Die Natur lieferte die Vorlage. Ein Experte hält jede vierte Antibiotika-Verabreichung für überflüssig

Hamburg. In der Natur erzeugen viele Bakterien und Pilze bestimmte Stoffwechselprodukte, um konkurrierende Mikroorganismen am Wachstum zu hindern oder zu töten. Diese natürlichen Waffen sind Vorbilder für viele Antibiotika. Die meisten Wirkstoffe werden heute jedoch rein chemisch erzeugt. Sie basieren auf einem der folgenden Prinzipien:

1. Das Antibiotikum unterbindet die Eiweißproduktion der Bakterien und hindert diese so an der Vermehrung (u. a. Makrolide, Ketolide).

2- Das Antibiotikum stört den Aufbau der Zellwände und tötet die Keime dadurch (u. a. Penicilline, Glykopeptide).

3. Das Antibiotikum tötet die Bakterien, indem es die Erbgutsynthese verhindert (u. a. Fluorchinolone).

Antibiotika tragen dazu bei, dass Bakterien widerstandsfähig werden. Resistenzen entstehen etwa, wenn der falsche Wirkstoff gewählt wird oder der Patient das Medikament in zu geringer Dosis oder zu kurz einnimmt.

Zur Vermehrung von resistenten Keimen kann es kommen, weil Antibiotika nie nur auf den Erreger wirken, der die Infektion verursacht, sondern immer auch auf Bakterien, die nützlich für den Menschen sein können. Im Darm etwa leben Milliarden von sehr gut angepassten Bakterien, die bei der Verdauung helfen. Dort können aber auch Erreger mit Resistenz-Genen existieren, die bisher noch schlecht angepasst sind. Tötet das Antibiotikum nun viele gut angepasste, nützliche Keime, schafft es damit Platz für resistente Bakterien. Zwar vermehren sich die guten Keime wieder, doch in der Zwischenzeit nutzen die resistenten die Gelegenheit, sich besser dem Darm anzupassen und ihr Genmaterial an andere Keime weiterzugeben.

Im EU-Vergleich liegt Deutschland beim Antibiotika-Verbrauch laut Forschungsprojekt ESAC zwar im unteren Drittel. Dennoch sei hierzulande vor allem bei Atemwegsinfektionen jede vierte Antibiotika-Therapie überflüssig, sagt der Leiter der deutschen Arbeitsgruppe, Prof. Winfried Kern.