Mit Sensoren und Messgeräten untersuchen Forscher in Erlangen, wie Pflanzen auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren.

Erlangen/Hamburg. Als Charles Darwin vor mehr als 100 Jahren seine Beobachtungen über Sinneswahrnehmungen von Pflanzen veröffentlichte, war die prächtige Stieleiche, die heute im Botanischen Garten der Uni Erlangen steht, ein junger Baum. Was hat sie nicht alles erlebt: Weder Klimakapriolen noch saurer Regen, stickiges Bodenozon, Feinstaub oder Raupenplagen konnten ihr etwas anhaben. Zum Leidwesen der Wissenschaft kann der Baum aber nicht sprechen - sonst hätte er wohl ein paar Einsichten über Folgen von Umweltveränderungen parat. Darwin soll einer Anekdote zufolge Pflanzen mit einer Trompete beschallt haben, um zu testen, ob Lärm ihr Wachstum beeinflusst. Über Veränderungen wurde aber nichts bekannt.

Heutzutage installieren Forscher moderne Technik, um mehr über die Pflanzen zu erfahren. Messgeräte an der Erlanger Stieleiche sollen Aussagen über die Gesundheit des Baumes liefern, stellvertretend für viele Artgenossen in der Stadt. Neben einer Wetterstation, die Umweltdaten liefert, registrieren Sensoren am Baum den Gesundheitszustand. Ein Saftflussmesser registriert, wie viel Wasser die Eiche im Boden aufnimmt und zu den Blättern transportiert. Ein Dendrometer zeichnet den Stammzuwachs auf und ermöglicht Rückschlüsse auf den Jahresverlauf der Fotosynthese. Die Daten fließen in das Forschungsprojekt "Bäume im Klimawandel" ein und sind online abrufbar, denn der Baum hat seine eigene Website: www.talking-tree.de - und einen Twitter-Account. Eine Spezialsoftware übersetzt wissenschaftliche Daten in verständliche Informationen über Wohl und Wehe der Eiche.

Auch in Hamburg-Bergedorf werden Eichen und Buchen mit Messgeräten gespickt, die Auskunft über ihr "Wohlbefinden" bei sich ändernden Umweltbedingungen geben sollen, allerdings ohne Internetanschluss. Hier, am Institut für Weltforstwirtschaft des Von-Thünen-Instituts, koordinieren Forstexperten europaweit das Waldmonitoring, die Gesundheitsüberwachung der europäischen Forste. Um Reaktionen von einzelnen Bäumen auf eine sich ändernde Umwelt zu erfassen, gibt es EU-weit 500 "Intensivuntersuchungsflächen". Eine liegt in Lohbrügge.

"Unsere Versuchsanlage ist erst zwei Jahre alt und liefert noch keine statistisch verlässlichen Wachstumsdaten. Da meist Jahresmittelwerte verglichen werden, werden Zeitreihen von 15 bis 20 Jahren gebraucht", sagt Richard Fischer vom Institut für Weltforstwirtschaft. Solche Daten gebe es von einem Versuchsfeld im Solling. "Sie zeigen, dass die Bäume besonders unter abrupten Übergängen von winterlicher zu sommerlicher Witterung und umgekehrt leiden. Solche Temperatursprünge haben wir in jüngster Zeit ja mehrfach erlebt. Sie schlagen sich in niedrigeren Wachstumsraten nieder."

Auch die Bergedorfer erheben tagesgenaue Daten vom Zustand ihrer Probanden. So lässt sich erkennen, dass der Saftstrom weniger stark ist, wenn es im zeitigen Frühjahr plötzlich viel zu warm oder im Frühherbst winterlich kalt wird. Während der übergangslose Start der Vegetationsperiode oder ihr abruptes Ende den Bäumen zusetzt, kommen sie mit wechselhaften Sommern wie in diesem Jahr gut zurecht. Fischer: "Kurze Witterungsänderungen machen ihnen nichts aus." In Bezug auf den Klimawandel habe sich im Solling gezeigt, dass im langjährigen Mittel im Wald weniger Wasser verfügbar ist, sagt Fischer. Dies bedeute potenziell mehr Trockenheitsstress für die Bäume.

Wie Pflanzen sich gegen Trockenheit wappnen, interessiert Anke Jentsch, Professorin für Störungsökologie an der Uni Bayreuth. Zusammen mit Julia Walter vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig hat sie an einer Grasart etwas Erstaunliches entdeckt: "Die Pflanzen können sich an Zeiten der Dürre erinnern und sich daher besser schützen, wenn sie erneut unter Wassermangel leiden."

Jentsch und Walter zogen junge Pflanzen des Glatthafers unter normalen Bedingungen auf. Ein Teil wurde dann gut zwei Wochen lang nicht bewässert, die Kontrollgruppe weiter gegossen. Dann wurden die Blätter aller Pflanzen abgeschnitten. So war sichergestellt, dass wieder austreibende Blätter keine Dürreerfahrungen gemacht hatten. Danach mussten beide Gruppen für gut zwei Wochen ohne Wasser auskommen. Das Ergebnis: "Vorgewarnte" Pflanzen überstanden die Dürre besser. Bei ihnen hatte ein um sieben Prozent größerer Anteil der Blätter die Dürre überlebt als bei der Kontrollgruppe.

Zur Schädlingsabwehr setzen Pflanzen sogar auf ein elektrisches Alarmsystem: Tabak- und Tomatenpflanzen lösen bei Verletzung elektrische Reize aus. Diese ähneln Aktionspotenzialen von Nervensignalen, die bei Mensch und Tier etwa durch Schmerzreize verursacht werden. Die Pflanzen regen so die Produktion von Abwehrstoffen an. Wie Frantisek Baluska und Stefano Mancuso von den Universitäten Bonn und Florenz entdeckten, nutzen Maispflanzen elektrische Signale auch, um Informationen zu verbreiten. Stoßen Maiswurzeln nach einer längeren Durststrecke auf Wasser im Boden, senden sie durch kleine Stromstöße eine Botschaft an den Spross. Um ein echtes Nervensystem handele es sich aber nicht, stellt Mancuso klar.

Wie Mensch und Tier produzieren auch Pflanzen Botenstoffe und Hormone. Zwischen 40 und 50 verschiedene Substanzen verströmen Pflanzen normalerweise. Einen der größten Anteile daran hat das gasförmige Ethylen. Eine der Wirkungen zeigt der Herbst: Ethylen steuert den Blattfall. Als im 19. Jahrhundert Straßen noch von Gaslaternen beleuchtet wurden, verloren benachbarte Bäume vorzeitig das Laub. Schließlich entdeckten Forscher, dass dafür im Leuchtgas enthaltenes Ethylen verantwortlich ist. Heute wird der Botenstoff als "Reifegas" genutzt, um unreif geerntete Früchte durch die Begasung marktreif zu machen.