Auch fernab der bekannten Risikogebiete kann der Boden aus den Fugen geraten, wie jetzt an der Ostküste der USA. Geoforschungszentrum klärt auf.

Potsdam/Washington. Erwartet hatte wohl niemand, dass am 23. August um die Mittagszeit an der amerikanischen Ostküste die Erde bebt und in der US-Hauptstadt Washington die Wände wackeln. Mit solchen Erdbeben rechnet man in Kalifornien, Japan, Indonesien oder Neuseeland. Die Ostküstenstaaten der USA dagegen gelten in dieser Hinsicht als ruhig und unauffällig. Allerdings zittert auch dort ab und zu der Untergrund: "Erst 2003 gab es dort zwei Beben", berichtet der Erdbebenforscher Frederik Tilmann vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. Nur lag die Magnitude damals bei 4,5 und 3,9. Das jetzige Beben mit einer Stärke von 5,8 war weit mehr als zehnmal heftiger.

Solche Beben kennt man eher in der Ägäis und der Türkei, in Japan oder an der südamerikanischen Pazifikküste. Dort bewegen sich Erdplatten in unterschiedliche Richtungen, manchmal bleiben sie auch aneinander hängen. Dadurch bauen sich im Laufe von Jahrzehnten enorme Spannungen auf. Irgendwann lösen sich die Platten voneinander, schnellen in Sekunden um einige Meter weiter und holen die versäumte Bewegung schlagartig nach - in Form von gewaltigen Erdbeben.

Verhaken sich an den Plattengrenzen Teile der Erdkruste ineinander, kann dies auch Tausende von Kilometern entfernte Regionen beeinflussen. Für Washington heißt das: Nach Westen ist die nächste Plattengrenze in Kalifornien rund 4000 Kilometer entfernt, nach Osten sind es gut 3000 Kilometer zum Mittelatlantischen Rücken, einer Plattengrenze mitten im Atlantik. Beide Regionen sind permanente Unruheherde, die auch an der amerikanischen Ostküste Spannungen aufbauen können. Der japanische Erdbebengürtel dagegen hat keine direkte Verbindung zur US-Ostküste, das Superbeben vom März 2011 hat die Atlantikküste Nordamerikas daher wohl nicht beeinflusst.

Aufgrund der großen Entfernung nach Kalifornien und zum Mittelatlantischen Rücken bauen sich Spannungen unter der Ostküste der USA viel langsamer auf. Deshalb treten Erdbeben dort seltener auf und fallen meist auch deutlich schwächer aus. Gegen die im März 2011 in Japan registrierte Magnitude von 9,0 fiel das jetzige Beben der Stärke 5,8 mit Epizentrum im US-Bundesstaat Virginia sehr glimpflich aus.

"Es gibt noch andere Prozesse, die Erdbeben in meist ruhigen Regionen wie der US-Ostküste auslösen", erklärt Frederik Tilman, der am GFZ die Sektion Seismologie leitet, in der solche Erschütterungen untersucht werden. So tragen die Niederschläge in den nahen Appalachen immer wieder Erde ab und lagern sie in der Ebene ab.

Im Laufe der Jahrtausende werden die Berge so ein wenig leichter, in den Ablagerungszonen nimmt das Gesamtgewicht dagegen langsam zu. Auch dadurch verformt sich langsam der Untergrund, und das Erdbeben-Risiko steigt. Nur kommen die Erschütterungen eben viel seltener.

Zudem gibt es sogenannte Nahtstellen, an denen vor weit mehr als 100 Millionen Jahren Erdplatten miteinander kollidierten oder auseinanderrissen. Das gilt auch für die heutige US-Ostküste, sie war vor 200 Millionen Jahren noch direkt mit Europa und Afrika verbunden. Vor rund 180 Millionen Jahren brachen dann, begleitet von heftigen Erdbeben, Nordamerika und Grönland von der Alten Welt ab und driften seither voneinander weg. An der Ostküste der USA ist zwar längst Ruhe eingekehrt. Aber Reste der Verformungen aus dieser Zeit gibt es noch. Auch sie können heute vermutlich noch Erdbeben auslösen.

Leider können Wissenschaftler bis heute Erdbeben nicht vorhersagen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten berechnen. Je häufiger die Erde wackelt, umso besser klappen diese Kalkulationen. Regionen mit wenig Beben wie an der Ostküste der USA haben daher in dieser Hinsicht eher schlechte Karten. Allerdings fallen dann die Beben meist weniger katastrophal aus.