Jeder fünfte Arbeitnehmer ist gefährdet. Aber über das Erschöpfungssyndrom wissen selbst Fachleute noch wenig. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Epidemie der modernen Gesellschaft

Müde, leer und kraftlos - das sind die klassischen Zeichen, wenn nichts mehr geht. Von einem Erschöpfungssyndrom sprach am Donnerstag der Trainer des Bundesligisten FC Schalke 04, Ralf Rangnick, als er seinen Rücktritt begründete. In der Bevölkerung hat sich für diesen Zustand, in dem die Kraftreserven eines Menschen nicht mehr ausreichen, um den Alltag zu bewältigen, mittlerweile die Bezeichnung Burn-out etabliert. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einer Epidemie des 21. Jahrhunderts.

Was ist ein Burn-out?

"Burn-out ist ein Zustand ausgeprägter Erschöpfung. Medizinisch gesehen gibt es diese Diagnose eigentlich gar nicht. Meist verbirgt sich dahinter eine Depression, eine Angststörung oder eine Reaktion auf außergewöhnliche äußere Belastungen. Die Folge ist immer eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund einer Überlastung, entweder im privaten oder beruflichen Bereich", sagt Dr. Nadja Behling, Ärztin im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried. Ein Burn-out entwickelt sich auch nicht von heute auf morgen, sondern es kann mehrere Jahre dauern, bis ein Burn-out jemanden krank macht.

Wie häufig sind psychische Störungen?

Wie häufig ein Burn-out ist, ist nicht bekannt, aber psychische Erkrankungen nehmen stark zu. So leidet nach Erhebungen der Techniker Krankenkasse jeder fünfte Erwerbstätige an psychischen Störungen. Die Fehlzeiten wegen solcher Erkrankungen haben in den vergangenen vier Jahren um 33 Prozent zugenommen. Parallel dazu stieg die Verordnung von Antidepressiva um 41 Prozent.

Welche Altersgruppe ist besonders betroffen?

"Im Grunde können alle Altersgruppen betroffen sein. Wir haben in unserer Praxis Patienten zwischen 20 und 60, die an einem Burn-out leiden. Aber meistens sind es Menschen im Alter zwischen Mitte 30 bis Ende 40, also in der Zeit, in der Familiengründung und der Aufbau einer beruflichen Karriere zusammenfallen", sagt Behling.

Was sind die ersten Anzeichen eines Burn-outs?

Typisch ist ein Gefühl der Erschöpfung mit Anspannung und Schlafstörungen. Hinzu können körperliche Symptome kommen, wie zum Beispiel eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, Rückenschmerzen oder Schwindel. "Und die Betroffenen schaffen es nicht mehr, sich an Wochenenden oder im Urlaub wirklich zu erholen", sagt Behling. Typisch ist auch, dass jemand sich zurückzieht und an Dingen, die er immer gern getan hat, zunehmend die Lust verliert, zum Beispiel an Treffen mit Freunden, Sport oder Hobbys.

Wie ist der weitere Verlauf der Krankheit?

Zuerst versuchen die vom Burn-out Betroffenen, durch vermehrte Anstrengungen ihre nachlassende Leistungsfähigkeit auszugleichen. Doch irgendwann schaffen sie es nicht mehr, und es folgen der soziale Rückzug und Apathie. "In der letzen Phase kommt es dann zu Depressionen, Ängsten, und es entwickelt sich ein Gefühl der totalen Erschöpfung."

Was sind die Ursachen des Burn-outs?

Es entsteht, wenn sich jemand zu stark verausgabt und ihm auf der anderen Seite der individuelle Ausgleich fehlt, zum Beispiel ein gutes soziales Netz und eine Partnerschaft, die ihn auffängt. Hinzu kommt im Arbeitsleben fehlende Anerkennung und Wertschätzung der eigenen Leistung durch Vorgesetzte.

Wer ist besonders gefährdet?

"Das sind Menschen, die von ihrer Persönlichkeit her sehr engagiert, perfektionistisch und pflichtbewusst sind", sagt Behling. Häufig sind es auch Einzelkämpfer, die nur schwer Aufgaben delegieren können und sich für alles verantwortlich fühlen. Auch Menschen, die sehr auf Harmonie bedacht sind und nur schwer Nein sagen können, haben ein erhöhtes Risiko.

Wann sollte man professionelle Hilfe suchen?

"Wenn Selbsthilfemaßnahmen zur Regeneration wie Schlaf, ein längerer Urlaub oder Sport nicht mehr helfen, sollte man einen Arzt aufsuchen", rät Dr. Nadja Behling. Das gilt auch für den Fall, dass die auftretenden Symptome wie zum Beispiel Konzentrations- oder Schlafstörungen, so stark werden, dass sie die Bewältigung des Alltags stark beeinträchtigen.

An wen kann ich mich wenden?

Sie können sich zunächst an Ihren Hausarzt wenden und mit ihm gemeinsam weitere Schritte einleiten. Oder Sie wenden sich an die Patientenberatung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg und der Hamburger Ärztekammer (Telefonnummer: 040/ 20 22 99 222) und informieren sich dort über Therapieangebote. Stationäre Therapien und Behandlungen in Tageskliniken werden auch in Hamburger Krankenhäusern angeboten, zum Beispiel in der psychosomatischen Abteilung der Schön-Klinik Hamburg-Eilbek, in den Abteilungen Psychiatrie und Psychosomatik des Asklepios-Westklinikums in Rissen oder im Zentrum für seelische Gesundheit in der Asklepios-Klinik Harburg.

Wie wird ein Burn-out von Ärzten behandelt?

Die Therapie ist abhängig vom Schweregrad. "In der ersten Phase reichen oft ein Coaching oder eine ambulante Therapie aus", sagt die Ärztin. Wenn aber das Burn-out sehr stark ausgeprägt ist, hilft oft ein stationärer Aufenthalt oder eine Behandlung in einer Tagesklinik. "Dort werden dann neben einer Psychotherapie auch Entspannungsverfahren und körperorientierte Behandlungsmethoden eingesetzt, weil die Patienten erst wieder lernen müssen, sich zu entspannen und ihre körperlichen Belastungsgrenzen wahrzunehmen."

Wie lange dauert es, bis jemand seine Kraftreserven wieder aufgetankt hat?

Das kann, so Nadja Behling, wenige Wochen bis mehrere Monate dauern. Das hängt davon ab, wie schwer die Erkrankung ist.

Wie kann man sich vor einem Burn-out schützen?

"Vorbeugend wirkt eine gut ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Privatleben", sagt Behling. Man sollte seine eigenen Grenzen kennen und erste Warnsignale eins Burn-outs wie zum Beispiel Schlafstörungen ernst nehmen. Sie sollten ein Anlass sein, die eigene Situation zu hinterfragen und wenn möglich zu verändern. Wichtig ist es auch, Aufgaben zu delegieren und zu lernen, Nein zu sagen.