Besucherrekord bei der vierten Nacht des Wissens: 20.000 Menschen waren in Hamburg unterwegs, um Experimente und Vorträge zu erleben.

Hamburg. Draußen bricht die Dunkelheit an, es gibt Glühwein und Grillwürste. Der Duft dringt hinein in die Halle von Gebäude 28 C und bis zum Stand von Joachim Schulz, doch der Physiker im blauen T-Shirt kann sich keine Verschnaufpause erlauben. Vor ihm steht ein sich ständig erneuernder Pulk aus wissbegierigen Kindern und Erwachsenen, hinter ihm ragen die Armaturen des Röntgenlasers Flash empor. Geduldig erklärt Schulz, was das Gerät zu leisten vermag: Es erzeugt Lichtblitze, die nur ein Millionstel von einer Milliardstel Sekunde dauern. Damit wollen die Forscher extrem schnelle Abläufe "filmen", etwa, wie sich Moleküle verändern.

Es ist eigentlich ein sehr komplizierter Stoff, wie so viele Arbeiten am Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy). Und doch zählt das Forschungszentrum in Bahrenfeld an diesem Sonnabend zu den meistfrequentierten Standorten. Tausende strömen über das sonst streng bewachte Gelände und durch hell erleuchtete Labore.

Die vierte Nacht des Wissens zeigt eindrucksvoll, welche Anziehungskraft von Forschung ausgehen kann: Insgesamt 20 000 Menschen waren unterwegs, um sich in 45 wissenschaftlichen Einrichtungen, verteilt über ganz Hamburg, Vorträge anzuhören und an Experimenten teilzunehmen - ein neuer Besucherrekord. 2009 hatte die Nacht des Wissens 17 000 Menschen angelockt. Für die Stadt und ihre Wissenschaftler ein großer Erfolg. Doch die Masse der Besucher hat Nachteile: Die Shuttle-Busse sind proppevoll, und wer schließlich sein Ziel erreicht, muss oft erst einmal warten. Und warten.

Im Zoologischen Institut und Museum am Martin-Luther-King-Platz beginnt der Stau gleich hinter der Drehtür. Schon die erste Führung durch die Katakomben der Schausammlung war um 16.45 Uhr dicht, die nächste für 18.30 Uhr wenig später auch. Lange Gesichter bei vielen Familien, deren Kinder das Zoologische Museum aus Schulveranstaltungen kennen und jetzt einen Blick auf die sonst unzugänglichen Schätze der Zoologischen Sammlung werfen möchten. "Wir haben allein in diesem Raum rund 17 000 Gläser stehen, da können wir aus Sicherheitsgründen nicht mehr als 15 Personen pro Führung mitnehmen", sagt Dr. Jakob Hallermann. Mehr als fünf Führungen seien in dieser Nacht nicht möglich.

Für die Glücklichen, die einen Platz ergattert haben, öffnet Hallermann die Herpetologische Sammlung im Keller. Frösche, Schlangen, Krokodile und Schildkröten stapeln sich hier in hohen Gläsern. Einige sind 150 Jahre alt und mit vergilbten Etiketten versehen; andere, wie eine Blindschleiche, stecken in Kühne-Gurkengläsern. "Viele der Tiere dienen als Referenz-Exemplare, um eine Art zu bestimmen", erklärt Hallermann, der selbst erst 2010 eine neue Reptilienart, eine Bergagame aus Südostasien, bestimmt hat.

Nur wenige Hundert Meter weiter, auf der anderen Seite der Bundesstraße, verraten große Dinosaurier-Abdrücke aus Kreide auf dem Asphalt, worum es im Untergeschoss des Geomatikums geht. Besonders viele Väter sind hier im Geologisch-Paläontologischen Museum mit ihren Kindern auf einer Urzeit-Rallye unterwegs. Und zwischen Dino-Zähnen und -Eiern müssen schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden. "Ich möchte noch hierbleiben", ertönt es weinerlich aus dem Mund eines Grundschülers. "Dann schaffen wir aber das UKE nicht mehr - da wolltest du doch noch unbedingt hin", gibt der Vater zu bedenken.

Während einige Familien in der Cafeteria des Geomatikums eine Abendbrot-Pause einlegen, rollt im Nachbargebäude, dem Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften, im ersten Stock ein Tsunami über ein Lego-Dorf hinweg - von Hand mithilfe einer großen Platte angeworfen, in einem einen Meter langen Becken. Hier dreht sich alles um unsere Ozeane. In einem Spiel kann man nicht nur den richtigen Salzgehalt dem jeweiligen Meer zuordnen, sondern die Konzentration auch bei einer Wasserprobe schmecken.

Nicht schmecken, sondern schauen und riechen ist das Thema in Planten un Blomen. In den Schaugewächshäusern führen der Kustos des Botanischen Gartens, Stefan Rust, und der Gartenpädagoge Walter Krohn durch die Vegationen verschiedener Klimazonen. Da Rust mit seiner Gruppe in die Tropen entschwunden ist, bittet Krohn zuerst in die Wüste. Mit einer Taschenlampe deutet er hier auf eine spezielle Frucht und dort auf die Kannen einer fleischfressenden Pflanze; und er lässt die Besucher an einem Eukalyptusblatt, einer Kakaofrucht und einer Vanilleschote schnuppern.

Ortswechsel. Das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Gebäude der Neurowissenschaften: Lukas Huber, 22, sitzt vor einem Bildschirm. Sein Kopf ist verkabelt mit Elektroden, die seine Hirnströme aufzeichnen. Elektroenzephalogramm (EEG) heißt diese Untersuchung. Der Student demonstriert, wie er durch die Veränderung seiner Hirnströme auf dem Monitor einen Ball durch ein Labyrinth manövrieren kann. Je entspannter er ist, desto schneller bewegt sich der Ball. "Wenn man das gelernt hat, kann man Bilder besser in Erinnerung behalten", erläutert Michael Rose, wissenschaftlicher Leiter im EEG-Labor. Neurofeedback nennt sich dieses Verfahren, das auch bei Kindern mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom eingesetzt wird, damit sie lernen, sich zu entspannen.

Ein für Erwachsene eher unspektakuläres Angebot kommt bei Kindern an diesem Abend umso besser an: Sie können sich im Foyer des UKE-Neubaus einen Gips anlegen lassen. Auch der vier Jahre alte Anton hält einer UKE-Mitarbeiterin seinen Arm hin und schaut mit offenem Mund zu, wie sie ihm eine Gipsschiene an den Unterarm anlegt und diesen dann mit einer leuchtend grünen Binde umwickelt. "Er ist an allem interessiert, was das Krankenhaus angeht", sagt sein Vater.

Vielseitig interessiert sind auch die Besucher an der Technischen Universität (TU) Hamburg-Harburg. Und sie haben die Qual der Wahl: Fünf Labore sind geöffnet, neun Ausstellungen bieten vertiefte Informationen, von Biotechnologie über Schiffbau bis zur technischen Entwicklungshilfe. Als Stargast liest Romanautor Heinz Strunck, bekannt geworden durch den verfilmten Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse", aus seinem neuesten Werk "In Afrika".

So breit angelegt wie die Vorführungen und Shows ist auch das Themenspektrum der Vorträge an diesem Abend. Thomas Hapke von der Bibliothek der TU erklärt die Frühgeschichte von Wikipedia und Google: Zum Ende des 19. Jahrhunderts begann man, das Weltwissen auf Karteikarten zu sammeln und zu sortieren, um es einer breiteren Gelehrtenschar zugänglich zu machen. Prof. Stefan Krüger berichtet zum Erstaunen der Zuhörer, dass die Schiffssicherheit in jüngster Zeit abgenommen habe. Er nennt zahlreiche Beispiele aus der Praxis, in denen Containerfrachter und andere Schiffe schon bei mittlerem Wellengang kenterten. Im überfüllten Ditze-Hörsaal lernen die Zuhörer die "Muskeln der Flugzeuge" kennen: Hydrauliksysteme und zunehmend auch Elektromotoren, die etwa Höhen- und Seitenruder, Fahrwerk und Landeklappen bewegen und die Flieger damit erst steuerbar machen.

Fragen zur Lenkbarkeit von Flugzeugen, zum Auftrieb und Energiesparen beim Fliegen lassen sich auch ganz praktisch betrachten, im "DLR School Lab", dem Schülerlabor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Besonders schillernd ist der Seifenfilmkanal: Hier wird das Profil eines Flugzeugflügels in der Größe eines Taschenrechners von einem Film Seifenwassers umströmt, entsprechend der Hülle einer Seifenblase. Wie bei der bunten Blase zeigen sich auch hier Lichtbrechungen in Regenbogenfarben: Die Farben zeigen die Strömung des Seifenfilms entlang des Flügels und liefern den Forschern damit Anhaltspunkte für Verbesserungen.

Strömungen sichtbar machen - das kann auch der Windkanal der TU. Dort genießen einige per Los ausgesuchte Besucher ein besonderes Privileg: Sie dürfen einen Sturm erleben. Natürlich nicht, ohne vorher mit Leinen gesichert zu werden. Mit elf Windstärken bläst ihnen die Luft entgegen. Wer sich zuvor müde fühlte, ist jetzt wieder wach - und bereit für das nächste Abenteuer des Abends.