "Die Zahl der Schiffsverluste ist zwar seit Jahrzehnten deutlich rückläufig. Gleichzeitig steigt aber der Anteil von Havarien, bei denen Schiffe in schwerem Wetter durch hohen Seegang untergehen. Und selbst wenn das Schiff kaum Schaden nimmt, können Menschen in Lebensgefahr geraten. Dazu braucht es keine Monsterwellen."

Krüger, der oft Gutachten zu Havarien schreibt, hat vor allem große Containerschiffe und RoRo-Fähren im Visier. Große moderne Containerfrachter neigen dazu, sich abrupt aufzurichten, nachdem eine Welle sie auf die Seite gedrückt hat. Folge: Kapitän, Steuermann und weiteres Personal werden mit großer Geschwindigkeit durch die Brücke geschleudert.

Bei den Fähren besteht dagegen eher die Gefahr, dass sie sich nach einer Schräglage nicht wieder aufrichten, sondern die Krängung zunimmt - bis sie kentern. Krügers Fazit: "Die Schiffssicherheit bleibt bei der Konstruktion deutlich hinter dem Stand der Wissenschaft zurück", vor allem bei "Billigschiffen aus Asien".

Große Containerschiffe seien "grundsätzlich anfällig", besonders, wenn sie fast leer und langsam fahren, sagt Jörg Kaufmann, Leiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg. Dass die Frachter entladen fahren, komme relativ selten vor, so Kaufmann, darum sei diese Situation bei der Konstruktion von Schiffen "nicht oder nicht genug untersucht worden". Bei zwei Havarien von Containerfrachtern unter deutscher Flagge, der "Chicago Express" und der "CCNI Guayas", kosteten die abrupten Bewegungen zwei Menschen das Leben, ein weiterer wurde schwer verletzt.

Zum Glück sind Szenen, wie sie sich am 24. September 2008 auf der Brücke der "Chicago Express" abspielten, bislang seltene Einzelfälle: Das 336 Meter lange Schiff mit Platz für 8749 Containereinheiten (TEU) musste wegen einer Taifun-Warnung den Hafen von Hongkong nur teilweise beladen verlassen. Beim Versuch, Sturm und Seegang abzuwettern, wurde es am Bug steuerbords von einer heftigen Welle getroffen, als es sich gerade in diese Richtung neigte (rollte).

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Das Schiff wurde seitwärts hin und her geworfen. Auf der Brücke verloren der Kapitän, der Rudergänger und ein Wachoffizier den Halt und wurden durch den Raum geschleudert. Der Rudergänger blieb unverletzt, doch die anderen beiden Männer erlitten schwere Verletzungen. Der Wachoffizier starb nach knapp zwei Stunden. Die BSU, die Havarien von Schiffen unter deutscher Flagge oder in deutschen Seegebieten untersucht, empfahl in ihrem Unfallbericht, beim Entwurf und der Genehmigung von Schiffen "zukünftig stärker als bisher die unter Umständen dramatischen Auswirkungen seegangsbedingter Stabilitätseffekte auf die Menschen an Bord und auf die Ladung zu berücksichtigen".

Kein Jahr später, am 15. September 2009, ereignete sich vor Hongkong ein ähnlicher Vorfall: Die "CCNI Guayas" geriet bei schwerer See ins Rollen, der Dritte Offizier stürzte und erlag fünf Stunden später seinen Verletzungen.

Einen Monat später wurde auf der Brücke der "CMS Frisia Lissabon" westlich vor Borkum ein Lotse verletzt. Die Probleme seien bekannt, bestätigt Dr. Ralf Sören Marquardt, Geschäftsführer vom Verband für Schiffs- und Meerestechnik. "Hier in Europa setzen sich relativ viele Schiffbauer für möglichst hohe Sicherheitsstandards ein - sofern wirtschaftlich vertretbar." Die Bauformen der Schiffe änderten sich oft schneller als das Regelwerk der Uno-Schifffahrtsorganisation IMO, sagt Marquardt: "Das Tempo bei der IMO wird am Langsamsten ausgerichtet. Die Entwicklungsländer wehren sich gegen höhere Standards. Sie argumentieren, sie könnten mit ihrer einfachen Technik den strengeren Regeln nicht nachkommen."

Dieses Problem benennt auch Krüger, spricht etwa vom "gruseligen Fertigungsstandard von Containerschiffen in Vietnam". Zu den konstruktiven Mängeln kommen Probleme bei der Beladung: "Die Gewichtsverteilung auf den Schiffen basiert auf den Angaben der einzelnen Containergewichte. Doch die stimmen oft nicht. Vor dem Auslaufen müsste jedes Schiff eigentlich einen Krängungsversuch machen. Dabei wird eine bestimmte Menge Wasser von einem Ballasttank in einen anderen umgepumpt und das Verhalten des Schiffes beobachtet." Das koste nicht viel Zeit und Geld, werde aber nicht gemacht.

"Unsere Berechnungen zeigen, dass teilbeladene Containerschiffe alle unsicher sind", sagt Krüger, Leiter des TU-Instituts für Schiffskonstruktion und Schiffssicherheit. In Zeiten von Wirtschaftskrisen sei damit zu rechnen, dass nicht alle Schiffe voll beladen unterwegs sind, so Krüger. Er hält die technischen IMO-Vorgaben für veraltet, denn sie ließen potenzielle Stabilitätsprobleme durch Seegang außer Acht.

Die Klassifikationsgesellschaften, in Deutschland der Germanische Lloyd (GL) in Hamburg, sind für die technische Zulassung von Seeschiffen zuständig. "Wir haben das sogenannte parametrische Rollen in unsere Vorschriften integriert", sagt GL-Sprecher Dr. Olaf Mager. "Und wir haben das Messsystem ,Sea Scout' entwickelt, bei dem elektronische Geräte vor hohem Seegang warnen." Es gebe auch Vorschriften für das Brückendesign, betont Mager, doch teilweise werde zum Beispiel an Handläufen gespart.

Auch Roll-on-Roll-off-Fähren haben nach Krügers Untersuchungen zunehmend Probleme mit dem Seegang. Containerschiffe werfen bei großer Schräglage ihre Ladung ab, Fähren haben die Last im Rumpf verstaut. Sie verschiebt sich und verstärkt die Krängung, schlimmstenfalls bis zum Kentern. Krüger: "Bei allen Havarien, etwa der der ,Riverdance' in der irischen See oder der Lkw-Fähre ,Finnbirch' bei Gotland, wurden die für die Konstruktion vorgegebenen Stabilitätsgrenzwerte nicht überschritten. Das zeigt, dass diese Werte falsch bemessen sind."

Krüger fordert auch für RoRo-Fähren "eine vernünftige Rumpfform, die bei schwerem Wetter nicht zum Rollen neigt" sowie "bessere Werte für Stabilität, damit sie nicht so leicht umfallen". Der Ingenieur sieht vor allem die Klassifizierer gefordert. Sie müssten für konstruktionsbedingte Havarien haften - "dann würden sie sich bei der IMO deutlich nachdrücklicher für bessere Standards einsetzen und höhere Ansprüche an Schiffsneubauten stellen".

Verglichen mit den Todesfällen auf den Containerschiffen, ging die jüngste Havarie der "Rena" vor Neuseeland relativ glimpflich aus: Aus dem im Oktober auf Grund gelaufenen Schiff wurde ein Großteil des Treibstoffs abgepumpt und damit eine Ölpest begrenzt. Bis gestern waren die ersten 64 der knapp 1300 noch an Bord befindlichen Container geborgen. 88 waren ins Meer gerutscht.