Hamburger Forscher beobachten die Entwicklung der Eisdecke am Nordpol mithilfe von Satellitendaten: Sie schmilzt immer schneller

Ist der Nordpol womöglich in wenigen Jahrzehnten im Sommer komplett eisfrei? Anfang September wurde schon ein Rekordminus der Eisflächen im Arktischen Ozean gemeldet. Vielleicht verfrüht, da der Mittelwert des ganzen Monats zum Vergleich herangezogen werden müsste, um verlässliche Aussagen zu treffen. Unsere aktuellen Daten deuten darauf hin, dass die negative Rekordmarke von 2007 dieses Jahr fast erreicht wird. Das ist für uns ein ernst zu nehmendes Signal, denn die Polargebiete gelten als Frühwarnsystem für weltweite Klimaänderungen. Dabei spielt das Meereis eine entscheidende Rolle, weil es die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre beeinflusst.

Normalerweise schrumpft das arktische Meereis im Sommer, erreicht Ende September sein Minimum und wächst danach wieder. Seit einigen Jahren beobachten wir aber, dass das Eis im Spätsommer ungewöhnlich stark zurückgeht. Die Werte liegen deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt. Für unsere statistischen Analysen nutzen mein Team am KlimaCampus und ich Satellitendaten, die bis 1972 zurückreichen. Dabei konzentrieren wir uns auf den kritischen Monat September, vergleichen die jährlichen Daten zur Ausdehnung des Eises über den gesamten Zeitraum und erstellen daraus Hochrechnungen. Das funktioniert ähnlich wie bei Wahlprognosen.

Seit Beginn der Messungen beobachten wir einen linearen Trend: Pro Jahrzehnt nimmt das Eis rund neun Prozent ab. Außerdem schmilzt es inzwischen mehr als doppelt so schnell wie zu Beginn der Zeitreihe. Das hat Folgen für das weltweite Klima. Eisschollen haben nämlich die Fähigkeit, Sonnenlicht zu reflektieren. Dabei kann schon eine dünne Schneedecke das Reflexionsvermögen, die sogenannte Albedo, stark erhöhen. Eisfreie dunkle Meeresflächen dagegen speichern Sonnenenergie und verstärken so das Abschmelzen im Polarsommer. Das wiederum könnte die Meeresströmungen beeinflussen, weil Süßwasser in den Ozean gelangt. Fließt zu viel von diesem Frischwasser in den salzigen Ozean, wird das Wasser beim Abkühlen nicht dicht und schwer genug, um in die Tiefe zu sinken. Dadurch könnten die Ozeanzirkulation und der damit verbundene Wärmetransport aus dem Takt geraten. Um vorherzusagen, wie schnell das Eis schmilzt, kommt es nicht nur auf die Größe der Eisfläche, sondern auch auf die Dicke an. Mit Kollegen aus Finnland, Dänemark und Deutschland entwickeln mein Team und ich eine Methode zur Messung der Meereisdicke, die an den Fernerkundungssatelliten SMOS gekoppelt ist. Bereits heute nutzen wir Informationen des Satelliten Cryosat. Mit seinem Radar misst er die Entfernung zwischen seiner Umlaufbahn in rund 700 Kilometern Höhe und der Eis-Oberseite und gleichzeitig den Abstand zur Wasseroberfläche. Daraus lässt sich errechnen, wie weit die Eisschollen aus dem Wasser ragen. Durch die Messung dieses sogenannten Freibords können wir die Eisdicke schätzen.

Unser Ziel ist es jetzt, die Ergebnisse beider Satelliten zu kombinieren, um künftig noch präzisere Informationen über Volumen und Verluste des Meereises zu gewinnen.