In der Elbe vor Finkenwerder geht wandernden Fischen die Luft aus. Die Stiftung Lebensraum Hamburg erarbeitet Gegen- maßnahmen.

Hamburg. Der Elbe geht es immer besser, heißt es. Doch aus der Perspektive der Meerforelle, die als ein Güteindikator für Flüsse und Bäche gilt, haben sich die Verhältnisse seit der Jahrtausendwende wieder verschlechtert.

Nimmt man zum Beispiel die Seeve als Nebenfluss der Elbe: "In den 1990er-Jahren hatten sich die Fangerfolge aufgrund der deutlich besseren Wasserqualität verfünffacht", sagt der Gewässerökologe Dr. Ludwig Tent. Inzwischen halbierten sie sich wieder, sodass heute im Durchschnitt nur noch etwa zweieinhalbmal so viele Forellen gefangen werden wie vor der Wende." Der jüngste Trend zeige, so Tent, den erheblichen Nachholbedarf der Elbe auf dem Weg zu einem "guten ökologischen Zustand", den eine EU-Richtlinie bis 2015 von den europäischen Fließgewässern fordert.

Die Meerforelle und andere Wanderfische leiden zum einen unter dem Sauerstoffloch, das bei heißen Sommerperioden und geringem Abfluss in der Unterelbe bis vor Finkenwerder auftaucht, und zum anderen an verschlammten Nebenflüssen, die den paarungsbereiten Fischen keine einladenden Laichplätze bieten. Die Forellen wollen ein Flussbett mit Kies- und Geröll, auf dem sich der Nachwuchs vor Fressfeinden verstecken kann - oder vor der streitbaren Konkurrenz aus der eigenen Brut.

Zwar sieht die Natur einen großen Schwund vor: Von 1000 Jungfischen, die aus den Eiern schlüpfen, sind nach drei Monaten vielleicht noch 250 übrig, nach einem Jahr 100 und zur Geschlechtsreife nach vier bis fünf Jahren noch fünf Forellen. Aber selbst diese Handvoll fortpflanzungsfähiger Fische wird nur erreicht, wenn die Bedingungen in den Geburts- und Wandergewässern stimmen.

Im Alter von zwei bis drei Jahren erwacht bei einigen Forellen der Wandertrieb. Sie ziehen in die Nordsee und werden zur Meerforelle. Die Daheimgebliebenen sind die Bachforellen. Tent: "Zu DDR-Zeiten starben die Wanderer, wenn sie in die vergiftete Elbe in den ostdeutschen Industriezentren schwammen. Damals gab es nur Bachforellen in Ostdeutschland. Um die Bestände zu stärken, setzten Angler in den Elbnebenflüssen zusätzlich Jungfische aus. Dank der gestiegenen Wasserqualität überlebten allmählich auch die Meerforellen."

Zur Geschlechtsreife versuchen die Fische, wieder in ihre Geburtsflüsse zu wandern. Viele scheiterten bis vor einem Jahr am Wehr Geesthacht. Dank seiner neuen großen Fischtreppe am Nordufer ist es inzwischen recht gut passierbar - seit der Inbetriebnahme der Aufstiegshilfe Ende September 2010 gebe es eine "enorme Besiedlung an Wanderfischen oberhalb des Wehrs", freut sich Tent. Er betont aber auch, dass eine Fischtreppe generell nur ein technischer Notbehelf sei und Flussverbauungen wo immer möglich beseitigt werden sollten.

Inzwischen kommen die fortpflanzungswilligen Tiere im günstigsten Fall bis in die mittlere Elbe bei Dessau, scheitern dort jedoch an den Wehren der Mulde und Saale, die ihnen den Weg zu den wichtigen Laichgewässern versperren. Doch viele bleiben zuvor auf der Strecke. Die Meerforellen schwimmen zwischen April und Dezember elbaufwärts. Ein Großteil passiert in den Sommermonaten Hamburg. Bei Hitzeperioden wird dies unmöglich. Vor Finkenwerder entwickelt sich eine unsichtbare Barriere: Über 20, 30 Flusskilometer wird dann das Wasser so sauerstoffarm, dass Fische darin nicht überleben können.

Um atmen zu können, sammeln sich die Wanderer in sauerstoffreicheren Flussabschnitten. Dort sind sie vermehrt den Attacken von Anglern, Fischern und Robben ausgesetzt. Tent: "Die Robben folgen den Fischen die Elbe hinauf. Alle paar Jahre taucht sogar eine Robbe in der Luhe bei Winsen auf." Angler hätten in diesen Perioden ein ganz besonderes Refugium entdeckt, berichtet Tent: "Die Fische sammeln sich an der Einleitstelle des Klärwerks Köhlbrand/Dradenau. Das gereinigte Abwasser hat dann einen höheren Sauerstoffgehalt und ist kühler als der Fluss."

Im Sauerstoffloch vor Finkenwerder sieht Tent den Hauptgrund für die gesunkenen Forellenfänge. Denn dieser Flussabschnitt hat - im Gegensatz zur Elbe unterhalb Hamburgs - keine Nebenläufe, die den Fischen als Ausweichstrecken dienen könnten, wenn dem Hauptstrom die Luft ausgeht. Dafür gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen.

Ein wichtiger Faktor ist die Elbvertiefung. Bei zunehmender Fahrrinnentiefe liegt mehr Elbwasser im Dunkeln. Dort können einzellige Sauerstoff-Produzenten wegen Lichtmangels nicht leben. Zudem wird die Relation zwischen der Oberfläche, die Sauerstoff aufnimmt, und dem gesamten Wasservolumen ungünstiger.

Ein weiterer Faktor ist ausgerechnet die reduzierte Verschmutzung der ostdeutschen Elbe: In dem saubereren Wasser gedeihen mehr Algen. Viele von ihnen sterben im Hamburger Hafen ab, weil sie in den tieferen Wasserschichten nicht genügend Licht bekommen. Bakterien bauen die Pflanzenmasse ab und verbrauchen dabei Sauerstoff. Je wärmer das Wasser (in Hitzeperioden) ist, desto schneller laufen diese Prozesse.

Um den Forellen zu helfen, muss also zunächst das Sauerstoffdefizit bekämpft werden. Dies hat die städtische Stiftung Lebensraum Hamburg vor, die Anfang August ihre Arbeit aufnahm. "Wir denken über Lösungen nach", sagt deren Vorstand, Prof. Heinrich Reincke. Konkrete Projekte seien allerdings noch nicht beschlossen -"im Oktober werden wir erste Maßnahmen vorstellen". Zur Auswahl stehen technische Ansätze wie die Belüftung des Elbwassers in Hitzeperioden, die Schaffung neuer Flachwasserbereiche mit hohem Lichtangebot und entsprechend großer Sauerstoffproduktion oder die Öffnung von Nebengewässern. So könnte die Alte Süderelbe den Flaschenhals vor Finkenwerder umgehen, wenn man sie wieder an das Mühlenberger Loch anbindet und bei Altenwerder in die Süderelbe münden lässt.

Würden dann auch noch die Nebengewässer - unterhalb Geesthachts vor allem die Stör und die Oste - fischfreundlicher gestaltet, dann stünde einem furiosen Comeback der Meerforellen nichts mehr im Wege.