Der Besucheransturm auf Hamburgs Forschungsstätten belegt das Interesse an Technik.

Das ist mal eine gute Nachricht: Die "Nacht des Wissens" hat 20 000 Hamburgerinnen und Hamburger aller Altersstufen mobilisiert. Sie ließen sich im Forschungszentrum Desy erklären, was Supraleiter und Teilchenbeschleuniger können, lernten an der HafenCity-Uni die Wasserwirtschaft der Königin von Saba und an der Business School (EBC) die Tricks der mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung kennen. Ob es nun um knallhartes Ingenieurswissen ging, die Frühgeschichte des Internets oder um Meeresforschung oder die Kultur des Trommelns: An Hamburgs Hochschulen ist nicht nur ein ungeheures Wissen versammelt - es gibt dafür auch ein riesiges Publikum, das sich an einem Sonnabend Zeit nimmt, bis in die Nacht mit und ohne Kind und Kegel die Welt der Wissenschaft zu erkunden, sogar bis in die Nischen des Atoms und der Mikro-Ökonomie.

Das Konzept der "Nacht des Wissens" ist nicht, mit einer Leistungsschau ein Fachpublikum zu überzeugen. Es zielt auf jeden. Und damit erfüllt es einen elementaren Zweck: In einer Welt, in der sich der Wissensstand eines Abiturjahrgangs in 20 Jahren verdreifacht, kann auch der Laie wie mit einer Stablampe in Teilbereiche des neuen Wissens hineinleuchten.

Jeder stößt heute schon beim Zeitunglesen darauf, wie schnell sich Wissenslücken auftun. Kaum kann man den eigenen Kindern noch einen Rat geben, welche Studienfächer sie wählen sollen, welche wo angeboten werden und welche Berufe es überhaupt gibt. Da sind verständliche Angebote der Wissenserweiterung willkommen. Es ist kein Wunder, dass Wissenschafts-Dokumentationen auf Phoenix, Pay-TV-Reihen von National Geographic oder ZDF-History stetige Einschalt-Erfolge verzeichnen. Für viele ist sogar "Wer wird Millionär?" ein Format, mit dem sich das eigene Wissen erweitern lässt.

Nur kommt "Bildung" nicht von Bildschirm. Hohe Bildung könne man dadurch beweisen, "dass man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht", hat George Bernard Shaw so treffend gesagt. Das ist in der "Nacht des Wissens" gelungen. Die Kompliziertheit der Welt seriös zu vermitteln ist eine Herausforderung von der Kita bis in die Universitäten, aber sie will gekonnt sein.

Doch steht der Ansturm in dieser Nacht in einem merkwürdigen Widerspruch zu der Bildungsdebatte, die das Land umtreibt. Während der Appetit auf Wissen erfreulich groß ist, scheinen ihn die zuständigen Kantinen nicht befriedigend zu stillen. Schulen und Universitäten sind laut dem jüngsten Bildungsmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zwar sozial "gerechter" geworden, weil Kinder aus sozial schwächeren Familien früher und besser gefördert würden; die Quote der Studienberechtigten ist im Schnitt aller Bundesländer auf mehr als 44 Prozent gestiegen.

Aber gerade im Bereich der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) kommt Deutschland einfach nicht über das Niveau früherer Jahre hinaus. Diese Fächer sind aber nun einmal entscheidend für Kernbereiche der deutschen Wirtschaft: Maschinen- und Anlagenbau, Verfahrenstechnik, Umwelttechnologie und eine Reihe von Life-Science-Fächern. Das sind zufällig jene Gebiete, die in der "Nacht des Wissens" Tausende furchtlose Besucher angezogen haben.

Frankreich und Großbritannien haben längst ein Fach Technik in den Schulen eingeführt, was der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) seit Jahren vergeblich fordert. Ohne breites naturwissenschaftlich-technisches Allgemeinwissen gibt es keine Spitzenleistungen. Es ist paradox: Während die Bildungspläne so tun, als wollten wir das Land der "Dichter und Denker" bleiben, tummeln sich in der "Nacht des Wissens" lauter verkannte Entwickler und Erfinder.