Der Antikörper Eculizumab brachte den Durchbruch im Kampf gegen die EHEC-Krise, zeigt eine Untersuchung von 148 Patienten am UKE.

Hamburg. Der Antikörper Eculizumab ist sehr gut geeignet, um EHEC-Patienten mit hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) zu behandeln. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer Studie, die sie gestern vorstellten. HUS ist eine schwere Komplikation, die zu akutem Nierenversagen und Störungen des Gehirns führen kann. Bei der EHEC-Epidemie im Frühsommer war fast ein Viertel aller Patienten hierzulande von HUS betroffen.

Das Forscherteam um den Nierenspezialisten Prof. Rolf Stahl und den Neurologen Prof. Christian Gerloff hatte die Daten von 148 HUS-Patienten ausgewertet, die in Norddeutschland mit Eculizumab behandelt worden waren. Der Zustand von 95 Prozent von ihnen habe sich nach acht Wochen signifikant verbessert. 61 Prozent der Patienten, die neurologische Schäden aufwiesen, seien "voll wiederhergestellt". Bei den übrigen 39 Prozent zeigten sich noch "leichte Beschwerden wie zum Beispiel Orientierungsstörungen", sagte Prof. Gerloff gestern.

Zudem hätten 21 Patienten, die auf HUS mit epileptischen Anfällen reagiert hatten, nun keine Beschwerden mehr; 19 von ihnen benötigen nicht einmal mehr entsprechende Medikamente. Endgültige Ergebnisse würden Mitte 2012 vorliegen - bis dahin kämen noch 120 Patienten zu regelmäßigen Folgeuntersuchungen nach Eppendorf. Insgesamt sei die Antikörperbehandlung "keine Wunderheilung, sondern eine rationale Therapie", sagte Nierenspezialist Stahl.

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Doch wie wirkt dieser Antikörper überhaupt? Dazu muss zunächst erklärt werden, wie es zu den Störungen kommt, die HUS vor allem im zentralen Nervensystem, im Blutbild und den Nieren auslöst. Prof. Stahl veranschaulichte dies mithilfe eines Dominospiels: Das für HUS verantwortliche Shiga-Toxin ist das erste Dominosteinchen, das eine gefährliche Kettenreaktion bewirkt, an deren Ende es zu den schwerwiegenden Störungen von Nieren und Gehirn kommt. Der Antikörper Eculizumab wirkt so, als würden in der Mitte der Dominoreihe einige Steinchen herausgenommen - und Schäden im Körper bleiben aus oder verbessern sich entscheidend. Wie im Fall eines an HUS erkrankten Marathonläufers, an den sich Neurologe Gerloff noch besonders gut erinnert: "Er lag im Koma - und heute, nach der Behandlung mit Eculizumab, läuft er schon wieder 20 Kilometer - ein sensationeller Erfolg!"

Eculizumab war zu Beginn der Epidemie nur in sehr schweren Fällen eingesetzt worden. Am UKE erhielten Patienten den Wirkstoff erstmals am 27. Mai, nur eine Woche nachdem in Hamburg und Niedersachsen die ersten EHEC-Fälle bekannt geworden waren. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Ärzte aber noch nicht, ob Eculizumab tatsächlich wirksam ist; das Medikament galt als das letzte Mittel, um Patienten in Lebensgefahr zu helfen.

Den Ausschlag, Eculizumab einzusetzen, gab eine Studie in der Onlineausgabe des "New England Journal of Medicine": Darin berichteten Forscher aus Heidelberg, Montreal und Paris über die erfolgreiche Behandlung von drei Kleinkindern mit Eculizumab. Die Kinder waren 2010 infolge einer EHEC-Infektion an HUS erkrankt. Als sich im Mai 2011 die EHEC-Epidemie abzeichnete, veröffentlichte die Fachzeitschrift den Artikel vorzeitig und informierte die Nierenspezialisten in Deutschland darüber.

Weil sich bei einem Teil der nun mit Eculizumab behandelten HUS-Patienten schnell Besserungen zeigten, konnten Ärzte in ganz Deutschland das Medikament ab Mitte Juni standardmäßig bei fast allen HUS-Patienten einsetzen, zusätzlich zum Austausch des Blutplasmas (Plasmapherese).

Die EHEC-Epidemie, die Deutschland von Mai bis Juli in Atem hielt, war der größte derartige Ausbruch, den es hierzulande je gab; in Bezug auf die HUS-Fälle war es sogar der weltweit größte Ausbruch. Insgesamt 3845 Erkrankte - darunter 855 HUS-Patienten - wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin gemeldet, wobei überwiegend Erwachsene und mehrheitlich Frauen betroffen waren. 53 Menschen starben hierzulande infolge der EHEC-Erkrankungen, wie aus dem Abschlussbericht hervorgeht, den das RKI im September veröffentlichte.

Die Erkenntnisse aus der Hamburger Studie könnten auch bei möglichen HUS-Fällen in der Zukunft helfen. Man sei nun "besser aufgestellt", so UKE-Neurologe Christian Gerloff. Zugelassen für die Behandlung sei der Antikörper jedoch noch nicht - darüber entscheidet die europäische Zulassungsbehörde. Daher müsse der Einsatz bei jedem Mal neu abgesprochen werden.