Rolf Bielecki, Vater der vierten Elbtunnelröhre, will radioaktive Abfälle in Gesteinsschichten lagern - eine wissenschaftliche Herausforderung.

Hamburg. Große Herausforderungen schrecken Rolf Bielecki nicht. Der Vater der vierten Röhre des Elbtunnels, wie ihn manche nennen, war einst verantwortlich, als sich die Tunnelbohrmaschine "Trude" unter dem Fluss hindurchfraß. "Außendurchmesser 14,20 Meter. Die größte Tunnelbohrmaschine der Welt war das damals", sagt Bielecki. Außergewöhnliche Dimensionen hat auch sein neuestes Projekt: Der 79 Jahre alte Hamburger Tunnelfachmann will die Endlagerung von radioaktiven Abfällen angehen - eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen, nicht nur für Deutschland, sondern für die Welt.

Nicht nur Wissenschaftler diskutieren über die Endlagerung, sie ist auch in der Gesellschaft eine umstrittene Angelegenheit: Derzeit machen wieder Atomkraftgegner mobil, um gegen den Castor-Transport zu demonstrieren. Dieser soll nach Angaben von Greenpeace und der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg schon am Mittwoch in Frankreich starten, um von dort nach Gorleben zu rollen, einen Tag früher als geplant.

Die Idee, die Rolf Bielecki mit mehreren Forscherteams entwickelt hat, bricht mit der Vorstellung, Salzstöcke wie in Gorleben und der Schachtanlage Asse seien der beste Platz für ein Endlager. "Das Pilotprojekt im Salzstock, die Asse, ist total in die Hose gegangen", sagt Bielecki. Der Untergrund seiner Wahl ist zugleich die größte Herausforderung für einen Tunnelbauer: Granit. "Am St.-Gotthard-Tunnel haben wir gesehen, dass wir horizontal durch Granit bohren können. Wir sind uns sicher, das geht auch vertikal", sagt Bielecki.

Der Plan, den das Deutsch-Tschechische Institut (WSDTI) in einer Vorabstudie vorstellt, klingt zunächst recht einfach. Ein riesiger Bohrer soll einen Schacht mit 16 Metern Durchmesser durch Festgestein 2000 Meter in die Tiefe treiben. Unten sollen strahlenförmig Gänge vom Hauptschacht weg laufen und die Atommüll-Behälter - sogenannte Kokillen - aufnehmen, die dort im besten Fall viele Tausend Jahre lagern könnten. Die meisten radioaktiven Materialien brauchen 100 000 Jahre, manche gar mehrere Millionen Jahre, bis sie für den Menschen ungefährlich geworden sind. "Die Kokillen im Granit sollen jederzeit zurückzuholen sein, aus Sicherheitsgründen und falls der technische Fortschritt eine bessere Behandlung der strahlenden Reste ermöglicht", sagt Bielecki.

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Zurzeit gibt auf der Welt kein Endlager für Müll aus Kernkraftwerken. Die Finnen sind dabei, eines zu bauen. Wissenschaftler sind sich uneins, ob Salz, Ton oder Granit das beste Umfeld bieten. In Deutschland stehen Salzstöcke in der Kritik, weil Salz wasserlöslich ist. Strahlende Lauge sei nur eine Frage der Zeit, sagen Umweltschützer. Aber auch Granit hat Nachteile: Risse und Klüfte, durch die Wasser fließen könnte. "Jeder menschliche Eingriff führt zu zusätzlichen Mikrorissen rund um die Bohrung", sagt Mathias Edler, Endlager-Experte von Greenpeace.

Das Problem der Risse hat den Tunnelbauer Rolf Bielecki lange beschäftigt. Sein Lösungsansatz ist eine Art Schmelzbohrer. "Die Maschine soll das Gestein am Rand des Bohrlochs auf 20 Zentimeter Dicke abschmelzen und dann in die Klüfte drücken", erläutert Bielecki. Die 2500 Grad heiße Flamme eines Sauerstoff-Wasserstoff-Gemischs soll rissfreie Schächte garantieren. In die makellosen Außenhüllen aus Granitgestein könnten die Kokillen geschoben werden. Verbleibende Freiräume sollen mit einem Tongemisch aufgefüllt werden. "Der Spielraum ist nötig, damit die Kokillen die Erdbewegung mitmachen können", sagt Bielecki. Granit-Formationen, die für die Bohrung in Frage kämen, gibt es in Norddeutschland im Harz. Auch im südöstlichen Sachsen und in Bayern finden sich größere Granitvorkommen.

Für Bieleckis Projekt arbeiten Experten der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg und Forscher der Universitäten in den tschechischen Städten Kosice, Brünn und Ostrava sowie in Sheffield in Großbritannien zusammen. Auf 57 Seiten einer Broschüre haben die Forscher ihr Szenario entworfen.

Greenpeace-Experte Edler sieht den Vorstoß skeptisch. "Der Hauptgedanke bei der tiefengeologischen Lagerung ist, den geologischen Barrieren zu vertrauen", sagt er. Ein so umfassender Eingriff des Menschen, wie ihn Bielecki vorhabe, sei daher "eine absurde Idee". Sie berücksichtige nicht, dass jede tiefengeologische Lagerstätte irgendwann mit Wasser volllaufe. Die Idee des Hamburger Experten begrüßt Edler nur aus einem Grund: "Es ist gut, neue Wirtsgesteine zu untersuchen. Wir müssen die Debatte zur Endlagerung noch einmal von vorne beginnen."

Rolf Bielecki will in den nächsten drei Jahren eine Machbarkeitsstudie durchführen. Vier Millionen Euro wird sie kosten. Mehr als 20 Wissenschaftler sollen Graphit-Gesteine schmelzen und in Risse strömen lassen. "Die Thermoschock-Experimente sollen zeigen, wie tief Schmelze in die Lücken fließt, bevor sie erkaltet", sagt Bielecki.

Parallel werden die Informatiker an der Universität Hamburg verschiedene Bohrszenarien simulieren. "Wir wollen Überraschungsfaktoren schon vorher ausschließen", sagt Dietmar Möller, der Leiter des Arbeitsbereichs Technische Informatiksysteme. Er verweist auf den Fund eines Findlings im Bohrweg der vierten Elbtunnelröhre. Solchen Überraschungen könnten die Computermodelle vorbeugen.

Noch, räumt Rolf Bielecki ein, ist das gebohrte und verschmolzene Endlager eine Vision. Ein geeigneter Standort müsste gefunden und politisch gegen die zu erwartenden Proteste der Bevölkerung durchgesetzt werden. Die Entwicklung des Bohrers geschehe auch nicht über Nacht. "Bis zur Praxisreife werden noch einmal 15 Jahre vergehen", sagt Bielecki. Aber das lohne sich. Ein einziger Schacht in Granit könne bis zu 300 000 Kubikmeter radioaktive Abfälle aufnehmen. Das wäre deutlich mehr als alle Castoren, die bislang in Deutschland gefahren sind.