Abwesende Ärzte und Führungskräfte lassen sich durch Roboter vertreten. In Hamburg sind Sprechstunden über das Internet im Test.

Hamburg. Eine eigenartige Vorstellung: Die Angestellten einer Firma sitzen im Büro und gehen ihrer täglichen Arbeit nach, während der Chef in der Ferne auf einer Konferenz verweilt. Es geht ruhiger zu als sonst, man gönnt sich ein paar Pausen, plaudert. Plötzlich geht die Tür auf, ein Avatar - ein mobiler Roboter - rollt herein und brüllt mit vertrauter Stimme: An die Arbeit!

Ein ferngesteuerter Chef? Tatsächlich ist Telepräsenz heute in vielen Unternehmen kein Fremdwort - sie nutzen die Technologie allerdings vor allem als aufregendere Variante von Videokonferenzen. Lebensgroße Bildschirmgesichter, direkter Blickkontakt, schwenk- und zoombare Kameras lassen ferne Menschen präsent erscheinen. Das Karlsruher Institut für Technologie arbeitet aber an Techniken, mit denen man sich einen Ort tatsächlich live aus der Ferne erschließen kann.

Anwender tragen dabei ein Head-Mounted-Display, eine Art Brille, die ihnen die fremde Umgebung vor die Augen projiziert. In der Ferne bewegt sich simultan ein Avatar: Gehen die Anwender nach links, rollt ihr elektronisches Pendant im fernen Gebäude ebenfalls nach links, drehen sie den Kopf, schwenkt der Avatar seine Kamera mit. Man hört, was seine Mikrofone hören. Man bewegt ein Steuermodul und der Avatar öffnet eine Tür. Selbst die haptische Wahrnehmung wird übertragen: Ein schwergängiger Türgriff erfordert am Steuermodul mehr Kraft.

Körpergesteuerte Avatare sind in der Wissenschaft schon länger möglich, doch wenn sie sich in größeren Räumen bewegen sollten, stießen sie bisher an ihre Grenzen. Wenn der Chef zum Beispiel eine ganze Fabrikhalle erkunden möchte, würde er in seinem Büro irgendwann gegen die Wand laufen. Die Karlsruher Forscher haben deshalb Algorithmen entwickelt, die eine beliebig große Strecke auf den zur Verfügung stehenden Raum herunterrechnen.

In einigen Unternehmen sind bereits Avatare im Probeeinsatz, die sich per Notebook oder Smartphone steuern lassen. Die amerikanische IT-Firma RatePoint hat eineinhalb Jahre lang so einen mobilen Roboter getestet. "Die Führungskräfte fühlten sich enger an ihre Mitarbeiter gebunden", sagt zwar Unternehmenssprecherin Yvonne Gaudette. Allerdings gibt sie zu, dass es keine Evaluation unter der Belegschaft gegeben habe. Und: Die Firma plane nicht, die Roboter nach der Testphase einzusetzen. "Skype reicht für die interne Kommunikation", so Gaudette.

Ganz anders in der Medizin: Dort haben Avatare einen festen Platz. "Wir haben mehr als 400 Telepräsenz-Systeme in Krankenhäusern weltweit installiert", sagt Jennifer Neisse vom US-Unternehmen InTouch Health. Wenn etwa im Krankenhaus von Owensboro in Kentucky Angehörige am Bett eines Schlaganfallpatienten stehen, kann es durchaus vorkommen, dass das Personal warnt: "Machen Sie Platz - der Roboter kommt." Dann rollt eine staubsaugerähnliche Maschine in den Raum. An ihrem Torso hängt ein Bildschirm mit dem Gesicht eines Spezialisten von der rund 100 Kilometer entfernten Universitätsklinik Louisville. Der Arzt bittet den Patienten, den Arm zu heben, die Zunge herauszustrecken. Er zoomt heran, um die Pupillen zu untersuchen. Er kann Herz- und Blutdruckwerte ablesen oder mit Assistentenhilfe eine Ultraschalluntersuchung durchführen. Ein Grund für den Telepräsenz-Boom in den USA ist der zunehmende Mangel an Spezialisten in kleineren Kliniken.

Auch Miles S. Ellenby, Kinderarzt an der Universitätsklinik Oregon, schwärmt für Telemedizin. "Wir unterstützen die kleineren Krankenhäuser in der Region", sagt er. Vorher lief das über das Telefon. "Über die Kameras können wir besser entscheiden, ob wir die Kinder zu uns transportieren lassen oder nicht." Die Telemedizin habe viele teure, riskante Transporte vermieden. Selbst eine Reanimation konnten sie schon über die ferngesteuerten Instrumente durchführen. Patienten und ihre Angehörigen reagieren inzwischen sehr positiv auf die Technik. "Ärzte tun sich noch schwer damit - aber sie erkennen allmählich den Nutzen."

In Deutschland ist man noch nicht ganz so weit, hat aber das große Potenzial der Telemedizin erkannt. Die Aklepsios-Klinik in Hamburg arbeitet in dem Programm Asklepios Future Hospital an einer besseren Versorgung jener Patienten, die nicht in die Klinik kommen können: In dem Projekt "Hallodoc" etwa können Ärzte über das Internet Sprechstunden anbieten - die Patienten identifizieren sich künftig über die elektronische Gesundheitskarte und sprechen dann über Videokameras mit dem Arzt, als säßen sie vor seinem Schreibtisch. Parallel dazu testen die Techniker eine sichere mobile Datenerfassung: Mit dem "Health Buddy" geben Patienten dann Daten zu Gewicht, Puls oder Blutdruck in ein Gerät ein, das die Daten an die Klinik überträgt. Dort wird der Krankheitsverlauf dokumentiert und überwacht. In Zukunft könnten solche Daten sogar automatisch mit einem Smartphone erfasst werden - Anwendungen für die Blutdruckmessung gibt es schon. Die Technologien sind in Hamburg noch in der Entwicklungsphase, sollen aber bald mit Patienten getestet werden.

Und in Berlin arbeiten Mitarbeiter der Charité mit Experten der Lufthansa daran, über Telemedizin in Flugzeugen Nothilfe zu gewährleisten. Wahrscheinlich hören Passagiere irgendwann nicht mehr das berühmte "Ist ein Arzt an Bord?", sondern: "Machen Sie bitte Platz für den Roboter."